DOMRADIO.DE: Ihre Initiative heißt "Für alle: Mit Herz und Verstand". Wer ist mit dabei?
Daniela Pscheida-Überreiter (Leiterin katholisches Büro Sachsen): Aus der Taufe gehoben haben die Initiative das Bistum Dresden-Meißen, das Bistum Görlitz und die Evangelische Landeskirche Sachsen. Diesen drei Begründern haben sich zu unserer großen Freude viele Landeskirchen und Bistümer angeschlossen, wie zum Beispiel das Bistum Osnabrück, das Bistum Würzburg, das Bistum Trier und das Bistum Magdeburg, aber eben auch die Evangelische Kirche von Westfalen, die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern und in Norddeutschland.
Wer tatsächlich alles dabei ist, lässt sich auf unserer Webseite fuer-alle.info nachlesen. Dass die Zahl der Teilnehmer so gewachsen ist, hat natürlich damit zu tun gehabt, dass diese Neuwahlen jetzt sehr schnell kommen. Die anderen standen genauso wie wir vor der Frage: Können wir etwas tun und wie schnell geht das? Wir waren hier in Sachsen in der Situation, dass wir etwas nachnutzen und anbieten konnten.
DOMRADIO.DE: Sie haben eine ähnliche Initiative schon zur letzten Landtagswahl in Sachsen im vergangenen Herbst organisiert. Damals hat die in Teilen rechtsextreme AfD trotzdem über 30 Prozent der Stimmen geholt. Was leiten Sie daraus ab?
Pscheida-Überreiter: Wir stellen erst einmal fest, dass es einen Anteil von etwa einem Drittel der Bevölkerung gibt, das empfänglich für die Botschaften dieser Partei ist. Wir könnten jetzt lange analysieren, woher das kommt. Was diese Menschen angeht, würde ich schon sagen, dass ein Großteil von ihnen ein bestimmtes Weltbild und bestimmte Ansichten hat und sich eher nicht darum kümmert, was die Kirchen sagen. Aber das ist eben nur ein Drittel der Bevölkerung, nicht einmal ein ganzes Drittel.
Daneben aber gibt es viele andere Menschen, für die die Kirchen und ihre Stimme wichtig sein können. Das war eigentlich unser Hauptfokus, uns an Leute zu wenden, die vielleicht ob der Situation verunsichert sind, die vielleicht eine Rückenstärkung, eine Bestärkung in ihrem eigenen Denken und Handeln brauchen. Sie wollen wir motivieren und ihnen sagen: Wir stehen an eurer Seite für eine demokratische und offene Gesellschaft und für Vielfalt. Unsere Kernbotschaften dabei sind Menschenwürde, Nächstenliebe und Zusammenhalt. Dafür wollen wir zusammen kämpfen!
DOMRADIO.DE: Im Titel Ihrer aktuellen Initiative stecken die Worte Herz und Verstand. Sie wollen die Menschen sowohl emotional als auch rational erreichen. Warum ist das wichtig?
Pscheida-Überreiter: Wir als Christinnen und Christen sagen ja, dass es immer um den ganzen Menschen geht. Der Mensch ist ein rationales Wesen, gleichzeitig aber auch ein emotionales Wesen. Beides zusammen macht die Ganzheitlichkeit seines Daseins aus. Deswegen müssen wir beides immer zusammen sehen und zusammen ansprechen. Auch eine Wahlentscheidung ist nicht einfach nur eine rationale Entscheidung, das sollte sie auch gar nicht nur sein.
Auf der einen Seite muss ich natürlich nachdenken und auch rationale Argumente miteinander abwägen, wenn es um konkrete politische Fragen geht. Was ist mir da wichtig? Was möchte ich? Welcher Partei traue ich am ehesten zu, das, was mir wichtig ist, am besten umzusetzen? Aber ich muss eben auch hinschauen und fragen: Was ist denn auf der anderen Seite der Waage? Wie wird es realisiert? Und was bedeutet das gegebenenfalls für bestimmte Gruppen? Was bedeutet das auch für moralische oder ethische Fragestellungen in der Gesellschaft? Ich muss also auch mein Gewissen befragen.
