Papst Franziskus besucht mit Medellin symbolträchtigen Ort

Die Kirche und die "Option für die Armen"

Medellin steht für eine Wende der lateinamerikanischen Kirche im 20. Jahrhundert - die Hinwendung zu den Armen. Für Franziskus wird der Besuch dort so etwas wie eine Rückkehr zu den Wurzeln.

Autor/in:
Burkhard Jürgens
Gottesdienst in Medellin mit Papst Paul VI. während seiner Reise nach Kolumbien  / © Hans Knapp (KNA)
Gottesdienst in Medellin mit Papst Paul VI. während seiner Reise nach Kolumbien / © Hans Knapp ( KNA )

Für Papst Franziskus, der beständig eine arme Kirche für die Armen fordert, kann bei seiner Kolumbien-Reise ein Besuch in Medellin nicht fehlen. Die pulsierende Millionenmetropole, wegen ihres milden Klimas «Stadt des ewigen Frühlings» genannt, ist auch so etwas wie eine Wiege der Befreiungstheologie. Vor knapp 50 Jahren bahnten hier die lateinamerikanischen Bischöfe den Weg für die "Option für die Armen". Am Samstag (9. September) feiert Franziskus dort mit Hunderttausenden Menschen eine Messe.

Anklage gegen die Armut

Vom 24. August bis 6. September 1968 kamen im Priesterseminar von Medellin die lateinamerikanischen Bischöfe zusammen. Es war die zweite Generalversammlung der Oberhirten seit der Gründung des lateinamerikanischen Bischofsrates CELAM 1955 in Brasilien. Am Ende der Beratungen in Kolumbien stand eine flammende Anklage gegen die Armut: Ganze Gesellschaftsteile in Lateinamerika würden sozial an den Rand gedrängt, so die Bischöfe. "Dieses Elend als Massenerscheinung ist eine Ungerechtigkeit, die zum Himmel schreit."

Eröffnung mit Selbstverpflichtung

Das Schlagwort "Option für die Armen" findet sich in keinem der 16 Schlussdokumente. Aber die Texte der Versammlung zielen unzweifelhaft in diese Richtung. "Die Armut so vieler Brüder und Schwestern schreit nach Gerechtigkeit, Solidarität, Zeugnis, Engagement", heißt es in dem Papier "Armut der Kirche". Und weiter: "Diese Solidarität bedeutet, dass wir uns ihre Probleme und Kämpfe zu eigen machen und für sie zu sprechen wissen."

Die Bischöfe eröffnen das Dokument mit einer hehren Selbstverpflichtung: "Der lateinamerikanische Episkopat darf angesichts der ungeheueren sozialen Ungerechtigkeiten in Lateinamerika nicht gleichgültig bleiben", und sie fügen einen Satz an, der sich an die Armen richtet: "Wir hören den Schrei, der aus euren Leiden emporsteigt."

Paul VI. und die Eröffnung

Dieses Zitat stammt von Papst Paul VI. (1963-1978), der - was weithin übersehen wird - die Oberhirten Lateinamerikas zu sozialem Engagement antrieb. Nicht zufällig machte Paul VI. die Eröffnung der Konferenz in Medellin zur Chefsache. Tags zuvor, am 23. August, feierte er mit kolumbianischen Kleinbauern eine Messe auf freiem Feld.

Der Papst wollte die Umsetzung des erst vor kurzem beendeten Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) in Lateinamerika ankurbeln. Der Kontinent beheimatete schon damals einen Großteil der katholischen Weltbevölkerung; aber weite Teile des Klerus, vor allem jene, die traditionell den Eliten nahestanden, hatten auch nach der kommunistischen Revolution (1953 - 1959) in Kuba die Zeichen der Zeit offenbar nicht recht mitbekommen.

"Sehen - Urteilen - Handeln"

Paul VI. war demgegenüber sensibilisiert für soziale Gerechtigkeit. Erst 1967, gut ein Jahr vor Medellin, hatte er seine Enzyklika "Populorum progressio" veröffentlicht - ein Lehrschreiben, in dem er ungerechte Güterverteilung, egoistisches Wirtschaften und Raubbau anprangert. Die Anschauung dafür bezog er unter anderem aus Lateinamerika: Eine Reise als Erzbischof von Mailand 1960 brachte ihn dort, wie er in der Enzyklika schreibt, "in unmittelbare Berührung mit den beängstigenden Problemen" sozialer Not.

Zwei Wochen vor Ende des Konzils 1965 traf sich Paul VI. mit den lateinamerikanischen Bischöfen in Rom und legte ihnen als Grundmodell des neuen, weltzugewandten kirchlichen Engagements den Dreischritt "Sehen - Urteilen - Handeln" ans Herz - später ein Kennzeichen der Befreiungstheologie. Für die entscheidende Kurswende, mit der die Kirche Lateinamerikas auf die gesellschaftlichen Umbrüche antworten sollte, legte Paul VI. in Medellin 1968 also selbst die Hand ans Ruder.

In eine Programmschrift der Oberhirten aufgenommen

Bei der dritten Generalversammlung der lateinamerikanischen Bischöfe im mexikanischen Puebla (1979) wurde das Schlagwort der "bevorzugten Option für die Armen" erstmals wörtlich in eine Programmschrift der Oberhirten aufgenommen. Und fast drei Jahrzehnte später sollte ausgerechnet Benedikt XVI. (2005-2013), der einst als Glaubenspräfekt linke Auswüchse der Befreiungstheologie bekämpft hatte, bei der Eröffnung der fünften Generalversammlung 2007 im brasilianischen Aparecida diese Wendung wörtlich übernehmen. Ein argentinischer Kardinal sorgte damals dafür, dass auch in Aparecida der Begriff im Schlussdokument übernommen und bekräftigt wurde. Es war Jorge Bergoglio, der heutige Papst Franziskus.

 

Quelle:
KNA
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