Osttimor kämpft seit Unabhängigkeit vor zehn Jahren um Anschluss

Freies Land, armes Land

Seit 10 Jahren ist Osttimor unabhängig. Über etwa 400 Jahre gehörte das Land vorher zum portugiesischen Kolonialreich, ehe es nach einem Bürgerkrieg um staatliche Unabhängigkeit 1975 von Indonesien annektiert wurde – und Hunderttausende ermordet wurden.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
 (DR)

Bis zu 200.000 der damals 800.000 Osttimorer starben unter der Knute der indonesischen Besatzer, nachdem Portugal den Inselteil Osttimor 1975 eigentlich in die staatliche Unabhängigkeit entlassen wollte. Einen neuen Höhepunkt erreichte die Gewalt im Vorfeld des Referendums, das endlich 1999 gegen den erbitterten Widerstand Jakartas zustande kam. Doch auch übelste Menschenrechtsverletzungen konnten nicht verhindern, was schließlich am 20. Mai 2002, vor zehn Jahren, Wirklichkeit wurde: Osttimor wurde unabhängig. Seitdem läuft ein neuer Kampf: um den Aufschwung eines freien, aber armen Landes, das mit vielen Problemen zu kämpfen hat.



Just dieser Tage vollzieht sich in der Hauptstadt Dili ein neuerlicher Zeitenwandel: Die Epoche der Gründerväter geht zu Ende. Am Unabhängigkeitstag, dem 20. Mai (Sonntag), gibt Jose Ramos-Horta nach einer Wahlniederlage im April sein Amt als Staatspräsident ab - jener Mann, der für seinen unermüdlichen Kampf um Gerechtigkeit und Unabhängigkeit zusammen mit Bischof Carlos Filipe Ximenes Belo 1996 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde. Belo hatte sich, erschöpft von den Jahren des Widerstands, schon Ende 2002 als Bischof von Dili zurückgezogen und war als Missionar nach Mosambik gegangen.



Ordentliche wirtschaftliche Wachstumsraten

Der dritte der prominenten "Gründerväter", Xanana Gusmao, muss bei den Parlamentswahlen im Juli sein Amt als Ministerpräsident verteidigen. Der Ausgang ist ungewiss. Zwar zeigten sich zuletzt drei Viertel der heute rund 1,1 Millionen Osttimorer zufrieden mit dem zarten Pflänzchen eines wirtschaftlichen Aufschwungs. Allerdings sitzt die einstige Rebellenorganisation Fretelin - als stärkste politische Kraft - schon allzu lang auf der Oppositionsbank. Zudem sorgten manche Regierungsentscheidungen für Unmut, etwa die Freilassung eines indonesischen Kriegsverbrechers (als Versöhnungsgeste gegenüber dem großen Nachbarn) sowie Verhandlungen über eine Verpachtung großer Landflächen an indonesische Zuckerrohrgroßunternehmen auf 50 Jahre - gegen einen schmalen Taler.



Zuletzt gab es ordentliche wirtschaftliche Wachstumsraten, allerdings von einem denkbar niedrigen Niveau aus: Osttimor gilt nach Afghanistan als das zweitärmste Land Asiens. Seit Jahren setzt man auf eine baldige Erschließung der reichen Ölvorräte in der Timorsee; doch findet sich bislang kein technologisch potenter Partner, der das Land nicht bei der Erschließung über den Tisch zu ziehen droht. So bleiben die wirtschaftlichen Eckdaten vergleichsweise düster.



Die Bevölkerung wächst rasant

In dem kriegszerstörten Land von der Größe Thüringens fehlt es an Infrastrukturen aller Art: Die meisten der wenigen Straßen sind baufällig, es fehlen ausreichende Häfen und Flughäfen. Nur jeder fünfte Landbewohner hat Anschluss ans Stromnetz, nur jeder achte Bürger ein Mobiltelefon; nur jeder 500. gar Zugang zum Internet; die Zahl der Festnetzleitungen landesweit: etwa 2.000. Ein wichtiger Exportartikel ist Kaffee, doch sind die Nutzpflanzen hoffnungslos überaltert und viel Knowhow durch die Kriegsjahre verlorengegangen.



Alphabetisierung und medizinische Versorgung machen zuletzt deutliche Fortschritte - freilich von null aus. Die Bevölkerung wächst rasant: Fast die Hälfte ist unter 15 Jahre alt - massive Jugendarbeitslosigkeit ist vorprogrammiert. Aus der Besatzungszeit gibt es eine Murmel- und Flüsterkultur in dem Vielvölkerstaat, die Gerüchten aller Art und auch schweren Krisen und Unruhen wie in den Jahren 2006 bis Anfang 2008 Vorschub leistet.



Der neu gewählte Präsident, der frühere Widerstandskämpfer und spätere Armeechef Taur Matan Ruak, hat die Wähler mit Friedens-, Fortschritts- und Einigungsparolen hinter sich bringen können. Noch mindestens bis Jahresende kann er sich dabei auf die Stabilisierung durch rund 1.200 UN-Blauhelme stützen. Ob deren Mandat dann auch für 2013 erneut verlängert wird, hängt nicht zuletzt davon ab, wie sich Osttimor in der Ära nach Ramos-Horta - und vielleicht auch Gusmao - entwickeln wird.