Kritik an Methoden des Missbrauchsberichts in Frankreich

Offener Streit um Stellungnahme von Katholischer Akademie

Der Untersuchungsbericht schlug im Oktober wie eine Bombe ein. Nun bemängeln Mitglieder der Katholischen Akademie Frankreichs Schwächen im Befund der Kommission zum Thema Kirche und Missbrauch. Es gibt heftigen Streit.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
Gestapelte Akten / © 123graphic (shutterstock)

Und wieder dicke Luft in der Kirche in Frankreich. Kaum hat der Pariser Erzbischof Michel Aupetit dem Papst wegen Gerüchten um seine Person und Kritik an seiner Amtsführung seinen Rücktritt angeboten, gibt es Streit an einer anderen Front. Acht Mitglieder der Katholischen Akademie Frankreichs, darunter ihr Präsident Hugues Portelli, haben scharfe Kritik am Abschlussbericht der unabhängigen Untersuchungskommission zu Missbrauch in der Kirche (Ciase) geübt.

Austritte von Akademiemitgliedern als Protest

Und sie haben ihre Einschätzung nicht nur an den Auftraggeber des Ciase-Reports geschickt, Erzbischof Eric de Moulins-Beaufort, den Vorsitzenden der Bischofskonferenz und selbst Mitglied der Akademie, sondern über den Vatikanbotschafter in Frankreich auch direkt an Papst Franziskus, inklusive einem gepfefferten Begleitschreiben. Nun geht es nicht nur um die Inhalte, sondern auch um den Stil. Zahlreiche Akademiemitglieder traten aus Protest gegen das Vorgehen ihrer Kollegen aus.

Der Ciase-Bericht hatte Anfang Oktober eine Schockwelle durch das Land und durch die Weltkirche gesendet. Papst Franziskus sprach von "Scham" und "Schande". Es waren vor allem die Zahlen, die schockierten. Auf 216.000 schätzt die Kommission die Zahl minderjähriger Opfer sexueller Übergriffe durch Priester, Diakone und Ordensleute in der katholischen Kirche in Frankreich seit 1950. Nimmt man Laien und Mitarbeiter in kirchlichen Einrichtungen, Pfarreien und Katechese hinzu, kommt sie sogar auf geschätzt 330.000 Opfer. Die Zahl läge damit - absolut und auch relativ - um ein Vielfaches höher als die in vergleichbaren europäischen Ländern ermittelten.

Kritik: Formelle, theologische und rechtliche Schwächen

Bei den Zahlen in Frankreich handelt es sich nicht um aktenkundige Verdachtsfälle, sondern um "Hochrechnungen auf sexualwissenschaftlicher Basis". So wurden etwa der Zugang von Lehrern zu minderjährigen Schülern über viele Jahre und die statistische Häufigkeit von Taten pro einschlägigem Täter eingerechnet, das Ergebnis ist eine sogenannte Dunkelfeldstudie.

Methodisch unverantwortlich finden das die acht Mitglieder der Akademie, eines Gremiums, in dem katholische Intellektuelle aller Couleur vertreten sind. Alle Welt, vor allem die Medien, sprächen statt über die tatsächlichen 2.738 Zeugenaussagen nur noch über diese gigantische Schätzzahl, die durch nichts belegt sei.

Zudem kritisieren die Akademiemitglieder auf 15 Seiten, zuweilen aggressiv formuliert, theologische und rechtliche Schwächen sowie "teils gefährliche Analysen" des Ciase-Berichts. Es fehle an "wissenschaftlicher Strenge". Die "unverhältnismäßige Bewertung" nähre den Diskurs von einem systemischen Charakter von Missbrauch und befeuere die Rede vom "Sturz der Institution Kirche", so die acht Unterzeichner.

Schlussfolgerungen "für die Kirche ruinös"

Auf philosophischer und theologischer Ebene bemängeln die Verfasser, dass sich der Ciase-Bericht nur auf die Evangelien beziehe; er ignoriere Inhalte des Katechismus der Katholischen Kirche und dessen Moraltheologie. Es sei "bedauerlich, dass ein Text, für den so viele personelle und finanzielle Mittel aufgewandt wurden", eine "unvollkommene Ekklesiologie, eine schwache Exegese und eine überholte Moraltheologie" zutage treten lasse.

