Nobelpreis an Aktivisten in Russland, Ukraine und Belarus

Zeichen für Frieden setzen

Dass der Friedensnobelpreis in diesem Jahr den Fokus auf den Krieg in Europa legen würde, hatten viele erwartet. Die Wahl fiel auf Menschenrechtler in Russland, der Ukraine und Belarus; darunter ein Katholik aus Minsk.

Autor/in:
Oliver Hinz
Oleksandra Matviichuk von der Menschenrechtsorganisation Center for Civil Liberties aus der Ukraine / © Right Livelihood Foundation (dpa)
Oleksandra Matviichuk von der Menschenrechtsorganisation Center for Civil Liberties aus der Ukraine / © Right Livelihood Foundation ( dpa )

Ales Bjaljazki ist ein eher stiller, aber unbeugsamer Held der Bürgerrechtsbewegung im Osten Europas. Der 60 Jahre alte Belarusse gründete im April 1996 in Minsk das Menschenrechtszentrum Wjasna (Frühling), als die Regierung seines Landes Massenproteste der demokratischen Opposition niederschlug. Aus ganzer Überzeugung hilft Bjaljazki verhafteten Demonstranten und Demokratieaktivisten.

Ales Bjaljatzki, belarussischen Menschenrechtsanwalt, während einer Gerichtsverhandlung in Minsk / © Sergei Grits/AP (dpa)
Ales Bjaljatzki, belarussischen Menschenrechtsanwalt, während einer Gerichtsverhandlung in Minsk / © Sergei Grits/AP ( dpa )

Er ließ in seinem Engagement nicht nach, obwohl ihn das autoritäre Regime des belarussischen Machthabers Alexander Lukaschenko selbst ins Gefängnis warf. Seit Juli 2021 sitzt er - unter dem falschen Vorwurf der Steuerhinterziehung - erneut in Untersuchungshaft. Den Friedensnobelpreis, den das norwegische Nobelkomitee ihm am Freitag zusprach, kann er daher im Dezember nicht in Oslo entgegennehmen.

Das Preiskomitee würdigte den promovierten Literaturwissenschaftler als einen der "Initiatoren der Demokratiebewegung", die Mitte der 80er Jahre in Belarus entstand: "Die Regierungsbehörden haben wiederholt versucht, Ales Bjaljazki zum Schweigen zu bringen".

Vorsitzender der Menschenrechtsorganisation "Wjasna"

Trotz enormer persönlicher Not habe er in seinem Kampf für Menschenrechte und Demokratie in Belarus keinen Millimeter nachgegeben. Das Lukaschenko-Regime hatte ihn bereits von August 2011 bis Juni 2014 ins Gefängnis gesteckt - wegen angeblicher Steuerhinterziehung. Als ihm damals die Parlamentarische Versammlung des Europarates den Vaclav-Havel-Menschenrechtspreis verlieh, wurde er seiner Frau Natalja Pintschuk übergeben.

2012 besuchte der damalige Vatikanbotschafter Claudio Gugerotti den Katholiken Bjaljazki in der Strafkolonie und segnete ihn im Auftrag von Papst Benedikt XVI. (2005-2013). Der Menschenrechtsaktivist notierte zu der Begegnung in seinen "Gefängnisheften", Gugerotti habe ihn gefragt, was er dem Papst mitteilen solle. "Sagen Sie ihm, dass dies das größte Ereignis in meinem Leben ist. Aufmerksamkeit und Sorge des Papstes um uns", habe er geantwortet. "Hoffen wir, dass seine Fürbitten für die politischen Gefangenen in Belarus Früchte tragen."

Bjaljazki blieb bis heute Vorsitzender der Menschenrechtsorganisation "Wjasna". Weil die Behörden mit aller Härte gegen die Nichtregierungsorganisation vorgehen, kann sie nur noch im Untergrund und vom Ausland aus politischen Häftlingen in Belarus helfen. Sechs ihrer Mitarbeiter sind aktuell inhaftiert. Auf ihrer Internetseite listet "Wjasna" jetzt so viele Menschen wie noch nie auf, die zu Unrecht aus politischen Gründen im Gefängnis sitzen: 1.348. Die NGO dokumentiert alle Fälle und genießt als bedeutende belarussische Stimme für Menschenrechte und Demokratie hohes Ansehen.

Russische Menschenrechtsorganisation Memorial

Ebenfalls mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet werden in diesem Jahr die russische Menschenrechtsorganisation Memorial und das Zentrum für bürgerliche Freiheiten in der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Alle drei Gewinner repräsentieren nach den Worten des Nobelkomitees die Zivilgesellschaft in ihren Heimatländern und zeigen deren Bedeutung für Frieden und Demokratie. Sie arbeiteten seit vielen Jahren für das Recht, Machthaber zu kritisieren und die Grundrechte der Bürger zu schützen.

