Nutzt Präsident Erdogan Kölner Imam für politische Zwecke?

"Der Wahlkampf läuft schon längst"

Die Kölner Zentralmoschee hat einen neuen Imam, der bisher in Ankara beim türkischen Präsidenten Erdogan gewirkt hat. Warum die Einsetzung des neuen Imams eine geplante politische Aktion ist, erklärt der Journalist Eren Güvercin.

Zentralmoschee in Köln / © Oliver Berg (dpa)
Zentralmoschee in Köln / © Oliver Berg ( dpa )

DOMRADIO.DE: Adem Kemaneci heißt der neue Imam der Kölner Zentralmoschee. Wer ist das und wo hat er bislang sein Amt ausgeübt?

Eren Güvercin (privat)

Eren Güvercin (Journalist und Gründungs- und Beiratsmitglied der Alhambra Gesellschaft): Er ist ein ausgebildeter Imam und Theologe der türkischen Religionsbehörde Diyanet. Das Spannende an Herrn Kemaneci ist, dass er in den letzten Jahren der Imam der "Bestepe Millet Camii" war, das ist die sogenannte Volksmoschee in Ankara auf dem Areal des Präsidentenpalastes. Das ist also keine gewöhnliche Moschee mit einer gewöhnlichen Gemeinde, sondern sie ist integriert im Areal des Präsidentenpalastes und wurde vor einigen Jahren von Staatspräsident Erdogan feierlich eröffnet.

Diese Moschee hat in den letzten Jahren immer eine sehr wichtige Funktion für Erdogan gespielt, denn in dieser Moschee fanden zu bestimmten nationalen oder religiösen Feiertagen politische Inszenierungen statt. Für diese Inszenierungen hat Kemaneci mit seiner schönen Stimme, mit der er auch sehr schön den Koran rezitieren kann, die notwendige Kulisse für Erdogan abgegeben, um dem Volk auch zu signalisieren, dass Erdogan nicht nur ein starker politischer Führer ist, sondern er hat auch einen religiösen Anspruch. Er will die Gesellschaft religiöser umgestalten.

Auch dass es überhaupt auf dem Areal des Präsidentenpalastes eine Moschee gibt, ist eigentlich ein Novum in der Türkei, weil die Türkei ja eigentlich eine laizistische Republik ist. Das ist natürlich im deutschen Kontext wenig bekannt, was für eine Rolle Kemaneci spielt, aber wofür Kemaneci bekannt ist, ist nicht seine schöne Stimme, seine theologische Kompetenz oder sonst was, sondern dass er eine wichtige Figur im Präsidentenpalast von Staatspräsident Erdogan war.

Eren Güvercin (Journalist und Gründungs- und Beiratsmitglied der Alhambra Gesellschaft)

"Also auch hier in Köln in seiner Funktion als Ditib-Imam hat er sich für eine politische Inszenierung der türkischen Machthaber instrumentalisieren lassen."

DOMRADIO.DE: Jetzt sagt die Ditib, also die Türkisch-Islamische Union, die ihn nach Köln bestellt hat, es sei Imamen nicht gestattet, politisch aktiv zu sein und zu werden. Sie seien nur für religiöse Dienste und Angebote zuständig. Das gelte auch für den neuen Imam. Sie bezweifeln das?

Güvercin: Das sind ja immer wieder die Formulierungen, die man von der PR-Abteilung der Ditib hört. Wenn es Skandale gibt, wenn es politische Skandale gibt, wenn gewisse AKP (türkische Regierungspartei) nahe Aktionen in den Ditib-Gemeinden bekannt werden, dann hören wir immer diese Floskeln. Aber wenn wir einen Faktencheck machen und diese Aussagen mit der Realität abgleichen, dann sehen wir, dass mitnichten politische Betätigung der Imame oder des Personals unterbunden werden. Ganz im Gegenteil.

