Bischof Bätzing über Herausforderungen in Corona-Krise

"Ostern findet statt"

Erstmals in der Geschichte gilt ein Gottesdienstverbot. Das sei schmerzlich, sagt der neue Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing im Interview. Aber es mache die Kirche auch kreativ.

Bischof Georg Bätzing im Portrait / © Julia Steinbrecht (KNA)
Bischof Georg Bätzing im Portrait / © Julia Steinbrecht ( KNA )

dpa: Wenn die Corona-Epidemie eines offenbart, dann die Macht der Natur. Wenn nichts getan wird, überleben nur die Stärksten. Wo ist in dieser Welt eigentlich Platz für den liebenden Gott, den das Christentum predigt? Zeigt sich hier nicht mal wieder, dass das alles nur eine schöne Illusion ist?

Bischof Georg Bätzing (Bischof von Limburg und Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz): Es zeigt sich doch aber genauso die Kraft zwischenmenschlicher Solidarität. Ich bin überzeugt, diese Kraft einer humanen Gesellschaft hat tiefe Wurzeln im christlichen Gottesbild. Der liebende Gott ist in jedem präsent, der es aushält, alleine zu Hause zu bleiben, um andere zu schützen. Und auch die menschliche Vernunft und die medizinische Forschung und Wissenschaft, die global vernetzt arbeitet, zeigen uns, was sie leisten können.

Menschen, die sich selbst einsetzen, sind für mich solche, die den Gott bezeugen, der uns mit all diesen Kräften begabt hat. So werden wir die Macht der Natur - konkret dieses Virus - brechen können.

dpa: Hat es eine solche Krise wie derzeit mit landesweiten Gottesdienstverboten in der Geschichte schon einmal gegeben?

Bätzing: Vergleichbares gab es zumindest nach meiner Erinnerung bislang nicht. In Kriegszeiten kam es sicher zur Verlegung oder kurzfristigen Absage einzelner Gottesdienste. Aber auch die Ursache der jetzigen Situation - eine weltweite Pandemie - ist ja ebenso unvergleichlich.

dpa: In Krisenzeiten schlägt eigentlich immer die große Stunde der Kirchen. Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie daran denken, dass dieses Mal Gottesdienste verboten sind?

Bätzing: Es gibt natürlich gute Gründe dafür, dass wir uns derzeit nicht versammeln: Körperlicher Abstand bedeutet in diesen Zeiten Sicherheit für uns und vor allem für die besonders gefährdeten kranken und alten Menschen - das ist jetzt ein Gebot der Nächstenliebe. Gleichzeitig stelle ich gerade in der gegenwärtigen Krise ein starkes Bedürfnis nach Halt und Orientierung fest.

dpa: Ein Bedürfnis, dem Sie nicht entsprechen können?

Bätzing: Wir bieten ja vieles andere an, von der Übertragung von Gottesdiensten im Fernsehen bis hin zu kreativen Ideen für Gebetszeiten in der Familie.

dpa: Aber wenn Sie an Ostern denken, das höchste Fest im Christentum, wird Ihnen da nicht bange? Was wollen Sie tun, damit das diesmal nicht eine sehr traurige Veranstaltung wird?

Bätzing: Ostern findet statt! Das ist die wichtigste Botschaft. Ja, es ist sehr schmerzlich, dass wir diese besonderen Tage im Jahr nicht in gewohnter Weise gottesdienstlich feiern können. Wir werden aber auch über die modernen Medien viele Gottesdienste anbieten können.

Ich bin ganz zuversichtlich, der Funke der Freude wird auch so überspringen.

dpa: Die Kirche hat die Pflicht zum sonntäglichen Gottesdienstbesuch nun aufgehoben, und die Beichte kann kollektiv - in Generalabsolution - abgenommen werden. Es wirkt etwas merkwürdig, wenn solche ehernen Gebote plötzlich mir nichts dir nichts kassiert werden. Das erweckt den Eindruck, die Kirche halte diese Regeln normalerweise nur deshalb aufrecht, um Macht über die Gläubigen auszuüben.

