NRW-Spitzenkandidat Joachim Paul über die Piratenpartei und die Religion

Karfreitag und andere Einsichten

Der Einzug der Piratenpartei in den nordrhein-westfälischen Landtag scheint derzeit sicher. Sie pflegen ihr Image, es mit jedem aufzunehmen - gerade auch mit den Kirchen. Dabei sei seine Partei nicht homogen antikirchlich, sagt Joachim Paul. Und sieht sich selbst als Beispiel.

 (DR)

KNA: Herr Paul, noch wirkt die weitgehende Konzeptlosigkeit Ihres Programms auf viele Wähler offenbar anziehend. Aber was tun, falls Sie es im Landtag mit der Realität zu tun kriegen?

Paul: Ich glaube nicht, dass wir die Zustimmung wegen der angeblichen Planlosigkeit kriegen. Diesen Eindruck wollen Teile der Presse und die alten Parteien erzeugen und den müssen wir bekämpfen. Auf vieles haben wir im Programm klare Antworten, auf anderes noch nicht. Ich denke, bei einer so jungen Partei ist das normal.



KNA: Viele Forderungen der Piraten machen es leicht, die Partei irgendwo zwischen Absurdität und Klamauk anzusiedeln: Abschaffung des Urheberrechts, freier Nahverkehr, bedingungsloses Grundeinkommen für alle...

Paul: ...das ja bis hinein in die CDU Befürworter hat. Aber erst jetzt redet ganz Deutschland darüber. Wir verstehen uns als Impulsgeber, wir wollen Themen setzen, die so noch nicht gedacht worden sind. Manches wird auch verzerrt dargestellt oder wir kommunizieren es nicht richtig. Das Urheberrecht wollen wir reformieren, nicht abschaffen.



KNA: Inzwischen hapert es in der Partei aber gewaltig mit der Abgrenzung von rechtsradikalen Gedanken. Auch nur ein Kommunikationsproblem oder ein schweres Mitgliederproblem?

Paul: Nein, es hapert da nicht, dazu gibt es klare Positionen in den Programmen. Dass sich solche Elemente immer wieder in neue Parteien verlaufen, ist ja bekannt. Die Grünen hatten zu ihrem Beginn sogar ein "Blut-und-Boden"-Problem. Unsere Offenheit und unser schnelles Wachstum sind da gleichermaßen Segen und Fluch. Die Partei wird hier noch konsequenter werden.



KNA: Bei aller Originalität in der Selbstdarstellung: Mit der schroffen Trennung von Kirche und Staat folgt das Piraten- Programm dem linkspopulistischen Mainstream. Mit dem Versuch, gemeinsam mit den Grünen die Karfreitagsruhe gerichtlich aufzuheben, ist die Partei zuletzt gescheitert. Gibt es keine wichtigeren Baustellen?

Paul: Ehrlich gesagt habe ich mich über die Karfreitagsaktion der hessischen Kollegen ein bisschen geärgert, auch wenn ich dafür jetzt vielleicht einen Shitstorm ernte. Rücksichtnahme - auch auf die religiösen Gefühle anderer - ist für die Piraten ein wichtiger Wert. Wer unbedingt tanzen möchte, kann in seinem Partykeller ja eine Karfreitagsparty schmeißen. Ich kenne viele auf der NRW-Landesliste, die diese Konfrontation nicht mitgetragen hätten. Aber grundsätzlich entsprach sie natürlich unserem Konzept von der Freiheit des mündigen Bürgers.



KNA: Das meint?

Paul: Es geht darum, dass man freiwillig aufeinander Rücksicht nimmt, nicht weil das so vorgeschrieben ist, wie am Karfreitag. Eine solche Regel reizt natürlich Menschen in einer säkularen Gesellschaft, die den dahinter stehenden Glauben auch nicht teilen, zum Widerstand. Mein Verstand sagt mir: Der Angriff auf den Karfreitag war im Prinzip richtig. Mein Gefühl sagt mir aber: Er war falsch.



KNA: Haben Kirche und Religion überhaupt einen Wert für die Piraten?

