Neue Studie über Klimawandel und Migration

"Zögern tötet"

Bis 2050 müssen wohl bis zu 200 Millionen Menschen ihre Heimat als Folge des Klimawandels verlassen. Das sagte eine neue UN-Studie voraus. Die Folgen für die betroffenen Länder sind gravierend. Die Zeit drängt.

Autor/in:
Christoph Arens
 (DR)

"Zögern tötet" steht in großen roten Buchstaben im Innenhof des Bonner Maritim-Kongresszentrums, wo die Delegierten der UN-Klimaverhandlungen derzeit an einem Verhandlungsentwurf für ein neues Klimaschutzabkommen feilen. Die Zeit drängt. Laut UNO gab es allein 2007 weltweit fast 400 große Überschwemmungen, Wirbelstürme, Erdbeben und Hitzewellen. Betroffen waren davon rund 200 Millionen Menschen. Mehr als 20 Millionen verließen aus diesem Grund ihre Heimat. Meistens trifft es die Ärmsten der Armen: So kamen in Bangladesch zwischen 1950 und 2000 rund eine Million Einwohner durch Naturkatastrophen zu Tode.

Es gibt einen direkten Zusammenhang zwischen Klimawandel und Migration, wie Hilfsorganisationen am Mittwoch am Rande der Klimakonferenz deutlich machten. Und das Risiko steigt: Bis 2050 rechnet die für Migration zuständige UN-Organisation IOM als Folge des Klimawandels und anderer ökologischer Probleme mit bis zu 200 Millionen Menschen, die ihre Heimat verlassen müssen. Das hat gravierenden Folgen auch für die politische Stabilität der betroffenen Länder.

Zu späte Bemühungen
Eine am Mittwoch veröffentlichte Studie des UN-Flüchtlingskommissariats, der UN-Universität und der Hilfsorganisation Care sieht Grund für Pessimismus: Die Bemühungen der Weltgemeinschaft, den Ausstoß von Treibhausgasen zu verringern und die Klimaerwärmung zu bremsen, seien unzureichend und viel zu spät begonnen worden, heißt es in der Studie unter dem vielsagenden Titel "Obdach gesucht. Auswirkungen des Klimawandels auf Migration und Vertreibung". Deshalb muss die Weltgemeinschaft nach Meinung der Autoren ab jetzt auch verstärkt in Schutzmaßnahmen für betroffene Menschen und Anpassungsstrategien an den Klimawandel investieren.

Beispielsweise in Flutschutz entlang von Küstenregionen, Projekte zum Stopp der Wüstenbildung, landwirtschaftliche Bewässerung und Pflanzen, die sich dem neuen Klima anpassen. "So manche Vertreibung aus der Heimat könnte durch frühzeitige Anpassungsmaßnahmen verhindert werden", sagte der Hauptgeschäftsführer von CARE in Deutschland, Wolfgang Jamann.

Die Studie nennt eindrucksvolle Beispiele dafür, wie der Klimawandel die Lebensgrundlage von Milliarden Menschen verändern könnte: Etwa durch das bereits begonnene Abschmelzen der Gletscher im Himalaya, der auch als Wasserspeicher Asiens gilt. Die riesigen Flüsse, die dort entspringen - etwa Indus, Ganges Irrawaddy und Jangtse - versorgen mehr als 1,4 Milliarden Menschen mit Wasser, Nahrung und Energie.

Überflutungen in den Wintermonaten, Wassermangel in der heißen
Jahreszeit: Ernteausfälle, Bodenerosion und Verteilungskonflikte könnten Millionen Menschen zur Abwanderung aus ihren angestammten Lebensräumen bewegen. Wie heute schon in Brasilien, wo zwischen 1970 und 2005 laut IOM 60 Millionen Menschen von ländlichen in städtische Gebiete zogen, die meisten von ihnen aus dem regenarmen Nordwesten des Landes, wo als Folge des Klimawandels die Niederschläge weiter abnehmen.

Die Furcht der Industrieländer
Verstädterung, Slumbildung, Aufgabe ganzer Gebiete: Bislang suchen die meisten Klimaflüchtlinge innerhalb ihrer Heimatländer neue Lebensmöglichkeiten. Politiker in den westlichen Industriestaaten befürchten aber, dass Klimaflüchtlinge aus dem ärmeren Süden künftig auch verstärkt versuchen, in den reichen Norden zu kommen, der ja Hauptverursacher des Klimawandels ist. Laut Hilfsorganisation Oxfam gehen drei Viertel der schädlichen Treibhausgase in der Atmosphäre auf das Konto der Industrieländer.

Wie wird der Norden reagieren? Nach Darstellung der neuen Studie fehlen bisher klare Richtlinien der Weltgemeinschaft zum Umgang mit diesen Flüchtlingen. Unklar ist beispielsweise der Flüchtlingsbegriff: Menschen, die aus Umweltgründen ihre Heimat verlassen, haben derzeit keinen durch internationales Recht gesicherten Status. Und das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR warnt davor, von Umweltflüchtlingen zu sprechen. Die Bezeichnung sei irreführend und könne das internationale Rechtssystem für politische Flüchtlinge unterhöhlen.