"Hungerschlangen" in Madrid wachsen trotz Corona-Lockerungen

Notstand in Spanien endet - die Probleme bleiben

Wenn am Sonntag nach drei Monaten der Corona-Notstand in Spanien endet, bleibt der Weg zurück in die Normalität für viele Menschen weit. Immer mehr Menschen sind inzwischen auf Nahrungsmittelhilfen angewiesen.

Autor/in:
Manuel Meyer
Pfarrer Gonzalo Ruiperez packt Lebensmittelrationen in der Kirchengemeinde San Juan de Dios / © Manuel Meyer (KNA)
Pfarrer Gonzalo Ruiperez packt Lebensmittelrationen in der Kirchengemeinde San Juan de Dios / © Manuel Meyer ( KNA )

Auch Corona-Hotspot Spanien kehrt langsam wieder zur Normalität zurück. Am Sonntag endet nach drei Monaten der Notzustand. Die ersten Aufbauprogramme beginnen, um die Wirtschaft anzukurbeln. Ab Sonntag können zudem wieder ausländische Touristen ins Land. Ein paar Tausend Deutsche genießen bereits seit einer Woche in einem Pilotprojekt die Strände Mallorcas.

Eine Million Menschen, die sich im Zwangsurlaub oder in Kurzarbeit befanden, arbeiten inzwischen wieder. "Die Erholungsphase hat begonnen", sagte Wirtschaftsministerin Nadia Calvino vor wenigen Tagen. In der Pfarrgemeinde San Juan de Dios im Madrider Arbeiterviertel Vallecas ist von dieser Erholung allerdings wenig zu spüren. "Im Gegenteil. Die Schlangen hilfsbedürftiger Menschen werden immer länger", sagt Pfarrer Gonzalo Ruiperez der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).

Nothilfe für die Armen lässt auf sich warten

Seine Pfarrgemeinde ist keine Ausnahme. Die spanische Lebensmittelbank, das Rote Kreuz, Nachbarschaftsverbände und das katholische Hilfswerk Caritas sprechen von immer mehr Menschen bei den Tafeln und Suppenküchen. Versorgten diese im April knapp 100.000 Hilfsbedürftige in der spanischen Hauptstadt, sind es laut Medienberichten mittlerweile um die 134.000 Personen, die täglich für Lebensmittel anstehen.

Die Hilfsprogramme für die Tourismusbranche, für Selbstständige und andere Industriesektoren seien gut, aber die Nothilfe für die Ärmsten lasse auf sich warten, so Ruiperez. Seit Ausbruch der Corona-Pandemie verteilt er mit zehn freiwilligen Helfern immer mehr Lebensmittel an immer mehr Menschen. Milch, Pasta, Konserven, Brot, Eier, Zucker. "Jeden Monat verteilen wir mittlerweile 70 Tonnen Nahrungsmittel", sagt Ruiperez.

"Viel zu wenig, aber ein guter Anfang"

Er hofft, dass zumindest das neue Grundeinkommen etwas Entlastung bringt. Seit Anfang der Woche können hilfsbedürftige Personen einen Antrag stellen. Alleinstehende erhalten um die 460 Euro, Familien mit Kindern bis zu 1.050 Euro. Die Regierung des sozialistischen Ministerpräsidenten Pedro Sanchez stellt dafür jährlich drei Milliarden Euro zur Verfügung, mit denen rund 850.000 hilfsbedürftige Familien unterstützt werden sollen.

"Viel zu wenig, aber ein guter Anfang", meint Caritas-Leiter Francisco Lorenzo. Zumindest gehe das neue Grundeinkommen ein grundlegendes Problem an: "Viel zu lange hat der Staat Hilfsprojekte und Direkthilfen für die sozial Schwächsten auf Hilfsorganisationen und Institutionen wie die Kirche abgewälzt", so Lorenzo.

Viele haben keinen Anspruch auf die Hilfen

"Zweifellos wird das Grundeinkommen helfen. Es darf aber nicht so lange wie bei anderen Hilfsprojekten dauern, bis die Unterstützung wirklich die Menschen erreicht, denn hier hat niemand etwas Erspartes", stellt Pfarrer Ruiperez klar.

Er befürchtet, dass viele in seiner Pfarrgemeinde keinen Anspruch auf die Hilfen haben. So etwa Juan Carlos Arroyo Hernandez und seine schwangere Frau Kiara. Das junge Einwandererpaar aus Peru kam erst vor wenigen Monaten nach Spanien, um sich in Madrid eine Zukunft aufzubauen. Das Problem: Die beiden haben weder eine Aufenthaltsgenehmigung noch eine Arbeitserlaubnis, Grundvoraussetzung für den Erhalt des Grundeinkommens.

Nachbarschaftshilfe versorgt 340 Personen im Arbeiterviertel

"Unsere Geldreserven sind aufgebraucht. Wir wissen nicht, wie wir die Miete zahlen oder den Kühlschrank füllen sollen und Jobangebote gibt es derzeit so gut wie keine", sagt Juan Carlos verzweifelt. So wie ihnen geht es derzeit vor allem in Madrids ärmeren Arbeiter- und Einwanderervierteln vielen Menschen.

"Die meisten hier arbeiten schwarz und leben von der Hand in den Mund. Anspruch auf Arbeitslosenhilfe haben die wenigsten. Deshalb sind staatliche Hilfsprojekte wie das Grundeinkommen gerade jetzt enorm wichtig", sagt Andres Vale von der Nachbarschaftshilfe Puerta del Angel. 340 Personen versorgt sein Verein bereits mit Lebensmittelspenden in dem Arbeiterviertel, in dem viele, größtenteils illegale Einwanderer leben.

Experten befürchten hohen Anstieg der Arbeitslosigkeit

Eigentlich sei es nicht Aufgabe seines Vereins, die Menschen zu versorgen. "Doch die Not ist so groß geworden, dass wir unbedingt etwas unternehmen wollten", sagt Vale. Wie lange der Verein das finanziell noch stemmen kann, weiß er nicht. Mit dem Ende des Lockdown stünden auch viele Helfer nicht mehr zur Verfügung, weil sie in ihre Jobs zurückgekehrt seien.

Die Aussichten sind düster. Sowohl Finanzexperten als auch die Regierung befürchten, dass die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie die Arbeitslosigkeit in Spanien bis Jahresende auf bis zu 20 Prozent hochtreiben könnten.


Quelle:
KNA