Bätzing: Wenn wir jetzt von Regelungen abweichen, die in normalen Zeiten gelten, dann verstehen die Gläubigen das sehr wohl. Ich stelle keineswegs fest, dass der Eindruck entsteht: Ach, dann ist das alles ja wohl gar nicht so wichtig. Ganz im Gegenteil: Viele signalisieren mir ihr größtes Bedauern darüber, dass nun am Sonntag und an den Festtagen keine gemeinsamen festlichen Feiern möglich sind.

dpa: Aber vor allem die Jüngeren erreichen Sie mit herkömmlichen Gottesdiensten ja immer weniger.

Bätzing: Im Moment mache ich eher die andere Erfahrung. Was bislang selbstverständlich und in diesem Sinne auch irgendwie "gewöhnlich" war, wird jetzt sehr kostbar. Die Vielfalt von Gottesdienstformen vom Kindergottesdienst über Taizégebete, Nightfever, Psalmen, Bibel-Teilen, Rosenkranz und so weiter, die die katholische Kirche kennt, ist ein unglaublicher Reichtum.

dpa: Wie können Seelsorger trotz aller Einschränkungen in Kontakt mit den Gläubigen bleiben?

Bätzing: Viele greifen zum Telefon, sie skypen und mailen. Dann sind die Seelsorgerinnen und Seelsorger bei den großartigen Aktionen junger Menschen für konkrete Helferdienste engagiert...

dpa: ...was sagen Sie zu dieser Welle der Hilfsbereitschaft?

Bätzing: Es ist einfach wunderbar. Das zeigt im besten Sinne, was menschenmöglich ist... Hoffentlich bewahren wir uns das lange über die Krise hinaus.

dpa: Stimmt es, dass in Italien schon mehrere Priester an Corona gestorben sind, weil sie Kranken die Sterbesakramente erteilt haben?

Bätzing: Ja, am vergangenen Montag waren das schon 60, wie ich gelesen habe. Fast alle gehörten zu den besonders gefährdeten Personengruppen und haben sich im seelsorglichen Dienst angesteckt.

Das ist schon bewundernswert. Aber sicher auch nicht einfach zur Nachahmung empfohlen. Jeder muss sich selbst schützen, so gut es geht.

dpa: Was glauben Sie: Wie wird sich unsere Gesellschaft durch die Corona-Krise verändern?

Bätzing: Im Moment erleben wir einen historischen Augenblick, der ganz sicher die Zukunft verändert. Positives an menschlicher Fürsorge werden wir hoffentlich bewahren. Aber mir machen die ökonomischen Auswirkungen größte Sorgen. Viele Menschen bangen um ihre berufliche Existenz. Die staatlichen Unterstützungsmaßnahmen sind da ganz wichtig, und sie müssen schnell greifen.

Hoffentlich erinnern wir uns nach der Krise nochmal daran, wer jetzt die "Helden des Alltags" sind: die Pflegekräfte und Ärzte, die Verkäuferinnen und Angestellten in den Supermärkten, die Freiwilligen und Hauptberuflichen der Feuerwehr und des Roten Kreuzes, der Hilfsdienste und der Polizei. Werden diese Dienste wirklich so geschätzt und auch so entlohnt, wie sie es verdient haben?

dpa: Und wie könnte sich die Kirche verändern?

Bätzing: Wir üben uns jetzt in neuen Formen der Kommunikation. Die Erfahrungen werden wir auswerten. Vor allem aber spüre ich: Geistliche Angebote zur Orientierung für Menschen werden sehr nachgefragt. Wir werden gebraucht. Deshalb werden wir uns auch ganz sicher nicht aus dem öffentlichen Raum zurückziehen. Unsere offene Gesellschaft lebt ganz entscheidend von Menschen und Institutionen wie der der Kirche, die Werte leben und vermitteln.

Das Interview führte Christoph Driessen.


Quelle:
dpa
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