Starker Geburtenrückgang in den USA

Nicht in Baby-Stimmung?

Die Geburtenrate sinkt in den USA auf ein dramatisches Tief. Die Pandemie hat den Trend nur verschärft. Der "Baby Bust" hat vor allem wirtschaftliche und politische Gründe. Dabei war eigentlich ein Babyboom prognostiziert worden.

Autor/in:
Thomas Spang
Ein Baby hält den Finger der Mutter fest / © Photobac (shutterstock)
Ein Baby hält den Finger der Mutter fest / © Photobac ( shutterstock )

Lyz Lenz kann aufbrausend sein: "Jetzt sollen Frauen plötzlich in der Stimmung sein, Babys zu bekommen", empört sich die bekannte Kolumnistin und Buchautorin über einen moralisierenden Unterton einiger Kommentatoren zum neuen Tiefststand an Neugeborenen in den USA.

Die 39-Jährige, die über die Rechte Schwangerer geschrieben hat, bringt vor allem in Rage, dass Frauen eher unausgesprochen als offen vorgehalten wird, sie gefährdeten mit ihrer Haltung zu weniger Kindern oder gar keinem Kind die US-Sozialsysteme. Ausgerechnet die Frauen, die seit einem Jahr das Zepter beim Homeschooling übernommen haben, ohne Kinderbetreuung und soziale Unterstützung auskommen müssen und wahrscheinlich ohne Job sind, sollen sich jetzt Gedanken über eine Schwangerschaft machen?

Niedrigste Geburtenrate seit 1979

Auslöser der Klagen über die Baby-Flaute sind aktuelle Zahlen der Gesundheitsbehörde "Centers for Disease Control and Prevention", die für 2020 einen Rückgang um vier Prozent im Vergleich zum Vorjahr errechnet hat.

Die jüngsten Daten betreffen das Jahr des Pandemiebeginns, für das Demoskopen einen "Babyboom" vorhergesagt hatten. Laut einer Studie der Denkfabrik "Brookings" werden 2021 nun 300.000 bis 500.000 Babys weniger das Licht der Welt erblicken als ursprünglich prognostiziert.

Die Gesamtzahl 2020 von rund 3,6 Millionen Geburten ist zugleich die niedrigste seit 1979. Die Geburtenzahlen sanken im sechsten Jahr in Folge.

Besonders stark ist der Rückgang mit sechs Prozent demnach bei Frauen zwischen 20 und 24 Jahren. Bei den 25- bis 29-Jährigen fiel die Geburtenrate um vier Prozent. Als Hauptursache werden unter anderem späte Heirat und eine Priorisierung von Arbeit und Ausbildung gesehen.

Die Pandemie wirkt da nur noch wie ein Beschleuniger einer Entwicklung. US-Amerikaner hätten seit Beginn der Corona-Krise weniger Sex, ermittelten die Universität von Indiana und das Kinsey Institute. Das bestätigt auch eine Umfrage des Guttmacher-Instituts.

Experten fürchten "demografisches Erdbeben"

Mehr als jede dritt Frau im gebärfähigen Alter gab demnach an, wegen der Pandemie eine Schwangerschaft auf die Lange Bank zu schieben.

Experten befürchten ein "demografisches Erdbeben", da die Entwicklung langfristig die sozialen Sicherungssysteme gefährde. Derzeit stehen einem Rentner rechnerisch 2,8 werktätige Personen gegenüber; in etwa

30 Jahren könnte dieses Verhältnis auf 2,2 Werktätige fallen. Es geht um die Frage, wer in Zukunft Sozialleistungen bezahlen soll, wenn nicht mehr genügend künftige Steuerzahler geboren werden. Der langfristige Trend wird sich jedenfalls nicht schnell ändern: US-Familien werden kleiner, und immer mehr Frauen führen ein kinderloses Leben.

Das hat auch mit der Arbeitsrealität der Frauen zu tun. Ein mehrere hundert Dollar teurer Platz in einer privaten Kita ist für die meisten Familien nicht erschwinglich. Hinzu kommen Benachteiligungen am Arbeitsplatz, die werdende Mütter oft genug aufs Abstellgleis manövrieren. Ein Problem sind auch ungeschützte Arbeitsverhältnisse.

Job oder Baby

Sie stellen Frauen vor die Wahl: Job oder Baby. Bis 2020 bildeten Frauen noch die Mehrheit unter den Erwerbstätigen.

Seit diesem Jahr liegt der Wert, verglichen mit den Männern, auf dem niedrigsten Stand seit 1988, wie das "National Women's Law Center" errechnet hat. Mehr als 2,5 Millionen schieden zwischen Februar 2020 und Januar 2021 aus dem Erwerbsleben aus. Sie verloren ihre Jobs oder kündigten selbst, weil sie sich in der Pandemie als "Hauslehrerinnen" um ihre Kinder kümmerten. Auch politisch standen US-Frauen jahrelang allein mit ihrem Konflikt zwischen Herd und Büro. Der Staat enthielt ihnen ausreichende Unterstützung vor, Kinder großzuziehen.

Das soll nun anders werden. Joe Bidens "American Families Plan" soll Frauen und Familien Steuervorteile für Kinderbetreuung bringen sowie zwölf Wochen Elternzeit. Biden will nicht nur Straßen, Eisenbahn und Flughäfen modernisieren, sondern auch in "menschliche Infrastruktur" investieren. Gewinner seines Familienprogramms wären vor allem Frauen.


Quelle:
KNA