Obama muss sich auch mit der Migration aus dem Süden befassen

"Die Mauer der Schande"

Neben der Finanz- und Wirtschaftskrise wird auch die Frage der Migration zu den Herausforderungen der neuen US-Regierung von Barack Obama gehören. Denn alljährlich versuchen rund 400.000 Menschen, diese Grenze in die "Erste Welt" zu überwinden. Für Hunderte endet das tödlich. Sie verirren sich in der kargen Hügellandschaft; sie verdursten, verhungern oder erfrieren.

Autor/in:
Christoph Scholz
 (DR)

Enrique Morones hält zwei Holzkreuze in der Hand. «Das sind nicht nur Symbole; sie stehen für zwei Menschen, die hier zu Tode kamen», berichtet der Gründer von «Border Angels»
(«Grenz-Engel») - und er weist auf die Dornenstrauch-Savanne und Geröllberge in seinem Rücken. Ein Mal in der Woche kommt er mit seinem schwarzen Chevrolet-Kleinbus in diese unwirtliche Berggegend am Highway 8 zwischen San Diego und Calexico an der Grenze zwischen den USA und Mexiko. Gemeinsam mit anderen «Border Angels» deponiert er an schattigen Orten in der Wüste Trinkwasserkanister, Konserven und Kleidung für Armutsflüchtlinge oder Desperados, die den Weg durch die Wüste in das gelobte Land des Kapitalismus suchen.

Auch Eddie träumt vom Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Er lungert mit seinem Kumpel am Grenzzaun in Tijuana herum. Der Aussichtspunkt über dem Pazifikstrand gibt den Blick über meterhohe, senkrecht in den Sand gerammte Stahlschienen auf die Hochhaus-Silhouette von San Diego frei. Dem Aussehen nach ist Eddie bestenfalls 16, gibt sich aber als Erwachsener aus. Er ist schmal und trägt ein schwarzes T-Shirt, über dem ein großes goldenes Kreuz baumelt. Auf der Baseballmütze steht «L.A.» Los Angeles - sein Ziel - irgendwo im Norden.

«Meine Familie weiß, dass ich rüber will; sie findet das OK», meint er selbstbewusst. Seit zwei Tagen streift er am Zaun entlang. Schlafen kann er in der Casa del Migrante in Tijuana. Seit 1987 kümmern sich dort Scalabrini-Missionare um Migranten, vor allem um jene, die die US-Grenzschützer aufgegriffen und wieder zurückgeschickt haben. Bisher fanden hier 155.000 Migranten eine Herberge. Die meisten kommen aus Lateinamerika; aber auch immer mehr Afrikaner und Asiaten suchen einen Weg über die 3.000 Kilometer lange Westgrenze in die USA.

Auch die Mauer kann die Menschen nicht aufhalten
Um den ständigen Zustrom zu stoppen, bauen die USA seit 2005 an einem gigantischen Grenzwall. Menschenrechtler nennen ihn «Mauer der Schande». Die USA machen Sicherheitsinteressen geltend. Trotzdem: Allein 60.000 Menschen passieren täglich den Grenzübergang zwischen Tijuana und San Diego. Laut Statistik griffen die Grenzschützer zwischen Oktober 2007 und Mai 2008 mehr als 30.000 «illegale Einwanderer» auf. «Sie lassen sich in den Kofferraum sperren oder klemmen sich unter Autos, geschützt nur von einem dünnen Blech», berichtet ein Presseoffizier der Behörde. «Jede Bodenwelle kann tödlich sein.»

Straßenkontrollen, Hubschrauber, Spürhunde oder das Durchleuchten ganzer LKW können den illegalen Grenzübertritt nur eindämmen, nicht aber verhindern. Zu stark ist das Globalisierungsgefälle zwischen Nord und Süd, zu anziehend der Mythos vom modernen El Dorado. Die US-Behörden gehen von elf Millionen «nichtregistrierten Migranten» aus. Viele von ihnen tragen als billige Schwarzarbeiter in den Obstplantagen, der Baubranche oder als Haushaltshilfen zum hohen Wirtschaftwachstum von Kalifornien bei.


Kirche fordert humanitäre Lösung
Der Migrationsbeauftragte der US-Bischofskonferenz, Kevin Appleby, verweist nicht zuletzt auf diese moderne Form der Sklavenarbeit, wenn er eine humanitäre Lösung des Migrantenproblems verlangt. «Familien werden getrennt, Fremdarbeiter von skrupellosen Schmugglern und Unternehmern ausgenutzt; Menschen, die verzweifelt zu überleben versuchen, verschwinden in der Wüste.» Für die Bischofskonferenz war dies ein Kriterium bei der Präsidentenwahl. Sie fordert Familienzusammenführung und legale Wege der Arbeitsmigration.

Auch Enrique Morones beruft sich bei seinem Einsatz auf den christlichen Glauben. Sein Motto stammt aus der Bibel: «Ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben, ich war durstig, und ihr habt mir zu trinken gegeben.» Nun, unter Obama, hofft er auf eine Reform des Ausländerrechts.