DOMRADIO.DE: Migration wird als eines der großen Konfliktthemen von Populisten auf teilweise drastische Weise instrumentalisiert. Was haben die Kirchen dem entgegenzusetzen?
Pscheida-Überreiter: Erst einmal sagt uns unser christlicher Glaube ganz klar zur Orientierung: Alle Menschen sind gleich vor Gott und uns allen gemeinsam ist die Welt als Geschenk gegeben, als ein Ort, an dem wir aufeinander achten und miteinander nach dem besten Leben für alle suchen sollen. Das ist ein ganz klarer Auftrag, mit dem wir an die jetzige Situation in dieser Welt herangehen müssen und uns fragen: Wie gehen wir damit um, dass die Situation in dieser Welt nicht ideal ist? Was bedeutet es für uns, dass eben nicht alle Menschen glücklich und gleichwertig zufrieden in ihrem jeweiligen Heimatland leben können, sondern dass sie durch Kriege, Naturkatastrophen, vielleicht auch durch wirtschaftliche Not dazu gezwungen werden, sich aufzumachen, irgendwo anders ihr Glück und ein neues Leben zu suchen. Diese Realität muss ich erst einmal an mich heranlassen, auch wenn es mir vielleicht nicht behagt. Wir leben in einer unvollkommenen Welt.
Sehr konkret herausfordernd wird es dann, wenn andere Menschen in meinen eigenen Lebensbereich hineinkommen – in meine Stadt, mein Dorf, meine Nachbarschaft. Wie begegne ich ihnen dann? Aber auch hier gilt: zu allererstes sind sie mir gleichwertige Menschen, die mit mir die Erfahrung von Leid und Hoffnung und den Wunsch nach Glück und Liebe teilen. Weil sie wie ich auch Geschöpfe Gottes sind, dürfen sie von mir Barmherzigkeit und Offenheit erwarten. Die Aufgabe der Politik ist es dann, die Dinge so zu steuern und zu organisieren, dass es handhabbar bleibt und gerecht zugeht. Aber die Grundhaltung bleibt und ist aus meiner Sicht entscheidend.
DOMRADIO.DE: An der Schnittstelle von Kirche und Politik sind Sie mit vielen, auch sehr unterschiedlichen Menschen im Gespräch. Welche Sorgen lesen Sie aus diesen Gesprächen ab?
Pscheida-Überreiter: Wir hören immer wieder die Sorgen, von denen auch in den Nachrichten die Rede ist. Das sind zum einen Sorgen um den Verlust von Wohlstand. Da stellen sich Fragen, die unseren Lebensstandard und die soziale Gerechtigkeit betreffen. Sie würden sich auch ohne Migration stellen, aber sie stellen sich in verschärfter Form in dem Moment, in dem eine starke Zuwanderungsbewegung da ist.
Und dann sind da Fragen nach dem kulturellen Miteinander. Wie gut funktionieren Menschen, die unterschiedlich kulturell geprägt sind, miteinander in einem Sozialsystem? Lässt sich dort ein gemeinsamer Konsens finden? Auf wie viel bestehen wir, was sozusagen unser eigenes ist? Was ist das, was wir unbedingt bewahren und erhalten wollen? Worauf können und wollen wir nicht verzichten, weil es uns in unserer Identität prägt? Und wie viel Neues sind wir bereit aufzunehmen?
Solche Sorgen werden dann schnell plakativ mit Angst vor Überfremdung überschrieben. Aber ich denke, es ist im Kern eine Identitätsfrage, die auch ihre Berechtigung hat.
DOMRADIO.DE: Welche Hoffnung machen Ihnen die Auseinandersetzungen mit den Leuten auf der anderen Seite?