Paul: Ich kenne in der Partei tiefreligiöse Christen, die laut zu ihrem Glauben stehen und aus christlicher Motivation Politik machen. Daneben bezeichnen sich viele Mitglieder als Atheisten oder Humanisten. Aber auch unter denen ist der Respekt vor den christlichen Wurzeln der europäischen Kultur groß. Viele Werte und Ideale der Aufklärung, die unsere heutige Freiheit begründen, entwickelten sich jahrhundertelang unter dem Dach der christlichen Religion.



KNA: Trotzdem lehnen Sie jede Sonderstellung der Kirchen in Deutschland ab?

Paul: Ja, das verstehen wir unter echter Religionsfreiheit. Die Aufgaben von Staat und Kirche sollten getrennt sein. Das heißt nicht, dass der Staat nicht bestimmte Aufgaben an die Kirchen übertragen kann. Besonders im sozialen Bereich.



KNA: Wie sollen sie die zuverlässig erfüllen, wenn sie gleichzeitig - gemäß Ihrem Programm - auf die Kirchensteuer verzichten?

Paul: Die vom deutschen Staat eingetriebene Kirchensteuer ist im globalen Vergleich fast einzigartig und passt nicht in ein säkulares System. In unserem Programm steht aber auch, dass wir jeden sozialen Kahlschlag ablehnen. Sollte sich zeigen, dass die Abschaffung der Kirchensteuer zu schweren Einschnitten im Sozialstaat führt, müssten wir die Forderung danach aus meiner Sicht überdenken. Es geht nicht darum, die Kirche als solche ins Fadenkreuz zu nehmen.



KNA: Woran glauben Sie?

Paul: Ich bin in einem katholischen Elternhaus aufgewachsen und wurde relativ streng religiös erzogen. Nachdem ich mich viel mit Philosophie beschäftigt habe, bin ich aus der Kirche ausgetreten. Ich sehe mich als Agnostiker, für den Gott nicht erkennbar ist. Meine Mutter empfand das damals als ihr Versagen, zu Unrecht. Sie hat mir eine Verbindung zwischen universaler Ethik und Christentum gezeigt, die ich nicht missen möchte. Bis heute erzeugt das Christliche bei mir eine Art Grundvertrauen. Konkrete Glaubensinhalte wie Auferstehung oder jungfräuliche Geburt kann ich aber nicht teilen.



KNA: Da müssten Sie mit einem dogmatischen Islam erst Recht Ihre Probleme haben, zumal er hier immer präsenter wird.

Paul: Auch hier gilt: Toleranz und Religionsfreiheit für jeden, aber nur solange andere darunter nicht zu leiden haben. Dass wir gegen jeden Extremismus sind, ist klar. Aber wir sehen in unserem Gesellschaftsbild schon eine kulturelle Barriere auch zum nichtextremistischen traditionellen Islam. Patriarchalische Familienstrukturen zu Lasten von Frauen etwa kommen da leider vor. Das können wir nicht akzeptieren.



KNA: Das riecht nach Konfrontation mit konservativen Muslimen.

Paul: Die Piraten wollen da überhaupt keine Auseinandersetzung heraufbeschwören. Aber viele in der Partei sind bereit, gegenüber einem rückwärtsgewandten Islam ganz klare Kante zu zeigen.



KNA: Einige Beobachter bezeichnen den Glauben der Piraten an Veränderung durch das Internet als eine Art Ersatzreligion. Ist da etwas dran?

Paul: Der Begriff ist übertrieben. Es gibt eine gewisse Hingabe zur Hardware, die uns Kommunikation ermöglicht. Und es gibt so etwas wie "Netzwärme", nämlich das Gefühl, zu jeder Zeit mit vielen Menschen in Kontakt treten und aus der Distanz Nähe aufbauen zu können. Dieses Lebensgefühl ist für viele wichtig. Doch irgendwann will ich ja auch persönliche Begegnungen, da spielt die Technik dann keine Rolle mehr.



Das Gespräch führte Christoph Schmidt.