Papstberater warnt vor Faschismus und Gleichgültigkeit

"Wenn Europa so weitermacht, wird es gehasst"

Für den Papstberater und Kardinal Jean-Claude Hollerich ist ein neuer Faschismus in Europa bereits Realität. "Er ist schon da", sagte der Luxemburger Erzbischof im Interview der Zeitung "La Croix" am Donnerstag in Rom.

Kardinal Jean-Claude Hollerich / © Sven Becker (KNA)
Kardinal Jean-Claude Hollerich / © Sven Becker ( KNA )

Die regierende Partei in Italien sei postfaschistisch. "Das macht mir Angst, besonders weil ich aus einer Familie stamme, in der jeder im Widerstand war", so der frühere Vorsitzende der EU-Bischofskommission COMECE.

Die EU-Bischofskommission COMECE

Etwa die Hälfte der Bewohner in der Europäischen Union sind nach Vatikan-Angaben Katholiken. Um den Dialog mit EU-Institutionen zu pflegen und Anliegen der katholischen Kirche zu Gehör zu bringen, unterhalten die Bischofskonferenzen der 27 Mitgliedstaaten eine eigene Kommission, die COMECE. Die Abkürzung steht für das lateinische "Commissio Episcopatum Communitatis Europensis".

Eingangsschild am Sitz der COMECE in Brüssel / © Julia Steinbrecht (KNA)
Eingangsschild am Sitz der COMECE in Brüssel / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Mit Blick auf die erwartete geringe Wahlbeteiligung bei den Europawahlen und das verbreitete Phänomen eines Rückzugs auf die Nation warnte der Kardinal: "Wir haben uns an die Europäische Union gewöhnt." Ihr Nutzen und der politische Wille dahinter seien uns nicht mehr bewusst. Demokratie sei wertvoll und müsse unterstützt werden, so Hollerich. 

Europa in einer Krise

Gleichzeitig befinde sich Europa in einer Krise. Volkswirtschaften erlebten eine Stagnation; das schaffe Ängste. In einer komplexen Welt liefere Populismus einfache Erklärungen, die bei jenen, die Angst vor dem Verlust ihrer Identität haben, großen Anklang fänden.

"Offensichtlich stehen Europa und der Westen nicht mehr im Mittelpunkt der Welt", so der Luxemburger Erzbischof. Der Krieg in der Ukraine sei in diesem Sinne entlarvend: Der Westen sei nicht in der Lage, eine globale Koalition gegen Russland zu bilden. Zugleich verspiele der Kontinent auf anderer Bühne sein Ansehen.

"Der neue europäische Einwanderungspakt ist eine Katastrophe", sagte Hollerich. "Wir vergessen die Menschenrechte. Natürlich können wir nicht alle Migranten aufnehmen. Aber wir müssen Menschen immer so behandeln, dass wir ihre Menschenwürde anerkennen." Es brauche dringend einen würdevollen Umgang mit Menschen und den Dialog mit anderen Kulturen.

Katastrophale Kolonialpolitik

Frankreichs einstige Kolonialpolitik in Afrika nannte der Jesuit katastrophal; und: "England schnitt nicht viel besser ab." Heute zahle Europa den Preis. Man glaube dort nicht mehr an europäische Werte. "Dennoch reden wir weiter mit anderen wie eine Lehrerin mit ihren Schülern", so der Kardinal, der im Kardinalsrat von Papst Franziskus Europa vertritt. 

"Wenn Europa so weitermacht, wird es gehasst." Man müsse ja gar nicht unbedingt die Positionen anderer teilen; aber zumindest "anerkennen, dass Europa nur ein Akteur unter anderen ist".

Er werde eine unvollkommene EU immer überhaupt keiner EU vorziehen, betonte Hollerich. Das hindere ihn allerdings nicht daran, bestimmte Punkte kritisch zu hinterfragen: "etwa eine bestimmte Auffassung von Geschlechtertheorie, die in Mode gekommen ist und die jeder wiederholt, ohne wirklich zu wissen, was sie ist". 

"Von Beamten regiert"

Manchmal habe er auch den Eindruck, "dass wir von Beamten regiert werden, die eine Vision durchsetzen, die nur einem soziologischen Anliegen entspricht". Dies sei ein Zeichen einer Krise der Demokratie. 

Zum Thema Abtreibung sagte der Kardinal: "Es ist tragisch, dass so wohlhabende Gesellschaften wie unsere als einzige Lösung finden, ungeborene Kinder zu töten." Das werde einst die Geschichte
beurteilen.

Europawahl

Alle 5 Jahre wählen die Bürger und Bürgerinnen der Europäischen Union (EU) ein neues Europäisches Parlament. Alle, die wählen gehen, entscheiden mit, wer die Bürger und Bürgerinnen im Europäischen Parlament vertritt. Gewählt wird in allen Staaten der EU.

Vor der Europawahl / © Boris Roessler (dpa)
Vor der Europawahl / © Boris Roessler ( dpa )
Quelle:
KNA