Pscheida-Überreiter: Eine Hoffnung liegt gang klar darin, dass in dem Diskurs noch Luft nach oben ist. In jedem Konflikt liegt immer auch die Chance, sich neu und manchmal überhaupt erst so richtig mit den Dingen auseinanderzusetzen. Wenn wir noch einmal ans Thema der sozialen Gerechtigkeit denken, etwa an die künftige Aufstellung der sozialen Sicherungssysteme, ist es doch gut, wenn wir als Gesellschaft dieses Thema jetzt aufgreifen. Wir hätten das längst diskutieren und wirklich in die Auseinandersetzung damit kommen müssen.
Im Diskurs merken wir dann hoffentlich schnell, dass Zuwanderung nur ein Aspekt ist, der in diesem Zusammenhang bearbeitet werden muss. Oder auch die Frage nach dem kulturellen Miteinander. Sie fordert uns als Gesellschaft heraus, zu fragen, was uns denn eigentlich ausmacht, welche Werte uns prägen, welche wir erhalten wollen und wie es mit unserer eigenen Religiosität ist.
Immer, wenn mich das Andere anfragt, das von außen kommt, kann ich vielleicht neu zu dem finden, was mich ausmacht. Darin sehe ich eine Chance. Wenn das nicht nur von Angst und Abgrenzung geprägt ist, sondern von einem wirklichen Diskurs, wo man beiderseitig danach sucht, was denn jetzt eigentlich ist und gilt.
Genau das ist ja die Einladung unserer Initiative: Sie soll nichts Moralisierendes sein, die Kirche will da nicht mit erhobenen Zeigefinger stehen und sagen: "Denkt da mal schön dran!" Wir wollen stattdessen sagen: Aus unserer Sicht sind das hier prägende christliche Werte, von denen wir denken, dass sie eigentlich in der Gesellschaft absolut konsens- und anschlussfähig sind.
Jetzt wäre spannend herauszufinden, ob das denn wirklich stimmt. Und wenn es stimmt, wie können wir Begriffe wie Menschenwürde, Nächstenliebe und Zusammenhalt dann in konkreten Situationen oder in konkreten Fragestellungen unterfüttern? Unsere Initiative ist also die Einladung zum Sprechen und zum Überlegen: Wo stehen wir eigentlich gemeinsam?
DOMRADIO.DE: Die katholische Kirche selbst ist nicht demokratisch verfasst ist, sondern fußt auf einer strikten traditionalistischen Hierarchie. Kann sie da überhaupt glaubhaft für Demokratie werben, wo sie doch zum Beispiel bis heute die Hälfte der Menschheit von ihren Entscheidungspositionen einfach ausschließt?
Pscheida-Überreiter: Im Leben ist ja fast nichts einfach nur schwarz oder weiß. Natürlich ist die katholische Kirche hierarchisch verfasst und an vielen Stellen vielleicht nicht unbedingt der Inbegriff von Basisdemokratie. Gleichzeitig gibt es in unserer Kirche auch an ganz vielen Stellen demokratische Prozesse und immer mehr Bemühungen, zu schauen, wo wir dialogischer und als Kirche demokratischer werden können.
Das liegt natürlich auch an der Einsicht, dass das tatsächlich hilfreiche Prozesse sein können, um sich zu verändern, um auch schwierige Entscheidungen so zu treffen, dass man sagt: Wir ringen um die beste Lösung. Das kann ich nämlich am besten, indem ich möglichst vielfältige Meinungen höre und auch Minderheiten berücksichtige.
Um diese Werte weiß auch die katholische Kirche und ist dadurch auf jeden Fall ein Akteur, der authentisch dafür eintreten kann, dass die Demokratie die beste der uns bekannten Möglichkeiten ist, ein Gemeinwesen zu organisieren. Auch wenn die Kirche da selbst in einem Lernprozess steckt, würde ich nicht sagen: Wenn ich das nicht zu hundert Prozent selbst erfülle, darf ich dafür nicht werben.
