Papst hält bei Karlspreisverleihung Plädoyer für Europa

Traum von einem "neuen Humanismus"

Papst Franziskus hat zur Karlspreis-Verleihung ein leidenschaftliches Plädoyer für eine Erneuerung Europas gehalten. Er träume von einem "neuen europäischen Humanismus", der sich durch die Fähigkeit zu Integration, Dialog und Kreativität auszeichne.

Papst Franziskus hält ein Plädoyer für Europa / © Oliver Berg (dpa)
Papst Franziskus hält ein Plädoyer für Europa / © Oliver Berg ( dpa )

Das sagte Franziskus bei dem Festakt am Freitag im Vatikan. Nachdrücklich verteidigte er Kulturoffenheit und Mut zur Veränderung im Alten Kontinent: "Die europäische Identität ist und war immer eine dynamische und multikulturelle Identität", so der Papst. [Hier zum Wortlaut der Preisrede]

Idee Europas ins Heute übersetzen

Angesichts einer "zerrissenen und verwundeten Welt", müsse Europa zu der gleichen "Solidarität der Tat" und konkreten Großzügigkeit zurückkehren, die auf den Zweiten Weltkrieg folgte, mahnte Franziskus. Er verwies dabei auf Robert Schuman, einen der Gründerväter der Europäischen Gemeinschaft. Mit "kosmetischen Überarbeitungen oder gewundenen Kompromissen zur Verbesserung mancher Verträge" dürfe man sich nicht zufriedengeben. Die Idee Europas müsse ins Heute übersetzt werden, sagte Franziskus mit dem Wort "Aggiornameto", einem Schlüsselbegriff des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965).

Nur mit einer "starken kulturellen Integration" werde die Staatengemeinschaft "die Größe der europäischen Seele wiederentdecken, die aus der Begegnung von Zivilisationen und Völkern entstanden ist" und die weiter reiche als die aktuellen Grenzen der EU. Mit einem Zitat von Konrad Adenauer warnte Franziskus, nichts gefährde das Abendland so sehr wie eine "Uniformierung des Denkens". Für Integration reiche eine "bloß geografische Eingliederung der Menschen" nicht aus.

Dialogfähigkeit stärken

Als unverzichtbar nannte Franziskus auch Dialogfähigkeit. "Der Frieden wird in dem Maße dauerhaft sein, wie wir unsere Kinder mit den Werkzeugen des Dialogs ausrüsten und sie den 'guten Kampf' der Begegnung und der Verhandlung lehren", sagte er. Eine "Kultur des Dialogs" schlug er als fachübergreifendes Element in den schulischen Lehrplänen vor.

Es gelte, "der jungen Generation eine andere Art der Konfliktlösung einzuprägen als jene, an die wir sie jetzt gewöhnen", so der Papst. Notwendig sei die Fähigkeit, nicht nur militärische oder wirtschaftliche Bündnisse zu schließen, sondern auch kulturelle und religiöse.

Aktive Teilnahme am Aufbau einer integrierten Gesellschaft

Die Bürger Europas mahnte der Papst zu aktiver Teilnahme am Aufbau einer integrierten und versöhnten Gesellschaft. "Die gegenwärtige Situation lässt keine bloßen Zaungäste der Kämpfe anderer zu." Sie sei im Gegenteil ein deutlicher Appell an die persönliche und soziale Verantwortung".

Junge Menschen spielten dabei eine tragende Rolle, so Franziskus. "Sie sind nicht die Zukunft unserer Völker, sie sind ihre Gegenwart." Ein neues Europa lasse sich nicht planen, "ohne dass wir sie einbeziehen und zu Protagonisten dieses Traums machen". In dem Zusammenhang verlangte Franziskus auch die Suche nach gerechteren Wirtschaftsmodellen, die vor allem jungen Leuten eine berufliche Perspektive ermöglichten. "Am Wiederaufblühen eines zwar müden, aber immer noch an Energien und Kapazitäten reichen Europas kann und soll die Kirche mitwirken", sagte der Papst.

Versöhnliche Töne gegenüber "Großmutter" Europa

Sein Verdikt über Europa als "Großmutter" hat der Papst in seiner Rede relativiert. Er erweiterte seinen Eindruck eines "müden und gealterten" Kontinents, den er im November 2014 vor dem Europäischen Parlament in Straßburg geäußert hatte, um den Traum "von einem jungen Europa, das fähig ist, noch Mutter zu sein: eine Mutter, die Leben hat, weil sie das Leben achtet und Hoffnung für das Leben bietet."

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die dem Festakt in der Sala Regia in der ersten Reihe beiwohnte, reagierte auf die entschuldigende Erwähnung der "Großmutter" Europa mit einem spontanen Lächeln.

Im Februar hatte eine italienische Tageszeitung ohne klare Quellenangabe berichtet, Franziskus habe gegenüber einem Besucher von einem verärgerten Anruf Merkels wegen des "Großmutter"-Vergleichs gesprochen. Regierungssprecher Steffen Seibert und Vatikansprecher Federico Lombardi dementierten, dass es ein solches Telefonat gegeben habe.

Appell an europäisches Gewissen

Papst Franziskus redete Europa in seiner Preisrede am Freitag dennoch ins Gewissen: "Was ist mit dir los, humanistisches Europa, du Verfechterin der Menschenrechte, der Demokratie und der Freiheit? Was ist mit dir los, Europa, du Heimat von Dichtern, Philosophen, Künstlern, Musikern, Literaten? Was ist mit dir los, Europa, du Mutter von Völkern und Nationen, Mutter großer Männer und Frauen, die die Würde ihrer Brüder und Schwestern zu verteidigen und dafür ihr Leben hinzugeben wussten?"

Seine Rede schloss er mit den Worten: "Ich träume von einem Europa, in dem Migrant zu sein kein Verbrechen ist, sondern vielmehr eine Einladung zu einem größeren Einsatz mit der Würde der ganzen menschlichen Person. (...) Ich träume von einem Europa, von dem man nicht sagen kann, dass sein Einsatz für die Menschenrechte an letzter Stelle seiner Visionen stand."

Lesen Sie hier die Berichterstattung über die Grußworte von Aachens Oberbürgermeister Marcel Philipp, EU-Parlamentspräsident Martin Schulz, EU-Kommissionpräsident Jean-Claude Juncker und EU-Ratspräsident Donald Tusk und hier eine Übersicht der Reaktionen auf die Rede.


Quelle:
KNA