DOMRADIO.DE: Neben der Feuerzunge gilt besonders die Taube als Symbol für den Heiligen Geist und Pfingsten. Dabei kommt sie in der eigentlichen Pfingstgeschichte gar nicht vor. Wie kann das sein?

Schwester Gabriela Zinkl (Kongregation der barmherzigen Schwestern
vom Heiligen Karl Borromäus im Kloster Grafschaft): Ja, das stimmt – das muss man zunächst einmal zähneknirschend zugeben. In der Pfingsterzählung geht es eher um einen Sturm und um Zungen wie von Feuer. Aber im griechischen Urtext ist ganz klar vom Heiligen Geist die Rede. Für die frühen Christen war deshalb sofort klar: Der Heilige Geist ist die weiße Taube. Dieses Symbol kannten sie bereits aus anderen Stellen im Neuen Testament.
Bei der Taufe zum Beispiel öffnet sich der Himmel, und Gott sendet eine Taube vom Himmel herab. Auch bei der Verkündigung von Engel Gabriel an Maria war eine Taube dabei. Nach der Himmelfahrt Jesu kehrt die Taube als Heiliger Geist wieder in den Himmel zurück. Und auch bei der Aufnahme Mariens in den Himmel ist die Taube als Heiliger Geist dabei.
Für die ersten Christinnen und Christen war daher klar: Das Pfingstgeschehen ist kein Hirngespinst – hier ist Gott am Werk, durch seinen Heiligen Geist.
DOMRADIO.DE: Und die Taube hat auch darüber hinaus eine biblische Tradition.
Schwester Gabriela Zinkl: Die wahrscheinlich schönste und bekannteste Geschichte kennen wir alle, die der Arche Noah. Dort lässt Noah eine Taube fliegen, um zu sehen, ob das Wasser schon zurückgegangen ist. Die Taube kehrt mit einem Olivenzweig im Schnabel zurück. Das ist ein wunderschönes Happy End mit einer starken Hoffnungsbotschaft.
Auch an anderen Stellen im Alten Testament ist die Taube ein bedeutendes Symbol, zum Beispiel für Frieden zwischen verfeindeten Völkern. Diese Symbolik hat später sogar Pablo Picasso aufgegriffen, für den Weltfriedenskongress 1948 hat er ein Plakat mit einer Friedenstaube gestaltet. So wurde dieses Bild noch einmal ganz neu belebt.
DOMRADIO.DE: Warum passt die Taube denn so gut als Symbol für den Heiligen Geist?
Schwester Gabriela Zinkl: Wenn wir uns Darstellungen der Taube zu Pfingsten ansehen – etwa das berühmte Fenster im Petersdom oder auch die Plakate zur Firmung in vielen Pfarreien – sehen wir fast immer eine weiße Taube mit ausgebreiteten Flügeln. Sie ist im Flug, im Anflug, sie ist in Bewegung. Und genau das ist entscheidend: Der Heilige Geist sitzt nicht einfach da und wartet. Er ist dynamisch, lebendig, kraftvoll.
Das verbindet die Taube mit den Feuerzungen aus der Pfingstgeschichte. Es geht um Bewegung, um eine Kraft, die über uns hinausgeht und die wir kaum in Worte fassen können. Begriffe wie "Feuerzunge" oder "Taube" sind letztlich nur Bilder für dieses Geheimnis.
Ich persönlich glaube:, dass der Heilige Geist im Anflug ist. Er wartet darauf, dass wir bereit sind, ihn zu empfangen. Darum können wir beten.
DOMRADIO.DE: Haben Sie selbst eine persönliche Verbindung zur Taube?
Schwester Gabriela Zinkl: Ja, ich mag Tauben, egal ob weiß oder grau. Ich beobachte sie gern. Natürlich kenne ich auch ihre weniger charmanten Seiten. Als ich früher im Konvent in Jerusalem gelebt habe, musste ich oft den Taubendreck von unseren Klostermauern entfernen.

Heute, im Kloster Grafschaft, fliegt manchmal eine graue Taube an mein Fenster. Sie ruht sich kurz aus, und wir schauen uns neugierig an – fast so, als würden wir uns schon ein bisschen kennen.
In Jerusalem habe ich viele Fotos gemacht, besonders von Tauben, die vor Stacheldraht oder Mauern saßen. Das Schönste war, wenn sie plötzlich aufstiegen und einfach darüber hinwegflogen. Diese Bilder geben mir bis heute Hoffnung.
DOMRADIO.DE: Mit welchem Wunsch könnten wir eine Friedenstaube zu Pfingsten in Gedanken fliegen lassen?
Schwester Gabriela Zinkl: Ich würde daraus fast eine Fürbitte machen. Vielleicht so:
"Heiliger Geist, liebe Pfingsttaube – ich wünsche mir, dass du viele Menschen in den Kriegsgebieten und Konfliktherden unserer Welt inspirierst, damit sie Frieden miteinander und Leichtigkeit bringen."
Das ist eine Botschaft, die wir mit dem Heiligen Geist verbinden können. Und für die wir beten können.
Das Interview führte Hilde Regeniter.