Neues Interview-Buch zeichnet überraschendes Bild des Papstes - Die wichtigsten Stellen im Wortlaut

Präsenz Gottes zum Kernpunkt machen

Das mit Spannung erwartete Interview-Buch des Papstes "Licht der Welt" ist am Dienstag offiziell vorgestellt worden. Der Präsident der Päpstlichen Rates für die Neuevangelisierung, Erzbischof Rino Fisichella, präsentierte das 220 Seiten umfassende Werk bei einer Pressekonferenz im Vatikan. Es enthält weit mehr Überraschungen als die vorab diskutierte Kondomfrage.

Autor/in:
Johannes Schidelko
 (DR)

Eine der Sensationen des neuen Papstbuches wurde bereits vorab enthüllt - und entwickelte sich zum medialen Hype. In seinem Interview "Licht der Welt" signalisiert Benedikt XVI. mehr kirchliche Flexibilität im Kampf gegen Aids. Zwar bedeutet dies keine Kehrtwende in der katholischen Sexualmoral, wie Medien meinten. Aber in bestimmten Fällen könnten Kondome - für die Kirche bislang generell tabu - doch hinnehmbar sein: etwa um die Ansteckung durch einen HIV-infizierten Partner zu verhindern.



Der angebliche Kurswechsel stellte zunächst den Rest des Papst-Interviews in den Schatten - das selbst bereits eine Sensation ist. Nie zuvor hat ein Papst in dieser Form sein Pontifikat erklärt, Hintergründe seiner Entscheidungen erläutert; Erfolge und Fehler analysiert, kritische Fragen von Aids bis Zölibat beantwortet - und dabei viel Menschliches preisgegeben. Der "Panzerkardinal" erweist sich als offener, einfühlsamer Hirte, der über seine persönlichen Ängste (bei der Papstwahl) und seine Freuden (bei den Weltjugendtagen) spricht. Er macht seinem Ärger über die vatikanische Pressearbeit zu den Piusbrüdern Luft. Er räumt einen "Super-Gau" im Fall Williamson ein - dessen Exkommunikation er nie zurückgenommen hätten, wenn er dessen Holocaust-Äußerungen gekannt hätte. Er gibt zu, dass er keinen Sport treibt, und lässt wissen, dass er stets die weiße Soutane und nie einen Freizeitpullover trägt.



Auf 220 Seiten und 90 Fragen des Münchener Publizisten Peter Seewald ergibt sich ein breites Bild von fünf Jahren Pontifikat Benedikts XVI. Zu den herausragenden Ereignisse zählt der Papst seine Auslandsreisen und - vielleicht etwas überraschend - das Paulusjahr von 2008/09 wie das soeben beendete Priesterjahr. In die erste Reihe stellt er auch die Probleme, die nach dem überraschend positiven Start sein fünftes Amtsjahr überschatteten. Politik bleibt im Interview dagegen außen vor, abgesehen von wenigen Worten zu Menschenrechten, Frieden und Gerechtigkeit.



Werk Johannes Paul II. fortführen

Benedikt XVI. sieht für sein Pontifikat keine ganz neue Aufgabe - so wie Johannes Paul II. (1978-2005) die Kirche ins dritte Jahrtausend zu führen hatte. Er will dessen Werk weiterführen, die Dramatik der Zeit erfassen, in ihr das Wort Gottes verkünden und dem Christentum seine Einfachheit und Tiefe vermitteln, ohne die es nicht wirken kann.



Erstaunlich, aber schlüssig ist, wie Benedikt XVI. die umstrittene Rücknahme der Exkommunikation für die Traditionalistenbischöfe in eine Parallele zur vielgelobten Aussöhnung mit den patriotischen Bischöfen Chinas setzt. Wer sich dem Primat des Papstes unterstellt

- was beide Gruppen taten - für den entfalle der Grund der Exkommunikation, stellte der Papst klar.



Breit und mit unbekannten Details äußert sich der Papst zu den Missbrauchsskandalen. Deren Ausmaß sei für ihn ein ungeheurer Schock gewesen, auch wenn es für ihn nicht ganz überraschend kam. Sein an die irische Kirche adressierter Brief habe für alle Länder in ähnlichen Situationen gegolten, sagte er auf die Frage, warum er kein eigenes Schreiben an seine Landsleute gerichtet habe. Nicht mehr äußern wollte er sich zur Kritik von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Sie sei anscheinend nur unvollständig über das informiert gewesen, was die Kirche inzwischen gesagt und getan habe.



Klassische innerkirchliche Probleme

Zu den klassischen innerkirchlichen Probleme wie Zölibat, wiederverheiratete Geschiedenen oder Frauenpriestertum bestätigt das Buch bekannte Positionen. Homosexualität ist für ihn "gegen den inneren Sinn von Sexualität"; daher könnten Homosexuelle nicht Priester werden. Zudem unterstreicht Benedikt XVI. die Dringlichkeit der Ökumene; sie sei mit der Orthodoxie aussichtsreicher als mit den Protestanten. Er bekräftigt die engen Beziehungen zu den Juden, die er lieber "Väter im Glauben" als "ältere Brüder" nennt, weil letzterer Begriff abwertend sei. Er würdigt seinen Vorgänger Pius XII. (1939-1958), der so viele Juden gerettet habe wie kein anderer

- und daher "einer der großen Gerechten" sei. Die Äußerung stieß bereits auf Kritik französischer Juden.



Etliche Spekulationen und Vermutungen werden in dem Interview von Benedikt XVI. präzisiert und geklärt: Dass die Zeit für ein Drittes Vatikanischen Konzil noch nicht reif sei. Dass er gerne dem russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill I. begegnen möchte und ein nicht allzu fernes Treffen Rom-Moskau für möglich hält. Dass er nicht wegen einzelner Sachprobleme im Amt zurücktreten würde, wohl aber wenn er physisch, psychisch oder geistig dessen Anforderungen nicht mehr gewachsen wäre.



"Wege der Lebbarkeit finden"

Als Aufgabe für den weiteren Verlauf seines Pontifikats bezeichnet Benedikt XVI. zuoberst die Neuevangelisierung. In einer Welt, in der Wissenschaft und Fortschrittsdenken die "Hypothese Gott" überflüssig zu machen schienen und in der sich eine "Diktatur des Relativismus" ausbreite, müsse der christliche Glaube neu verwurzelt werden. Es müsse ein inneres Gleichgewicht zwischen menschlichem Können und geistlichem Wachstum hergestellt werden. Und dazu müsse die Kirche ihren Beitrag leisten.



Nicht nur in der Kondomfrage signalisiert Benedikt XVI. in dem Interview Öffnung. In Sachen Empfängnisverhütung und "Humanae vitae" müsse Vieles neu bedacht und neu ausgesagt werden. Bei allen richtigen Perspektiven gelte es, "Wege der Lebbarkeit zu finden". Trotz Kirchenkrise und Austrittszahlen demonstriert Benedikt XVI. mehr Zuversicht als Skepsis. Neben Einbrüchen im Westen gebe es erfreuliche Aufbrüche andernorts. Hohen Anteil daran sieht er bei den geistlichen Bewegungen, die mehr neuen Elan in die Kirche bringen als alte Bürokratien - und die die Präsenz Gottes wieder zum Kernpunkt machen.