Und wenn wir jetzt ganz konkret über diesen neuen Imam Kemaneci hier in der Ditib-Zentralmoschee sprechen: Am 15. Juli, da war er erst ein bis zwei Wochen Imam in der Ditib-Zentralmoschee, trat er im türkischen Konsulat in Köln auf. Wir erinnern uns, am 15. Juli 2016 war der gescheiterte Putschversuch in der Türkei. Seitdem inszeniert die AKP den 15. Juli mit Gedenkveranstaltungen für ihre eigenen politischen Zwecke. Im türkischen Konsulat war zum Beispiel ein sehr bekannter und führender AKP-Politiker, Akif Cagatay Kilic, der Ehrengast. Und er hat dort, wo Kemaneci wieder aus dem Koran rezitiert hat, eine regelrechte Brandrede und Wahlkampfrede für das nächste Jahr gehalten. Also auch hier in Köln in seiner Funktion als Ditib-Imam hat er sich für eine politische Inszenierung der türkischen Machthaber instrumentalisieren lassen.

Eren Güvercin (Journalist und Gründungs- und Beiratsmitglied der Alhambra Gesellschaft)

"Der Wahlkampf sowohl in der Türkei, aber auch hier in Deutschland läuft schon längst. Es vergeht kein Wochenende, an dem nicht mehrere AKP-Politiker hier zu Gast sind und auch in Moscheegemeinden unterwegs sind."

DOMRADIO.DE: Im kommenden Jahr stehen wichtige Doppelwahlen in der Türkei an. Unterschätzt man das hier in Deutschland, welche Rolle die Stimmen der in Deutschland lebenden Türken und Türkinnen haben?

Güvercin: Absolut. Die herrschende AKP steht vor einer Schicksalswahl. Die wirtschaftliche Lage im Land ist sehr kritisch. Die Inflation ist sehr hoch und dadurch natürlich auch der Unmut in der Bevölkerung. Die Umfrageergebnisse für die AKP sehen nicht gut aus. Die Wahlen sind nächstes Jahr, wenn sie nicht vielleicht auch vorgezogen werden. Es kann sein, dass die Opposition überrumpelt werden soll mit vorgezogenen Neuwahlen. Damit muss man rechnen.

Die Wahlen nächstes Jahr werden sehr knapp - knapper als je bisher in den letzten 20 Jahren. Die Stimmen der Türkei türkischen Staatsangehörigen hier in Deutschland werden wahlentscheidend sein. Deswegen sind Strukturen wie die Ditib und andere türkisch geprägte Verbände in Deutschland für die Mobilisation der wichtigen Stimmen hier aus Deutschland sehr wichtig.

Wenn wir das in diesem Fall in diesem Kontext betrachten, ist meiner Meinung nach die Entscheidung Ankaras, Kemaneci zum Imam der Ditib-Zentralmoschee, der wichtigsten Moschee der Ditib in Deutschland, zu ernennen, kein Zufall. Der Wahlkampf sowohl in der Türkei, aber auch hier in Deutschland läuft schon längst. Es vergeht kein Wochenende, an dem nicht mehrere AKP-Politiker hier zu Gast sind und auch in Moscheegemeinden unterwegs sind.

Das Interview führte Bernd Hamer.

Info: Eren Güvercin hat zu diesem Thema auch für die Herder Korrespondenz geschrieben.

Diyanet und Ditib - und die türkischen Imame in Deutschland

Die türkische Religionsbehörde Diyanet hat insgesamt mehr als 1000 Islamgelehrte an die rund 900 Ditib-Moscheevereine in Deutschland entsandt. Darunter sind nach Diyanet-Angaben vom vergangenen Monat 906 Imame und 116 weibliche Islamgelehrte. Letztere verrichten ihre Arbeit etwa als Religionslehrerinnen oder Seelsorgerinnen. Sie führen die Gemeinde aber - anders als die Imame - nicht beim Gebet.

Ein Imam hält einen Koran in den Händen. / © Hauke-Christian Dittrich (dpa)
Ein Imam hält einen Koran in den Händen. / © Hauke-Christian Dittrich ( dpa )
Quelle:
DR