Papst Franziskus besucht am Samstag Sarajevo

Gegen das Vergessen

Es ist ein sehr symbolischer Papst-Besuch für die Geschichte Europas. Die Lage in Bosnien-Herzegowina ist derzeit so angespannt wie lange nicht mehr. Die Katholiken des Landes hoffen auf Unterstützung.

Autor/in:
Annette Reuther und Thomas Brey
Blick über Sarajevo / © Friederike Seeger (DR)
Blick über Sarajevo / © Friederike Seeger ( DR )

Als Papst Johannes Paul II. vor fast 20 Jahren Sarajevo besuchte, wehte ein eisiger Wind. "Der Schnee flog horizontal", erinnert sich Papst-Sprecher Federico Lombardi SJ an die Messe im Olympiastadion, die Bedingungen seien in jeder Hinsicht hart gewesen. Damals, im April 1997, war der Bosnien-Krieg erst vor kurzem zu Ende gegangen. Nun - 20 Jahre nach dem Krieg zwischen orthodoxen Serben, muslimischen Bosniern und katholischen Kroaten - besucht Papst Franziskus am Samstag die Hauptstadt des immer noch tief gespaltenen Balkan-Landes.

Jetzt im Juni wird das Wetter wohl besser sein und auch die Kriegsfolgen sind nicht mehr so unmittelbar spürbar wie einst. Doch die politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Situation ist so angespannt wie lange nicht. "Sarajevo ist ein entscheidender Ort für die Dramen der europäischen Geschichte", sagt Lombardi. Von 1992 bis 1995 tobte der Krieg und zerstörte große Teile der Stadt.

Die sozialen Konflikte brechen immer wieder auf

Motto der achten Auslandsreise von Franziskus ist "Friede sei mit Euch". "Die jetzige Lage des Landes ist immer noch schwierig. Es hat einen dramatischen Krieg und viele Spannungen zwischen den muslimischen, orthodoxen und katholischen Bevölkerungsgruppen hinter sich. Die Wirtschaft liegt am Boden, viel Wiederaufbau muss noch geleistet werden, die sozialen Konflikte brechen immer wieder auf."

Seit dem Besuch von Johannes Paul II. 2003 in Banja Luka im Norden des Landes war kein Papst mehr in Bosnien-Herzegowina. Die Hoffnung ist vor allem unter den Katholiken, der kleinsten Bevölkerungsgruppe, groß, dass Franziskus ihr Anliegen für mehr Anerkennung unterstützt. Für den Papst stehe das Thema Frieden und Aussöhnung bei dieser Reise im Vordergrund, sagt Lombardi.

Zusammenleben dreier großer Volksgruppen

Franziskus will den Katholiken, die zwölf Prozent der 3,8 Millionen Einwohner ausmachen, den Rücken stärken. Er will aber auch zu Frieden und einer konstruktiven Entwicklung des Landes aufrufen. Dabei spielen die Religionen eine zentrale Rolle. Lange Zeit hatte der Islam bosnischer Prägung, der im Zuge der Ausbreitung des Osmanischen Reiches nach Norden hier Fuß fasste, einen Mustercharakter. Nie war es zu einer absoluten Islamisierung gekommen; es bildete sich eine religiös plurale Gesellschaft. Der genuin europäische Islam Bosniens war dialogbereit. Muslime sowie Christen verschiedener Konfessionen lebten, wohnten und feierten nebeneinander, heirateten in der Regel ohne Schwierigkeiten untereinander.

Allerdings haben die Kämpfe im gewaltsam auseinanderbrechenden Jugoslawien diese Koordinaten weiter verschoben. Heute sei "der große Wunsch nach einem konstruktiven Zusammenleben der drei großen Volksgruppen und damit verbunden der Wunsch nach einer Lebensperspektive für die jungen Menschen" offensichtlich, sagte Herbert Schedler, Länderreferent für das Osteuropa-Hilfswerk Renovabis, gegenüber domradio.de. Bei den Volksgruppen geht es um orthodoxe Serben, muslimische Bosnier und katholische Kroaten.

Straffes Tagesprogramm für Franziskus

Nur einen Tag wird Franziskus in Sarajevo sein. Das Programm wird umso straffer. Nach dem Treffen mit den offiziellen politischen Repräsentanten steht eine Messe im Stadion an, in dem 1984 die Olympischen Winterspiele stattfanden. Vor allem aus dem katholischen Nachbarland Kroatien werden Zehntausende Pilger erwartet.

Symbolisch wird das Treffen des Papstes mit den Vertretern der drei Religionen. Laut Papst-Sprecher wird sich Franziskus wohl nicht zu dem angeblichen Marienerscheinungsort Medjugorje äußern, zu dem jedes Jahr etwa zwei Millionen Pilger strömen. Eine vatikanische Kommission untersucht derzeit, ob der Ort offiziell als Erscheinungsort anerkannt wird.

Katholiken hoffen auf mehr Bürgerrechte

Der Erzbischof von Sarajevo, Kardinal Vinko Puljic, erklärte in einem Interview, man hoffe, dass Franziskus "Bosnien und Herzegowina aus der Vergessenheit der internationalen Gemeinschaft" hole. Denn die tiefen Gegensätze zwischen den Bevölkerungsgruppen haben sich in den letzten Monaten verschärft. Gerade hat die SDA als größte muslimische Partei des Landes ein Programm angenommen, das die serbische Landeshälfte abschaffen will. Das gebirgige Land soll stattdessen zentralisiert werden. Die Serben ihrerseits drohen, spätestens im Jahr 2017 ein Referendum für ihre Abspaltung von Bosnien und den Anschluss an das "Mutterland" Serbien zu organisieren.

Die katholischen Kroaten pochen auf mehr Rechte im Staat, die ihr die beiden anderen Völker auf keinen Fall zugestehen wollen. Sie hoffen daher auf einen Wink des Papstes, der ihre Ambitionen stützen könnte. Der Theologieprofessor Ivan Sarcevic hat in der größten Zeitung "Dnevni avaz" in Sarajevo ein düsteres Bild gezeichnet: Der Bürgerkrieg "ist nicht gerecht beendet worden. Er ist nur unterbrochen. Jetzt wird er mit Kriegsideologie und -rhetorik fortgesetzt. Wenn man das nicht entkräftet, trägt das den Keim eines neuen zukünftigen Krieges in sich". Trotz aller Spannungen: Besondere Sicherheitsbedenken beim Papst-Besuch gebe es nicht, sagt Vatikan-Sprecher Lombardi.

 


Quelle:
dpa , DR , KNA