Mit Blick auf die rechtlichen Grundlagen wird festgestellt, dass die Kirche keine juristische Person sei. Haften müsse der einzelne, der für den Schaden verantwortlich sei. Zudem müssten die Taten "mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden"; dazu brauche es mehr als die Aussagen von Opfern. Für die Entschädigungsdebatte verweisen die Unterzeichner auf die Rechtsgrundsätze von Verjährung, Rückwirkungsverbot und Eigenverantwortung.

Die Schwächen des Ciase-Berichts, so argumentieren sie, relativierten auch seine Schlussfolgerungen, die "für die Kirche ruinös sein könnten". Auch könnten die Empfehlungen "einer Kommission ohne kirchliche oder zivile Autorität" nicht bindend für das Handeln der Kirche sein.

Kritik sei "unausgegoren und übertrieben"

Der Kommissionsvorsitzende Jean-Marc Sauve, ein früherer Richter, Ex-Vizepräsident des Französischen Staatsrates und ebenfalls Mitglied der Katholischen Akademie, weist die Kritik zurück. Im Interview der Zeitung "La Croix" sagte er, nichts in dem neuen Dokument stelle die Analyse seiner Kommission in Frage. Er arbeite mit seinen Kollegen bereits an einer umfassenden Widerlegung.

Die Angriffe seien "unausgegoren und übertrieben" und kämen aus traditionalistischen Kreisen, sagte Sauve. Das Begleitschreiben bezeichnete er als ein "Geflecht giftiger Angriffe", begleitet von einer Aufforderung an die Kirche, nichts zu tun "sowohl in Bezug auf moralische und finanzielle Wiedergutmachung als auch in Bezug auf Verhaltensänderungen oder Regeln, solange eine objektive Wahrheit nicht festgestellt ist". Ein solcher Appell sei "besonders unangemessen" angesichts der inzwischen bereits getroffenen Entscheidungen der Kirchenleitung wie auch angesichts der "Dürftigkeit der Argumente der Akademiemitglieder". Zudem sei er eine Beleidigung für die Opfer.

Seit das Schreiben der acht Mitglieder bekannt wurde, erlebt die renommierte Akademie eine Austrittswelle - auch weil viele Mitglieder nicht über die Aktion informiert waren. Neben anderen zogen sich der Episkopatsvorsitzende de Moulins-Beaufort und die Vorsitzende der Ordensoberenkonferenz (Corref), Veronique Margron, aus dem Gremium zurück. Gegründet worden war die Akademie 2008, genau einen Monat nach dem Besuch von Papst Benedikt XVI. in Paris. Sie sollte den Dialog unter den katholischen Intellektuellen fördern und für eine bessere Sichtbarkeit des Christentums in der gesellschaftlichen Ideendebatte sorgen.

Vatikan-Besuch auf unbekannte Zeit verschoben

Nun schlagen die Wellen hoch und haben offenbar auch die römische Kirchenspitze erreicht. Kurz nachdem das kritische Schreiben der Akademie-Oberen an Franziskus öffentlich wurde, teilte der Vatikan mit, dass der für 9. Dezember geplante Vatikan-Besuch der Sauve-Kommission auf unbekannte Zeit verschoben sei. Der Kalender des Papstes müsse nach dessen Zypern-Reise (2. bis 6. Dezember) neu justiert werden.

Eine vatikanische Quelle verriet "La Croix", Kritik an den Zahlen der Kommission sei "bis in die Spitze der Kirche sehr stark". An der Kurie sei man "noch weit davon entfernt, den Willen der französischen Bischöfe zu verstehen, einen solchen Bericht einem unabhängigen Gremium anzuvertrauen", inklusive Handlungsempfehlungen. Daher sei es wichtig, dass die Kommission selbst komme und ihre Arbeit dem Papst vorstelle.


Eric de Moulins-Beaufort  / © Bruno Levy (KNA)
Eric de Moulins-Beaufort / © Bruno Levy ( KNA )

Französische Bischöfe / © Valentine Chapuis (dpa)
Französische Bischöfe / © Valentine Chapuis ( dpa )
Quelle:
KNA
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