Ich würde eher sagen, es gibt durchaus deutliche Erkenntnisse, dass das ein guter Weg ist und deswegen sollte man auch gesellschaftlich dafür werben und nicht nachlassen. Wir haben ja eine stabile Demokratie, aber wir dürfen nicht nachlassen, diese Demokratie zu pflegen, zu bewahren und zu wertschätzen.
DOMRADIO.DE: Was kann denn jeder ganz konkret für Demokratie tun?
Pscheida-Überreiter: Jeder kann Demokratie üben, indem er die Möglichkeiten ergreift, die er dazu hat. Sozusagen die kleinste Form ist es, bei der Wahl die eigene Stimme abzugeben. Darüber hinaus ist es wichtig, sich zu engagieren. Demokratie ist ja nicht nur der Akt, auf einem Zettel ein Kreuz zu machen. Das ist ein Kern, den sollte man auf jeden Fall tun. Aber es hängt ja auch davon ab, dass sich in die Gesellschaft hinein, auch in politische Fragen hinein, verschiedene Interessengruppen artikulieren und ihre Meinung kundtun oder eben durch Taten mitwirken an der Art und Weise, wie die Gesellschaft dann tatsächlich miteinander lebt.
Das kann man an verschiedensten Stellen machen - als Christ oder Christin beispielsweise in der eigenen Pfarrgemeinde, indem man sich dort einbringt. Das kann natürlich auch in einer politischen Partei sein. Die Parteien brauchen unbedingt vielfältige aktive Mitglieder. Das höre ich und merke ich immer wieder, dass es da einfach auch an Menschen mangelt. Auch Verbände und Vereine sind tolle Orte gelebter Beteiligung.
Gerade in unseren kirchlichen Verbänden, findet ja auch ganz viel demokratische Arbeit statt. Im ganz Kleinen, im Alltag kann ich Menschen einfach davon erzählen, dass ich mich für Politik interessiere und wie ich mich informiere. Vielleicht kann ich erwähnen, dass der eigene Social Media Kanal nicht die einzige Informationsquelle sein sollte, sondern dass es sich lohnt, sich auf vielfältige Wiese zu informieren. Ich kann mich auch einfach mal auf das Wagnis einlassen, mit jemanden politisch zu diskutieren, von dem ich denke, dass er anderer Meinung ist.
Entweder ich erlebe eine Überraschung und schaffe es vielleicht doch, mit meiner Argumentation durchzudringen. Vielleicht auch nicht. Aber auch dann war es, denke ich, nicht umsonst, es versucht zu haben.
DOMRADIO.DE: Was wünschen Sie sich jetzt für Ihre Initiative? Was soll sie bewirken?
Pscheida-Überreiter: Wir haben ja einen relativ knappen Zeitraum und die Initiative ist schon angelaufen. Ich wünsche mir, dass sie wirklich an möglichst vielen Orten sichtbar wird, dass sie an möglichst vielen Orten aufgegriffen wird. In Sachsen auf jeden Fall, aber eben auch in den Bereichen der anderen Bistümer und Landeskirchen. Wobei es ja um die Botschaft der Initiative geht, die wir in den Schlagworten Menschenwürde, Nächstenliebe und Zusammenhalt zusammengefasst haben und in dem "Für alle".
Ich wünsche mir, dass diese Schlagworte immer wieder zur Sprache kommen und den ersten Anstoß dafür geben, dass eben doch Dialog, ein gemeinsames Überlegen stattfindet - vielleicht im Kleinen und an einzelnen Orten auch das ein oder andere Umdenken. Und dass sich zumindest diejenigen bestärkt sehen, die sagen: "Ich lasse mich davon nicht kirre machen, was ich manchmal an Hiobsbotschaften höre oder an verlockenden populistischen Aussagen. Und es hilft mir, wenn ich mich ein wenig anlehnen kann."
Das Interview führte Hilde Regeniter.