Notfallseelsorger berichtet vom Einsatz in Illerkirchberg

Da sein, wenn andere den Halt verlieren

Nach dem Messerangriff auf zwei Mädchen in Illerkirchberg, bei dem eine 14-Jährige getötet wurde, sind die Menschen geschockt. Michael Lobenhofer war als Notfallseelsorger vor Ort. Wie geht er mit solchen Fällen um?

"Yastayiz" - Türkisch für "Wir trauern", steht zwischen zahlreichen Trauerkerzen am Tatort auf einem Schild geschrieben / © Christoph Schmidt (dpa)
"Yastayiz" - Türkisch für "Wir trauern", steht zwischen zahlreichen Trauerkerzen am Tatort auf einem Schild geschrieben / © Christoph Schmidt ( dpa )

DOMRADIO.DE: Wie haben Sie die vergangenen drei Tage in Illerkirchberg erlebt? Was ist Ihre Aufgabe gewesen?

Michael Lobenhofer (Leiter der Notfallseelsorge in Ulm im Alb-Donau-Kreis): Ich habe mitbekommen, dass die ersten Kräfte in den Einsatz gegangen sind. Da ging es um die Betreuung der betroffenen Familien. Seitdem habe ich als Leiter alle Einsätze telefonisch oder live vor Ort mit begleitet.

DOMRADIO.DE: Heute war auch die Beerdigung, da waren Sie auch mit vor Ort. Wie versuchen Sie das unfassbare Leid der Menschen aufzufangen?

Zahlreiche Kerzen brennen am Tatort eines Messerangriffs auf zwei Schülerinnen in Illerkirchberg  / © Christoph Schmidt (dpa)
Zahlreiche Kerzen brennen am Tatort eines Messerangriffs auf zwei Schülerinnen in Illerkirchberg / © Christoph Schmidt ( dpa )

Lobenhofer: Mit der Familie waren wir eigentlich nur am Montag in der Klinik direkt im Kontakt. Die anderen Male - gestern gab es eine Trauerandacht und heute eben die Beisetzung - da waren wir als Team mit vier fünf Personen vor Ort, um für Personen dort ansprechbar zu sein. Die Familie selber hat viel Unterstützung in ihrem persönlichen Umfeld bekommen und ist durch uns jetzt nicht mehr weiter betreut worden. Sollte das nötig sein, dann machen wir das natürlich. Aber die werden jetzt in Ruhe gelassen und können hoffentlich trauern.

DOMRADIO.DE: Wer hat sich denn sonst noch bei an Sie gewandt oder sich bei Ihnen gemeldet? Waren da auch Mitschüler oder Lehrkräfte dabei? Was sind deren Anliegen?

Lobenhofer: Es hat sich zum Beispiel eine Mutter an uns gewandt, deren Tochter gesehen hat, wie der Täter eingestochen hat. Die hat nachgefragt, wie sie jetzt mit ihrem Kind umgehen soll. Da waren wir in der Betreuung. Es gibt Lehrkräfte, die sich an uns wenden, wie man das mit Schülern machen kann. Wobei man sagen muss, in den betreffenden Schulen ist praktisch der schulpsychologische Dienst des Schulamtes mit im Einsatz.

DOMRADIO.DE: Ich kann mir vorstellen, dass man als Kind oder auch als Elternteil in der Umgebung wahrscheinlich Bauchschmerzen hat, das Kind den Schulweg alleine gehen zu lassen. Was kann man denn dieser Sorge entgegnen?

Lobenhofer: Natürlich haben Kinder und Jugendliche Angst, die da in der Nähe oder überhaupt auf dem Schulweg sind. Denen kann man nur sagen, dass solche Dinge natürlich äußerst selten passieren und, dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass so etwas wieder passiert. Dass man es aber natürlich nicht ausschließen kann. Wenn sie gerade in Sorge oder ängstlich sind, dann müssen Eltern oder andere sie einfach begleiten, bis sie sich wieder ein bisschen sicherer fühlen.

Michael Lobenhofer, Leiter der Notfallseelsorge in Ulm im Alb-Donau-Kreis

"Es ist für mich eine genuine kirchliche Aufgabe, Menschen in solchen Krisensituationen beizustehen."

DOMRADIO.DE: Sie sind ja hauptberuflich eigentlich Gemeindereferent in Ulm Einsingen. Inwiefern spielt Ihr Glaube eine Rolle bei Ihren Einsätzen als Notfallseelsorger?

Lobenhofer: Unsere Hauptträger sind eben die beiden Kirchen, katholisch und evangelisch. Und ich bin von Beruf her kirchlicher Mitarbeiter. Das ist für mich was ganz Zentrales. Es ist für mich eine genuine kirchliche Aufgabe, Menschen in solchen Krisensituationen beizustehen. Das ist eigentlich die Sache Jesu, da mit dabei zu sein und einfach zur Seite zu stehen.

DOMRADIO.DE: Und was machen Sie, wenn Menschen zum Beispiel danach fragen "Wie kann Gott so etwas wie das, was in Illerkirchberg passiert ist, überhaupt zulassen? Wie kann Gott dieses Leid zulassen?"

Lobenhofer: Da kann ich auch nur sagen: Das ist unverständlich. Das hat etwas mit der Freiheit der Menschen zu tun. Gott gibt uns die Freiheit, Gutes zu tun, aber auch solche Katastrophen auszulösen. Und, dass ich es selbst nicht begreife oder glauben kann.

DOMRADIO.DE: Wie gehen Sie persönlich mit dieser Katastrophe um? Hat Sie das auch persönlich bewegt?

Lobenhofer: Ja, natürlich. Ich habe selbst Kinder, die sind ein bisschen älter. Wir haben unterschiedliche Altersgruppen im Einsatz, jüngere und ältere. Und es betrifft eigentlich alle Generationen. Es betrifft die Generation, die Enkel in dem Alter hat. Es betrifft Eltern, die Kinder haben. Es betrifft eigentlich alle, weil jeder Kinder und Jugendliche in dem Alter kennt. Natürlich betrifft eines das sehr.

Das Interview führte Elena Hong.

Große Anteilnahme bei Beerdigung des getöteten Mädchens

Unter großer öffentlicher Anteilnahme ist das vor zwei Tagen in Illerkirchberg getötete Mädchen am Mittwoch beerdigt worden. Angehörige, Mitschülerinnen und Mitschüler sowie Anwohner gaben der toten Jugendlichen das letzte Geleit. Bereits vor der Bestattung hatten sich mehrere hundert Menschen auf dem Friedhof im Ortsteil Oberkirchberg versammelt. Wegen der großen Menschenmasse, die der Friedhof nicht fassen konnte, mussten die Totengebete auf den angrenzenden Parkplatz verlegt werden.

Drei Mädchen trauern am Tatort eines Messerangriffs auf zwei Schülerinnen in Illerkirchberg / © Christoph Schmidt (dpa)
Drei Mädchen trauern am Tatort eines Messerangriffs auf zwei Schülerinnen in Illerkirchberg / © Christoph Schmidt ( dpa )
Quelle:
DR