Ein Unterstützer der Menschenrechtsgruppe Memorial, der eine Gesichtsmaske mit der Aufschrift Das Memorial kann nicht verboten werden trägt / © Alexander Zemlianichenko (dpa)
Ein Unterstützer der Menschenrechtsgruppe Memorial, der eine Gesichtsmaske mit der Aufschrift Das Memorial kann nicht verboten werden trägt / © Alexander Zemlianichenko ( dpa )

"Sie haben sich in herausragender Weise für die Dokumentation von Kriegsverbrechen, Menschenrechtsverletzungen und Machtmissbrauch eingesetzt", sagte die Vorsitzende des norwegischen Nobelkomitees, Berit Reiss-Andersen. Durch ihr konsequentes Engagement für humanistische Werte, Antimilitarismus und Rechtsgrundsätze hätten die diesjährigen Geehrten die Vision des Preisstifters Alfred Nobel von Frieden und Brüderlichkeit zwischen den Nationen wiederbelebt. Diese Vision brauche die Welt heute am dringendsten.

NGO entstand noch zu Sowjetzeiten

Der Oberste Gerichtshof Russlands hatte im Dezember 2021 die Zwangsauflösung von Memorial angeordnet. Der NGO wurde vorgeworfen, die sowjetische Geschichte unzutreffend und die UdSSR als "Terror-Staat" darzustellen. Die Organisation überziehe staatliche Organe zudem mit Kritik. Bereits seit 2013 wurde Memorial von den Behörden als "ausländischer Agent" gebrandmarkt.

Die NGO entstand noch zu Sowjetzeiten 1987. Ihr erster Vorsitzender war der Atomphysiker, Dissident und Friedensnobelpreisträger Andrej Sacharow. Nach dem Ende der Sowjetunion entwickelte sich Memorial zur größten Menschrechtsorganisation Russlands. Sie baute ein Dokumentationszentrum für die Opfer des Regimes von Josef Stalin auf und betreute Menschen, die der Kreml politisch verfolgen und verhaften ließ. Während der Tschetschenienkriege sammelte Memorial Informationen über Misshandlungen und Kriegsverbrechen, die von russischen Truppen an der Zivilbevölkerung begangen wurden. Ihr Mitglied Natalja Estemirowa wurde 2009 bei der Aufklärungsarbeit in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny entführt und ermordet.

Kiewer Zentrum für bürgerliche Freiheiten

Das Kiewer Zentrum für bürgerliche Freiheiten macht sich in der Ukraine für Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit stark. Geleitet wird es von der 38 Jahre alten Anwältin Oleksandra Matwijtschuk, die 2007 die NGO gründete, und vier weiteren Frauen.

Das Zentrum bemüht sich seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine im Februar 2022 darum, russische Kriegsverbrechen gegen die ukrainische Zivilbevölkerung aufzudecken. Matwijtschuk bekam dieses Jahr bereits den "Alternativen Nobelpreis".

In einer ersten Reaktion zur Verleihung des Friedensnobelpreises forderte die Menschrechtsaktivistin am Freitag auf Facebook internationale Reformen für Frieden und Sicherheit. Russland solle wegen "systematischer Verstöße" gegen die Charta der Vereinten Nationen aus dem UN-Sicherheitsrat ausgeschlossen werden. "Wir müssen ein internationales Tribunal schaffen und Putin, Lukaschenko und andere Kriegsverbrecher vor Gericht stellen", so Matwijtschuk.

Zugleich betonte sie, einfache Menschen hätten viel mehr Einfluss, als sie meinten. Massenmobilisierungen von Menschen in verschiedenen Ländern der Welt und ihre gemeinsame Stimme könnten die Weltgeschichte schneller verändern als Initiativen der Vereinten Nationen.

Friedensnobelpreis

Der Friedensnobelpreis ist eine der renommiertesten Auszeichnungen weltweit. Seit der Gründung 1901 wurde er bislang 97 mal verliehen; unter den Preisträgern waren 109 Personen und 25 Organisationen. Den ersten Friedensnobelpreis bekamen 1901 der Schweizer Henri Dunant und der französische Pazifist Frederic Passy. Dunant gründete das Internationale Komitee vom Roten Kreuz. Friedensnobelpreise wurden bislang in 101 Jahren vergeben - in Kriegszeiten sowie manchen Jahren, in denen kein geeigneter Preisträger gefunden wurde, gab es keine Verleihungen.

Kopien von Medaillen mit dem Bildnis von Alfred Nobel / © Jeppe Gustafsson (shutterstock)
Kopien von Medaillen mit dem Bildnis von Alfred Nobel / © Jeppe Gustafsson ( shutterstock )
Quelle:
KNA