Oberster Franziskaner zur Lage im Heiligen Land

"Unmöglich, Vorhersagen zu machen"

Pilgerströme und eine angespannte politische Großwetterlage prägten das Jahr 2018 im Heiligen Land. Der Hüter der katholischen Heiligen Stätten im Heiligen Land, Francesco Patton, wünscht sich mehr gegenseitigen Respekt und Offenheit.

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Das Gespräch führte Andrea Krogmann
 (DR)

Im Interview mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) blickt Francesco Patton (54) auf das bevorstehende 800-Jahr-Gedenken an das Zusammentreffen zwischen dem heiligen Franziskus und Sultan Malik Al-Kamil.

KNA: Herr Kustos, was prägte kirchlich das abgelaufene Jahr?

Francesco Patton: Die Zahl der Pilger war außergewöhnlich hoch. Mehr als 600.000 haben Gottesdienste an unseren Heiligen Stätten gebucht. Die Gesamtzahl der Pilger ist mehr als doppelt so hoch. Dann hat sich die Lage in Syrien deutlich verbessert. In Damaskus, Aleppo und Latakia ist sie stabil und friedlich.

Schließlich wird eine ungewöhnliche Aktion der Kirchen im Gedächtnis bleiben. Als Protest gegen zwei einseitige israelische Initiativen haben wir die Grabeskirche für drei Tage geschlossen. Unser Protest richtete sich gegen die Stadt Jerusalem und ihr Vorhaben, kirchliche Einrichtungen zu besteuern, sowie gegen ein gefährliches Gesetzvorhaben, in dem es um Kirchenland geht. Nach den drei Tagen hat Ministerpräsident Benjamin Netanjahu beide Initiativen gestoppt.

KNA: Gelöst sind die Probleme aber noch nicht.

Patton: Es wurde eine Kommission eingerichtet, und uns wurde zugehört. Wir hatten die Gelegenheit, unsere Sicht darzulegen. So sind wir etwa nicht gegen die Besteuerung, um einen Vorteil zu erwirken, sondern weil wir Dienste an die Menschen leisten, die andernfalls die Stadt bieten müsste. Ferner sind die Steuerfragen Teil der bilateralen Verhandlungen zwischen dem Vatikan und Israel über einen Grundlagenvertrag.

KNA: ... denen man nach den Konflikten dieses Jahres nachsagt, dass sie ins Stocken geraten seien.

Patton: Das ist wie in der Formel 1, wo es auch zu Stopps kommt. Die Verzögerungen sind ganz normaler Teil der Prozedur.

KNA: Gegenüber dem Staat waren sich die Kirchen einig. Gleichzeitig gab es zwischen den Konfessionen Spannungen, etwa im Zusammenhang mit einer Kapelle an der Grabeskirche.

Patton: Bei dem Streit zwischen koptischen und äthiopischen Christen ging es um Besitzrechte an einer Kapelle auf der Grabeskirche. Innerhalb der Kirche stehen die drei Besitzer - Franziskaner, Armenier und Griechisch-Orthodoxe - in exzellenten Beziehungen. Wir haben weniger Probleme zwischen uns als die Mieter eines Mehrfamilienhauses. Die Ökumene im Heiligen Land ist sehr viel konkreter als überall sonst auf der Welt. Für uns ist sie eine tägliche Frage, die sich bis in die oft gemischtkonfessionellen Familien zieht. Die Einheit der Christen ist entsprechend im Heiligen Land stärker als an jedem anderen Ort.

KNA: Gibt es weitere gemeinsame Großprojekte der Kirchen?

Patton: Die Restaurierung der Grab-Ädikula der Grabeskirche war ein erster Schritt, auf den die Restaurierung der Rotunde folgen soll. Ich hoffe, dass wir im kommenden Jahr mit der wissenschaftlichen Studie beginnen können, auf deren Grundlage in einem weiteren Schritt die Restaurierung erfolgen soll. In der Geburtskirche in Bethlehem sind die Arbeiten im Hauptschiff der Kirche mittlerweile weit fortgeschritten. Planmäßig sollen sie bis Ostern abgeschlossen sein. Dann können wir die Gespräche über die Restaurierung der Geburtsgrotte beginnen, die ein besonders sensibler Ort ist.

KNA: 2018 war politisch kein einfaches Jahr. Wohin entwickelt sich das Land?

Patton: Ich sehe, dass die Probleme und Spannungen wachsen. Allerdings haben wir im vergangenen Dezember einen ähnlichen Anstieg verzeichnet. Meine Sorge ist, dass die Spannungen die Weihnachtsfeiertage beeinträchtigen, etwa indem den einheimischen Christen zusätzlich erschwert wird, an den Feiern teilzunehmen - aber auch allgemein Einfluss auf die Festfreude haben. Andererseits leben wir hier in einer konstant instabilen Situation, in der es unmöglich ist, Vorhersagen zu treffen.

KNA: Zu den problematischen Ereignissen des Jahres zählt die Annahme des umstrittenen Nationalitätengesetzes, das alle nichtjüdischen Bürger Israels trifft. Warum haben die Kirchen erst so spät reagiert?

Patton: Keiner hat gedacht, dass dieses Gesetz angenommen wird. Als es in der Knesset durchkam, haben wir die Kommission Justitia et Pax mit einer vertieften Stellungnahme beauftragt. Ich verstehe zwar, dass wir in einer Zeit von Facebook und Twitter leben, lehne diese Form der unmittelbaren Kommunikation aber ab. Wir müssen uns zuerst sammeln und reflektieren, bevor wir reagieren.

KNA: Was steht für 2019 an?

Patton: 2019 steht im Zeichen der 800-Jahr-Feier der Pilgerreise des heiligen Franziskus ins Heilige Land und seiner Begegnung mit Sultan Malik Al-Kamil. In Zeiten eines Clashes der Zivilisationen hat Franziskus damals einen anderen Weg gewagt und Kriegslinien überschritten. Damit hat er letztlich für uns das Recht erwirkt, hier zu leben. In der heutigen Zeit ist diese Prophezeiung von besonderer Bedeutung.

Viele Menschen unterstützen den Clash der Zivilisationen - und wir sind wenige im Vergleich zu ihnen. Gleichzeitig zeigt der heilige Franziskus, dass eine einzige Person ein Symbol für eine andere Perspektive sein kann. Wir versuchen das zu leben, etwa in unseren Schulen: Die Hälfte unserer Schüler sind Muslime. Wir leben zusammen und bringen den Dialog voran. In unserer Musikschule "Magnificat" musizieren Juden, Muslime und Christen zusammen. Wir haben keine Lösung für den Konflikt, aber wir können Brücken bauen.

KNA: Ist es ruhiger geworden, was Übergriffe auf christliche Orte betrifft?

Patton: Ich kenne die Statistiken nicht. Doch in den vergangenen zwei Jahren hatten wir mit Profanierungen der Kirche am Tabor, der Stephanskirche der Salesianer und des Salesianerfriedhofs furchtbare Zwischenfälle. Für mich sind das Akte der Dummheit, wie sie leider überall auf der Welt gegen jüdische, muslimische und christliche Stätten erfolgen. Gegenwärtig wächst eine Kultur der Intoleranz, verbaler und oft phsysischer Gewalt in der Welt heran. Ich hoffe, dass das Beispiel des heiligen Franziskus nicht nur uns, sondern viele Menschen in der Welt inspiriert - und auch ihre Führer.


Francesco Patton / © Hadas Parush (KNA)
Francesco Patton / © Hadas Parush ( KNA )
Quelle:
KNA