Ordensfrauen werden nicht nur in Asien und Afrika sexuell missbraucht, sondern auch in Deutschland. Und: Manchmal sind die Täter nicht Männer, sondern Mitschwestern. So lauten zwei zentrale Befunde der ersten wissenschaftlichen Untersuchung zum Thema für den deutschsprachigen Raum. Mitte September wurde sie als Buch veröffentlicht. Autorin ist die Freisinger Theologin Barbara Haslbeck, die an der Universität Regensburg forscht.
Der Herder-Verlag bewirbt ihre 378 Seiten starke Arbeit als "Pionierstudie". 15 Mitglieder klassischer Orden und Neuer Geistlicher Gemeinschaften hat die Forscherin in teils mehrstündigen Interviews intensiv befragt. "Mir haben mehrere Frauen von Missbrauch durch Mitschwestern berichtet - in einem Ausmaß, mit dem ich nicht gerechnet habe", sagte Haslbeck der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). "Die Zelle einer Ordensfrau schützt davor nicht", heißt es dazu im Buch.
Täterinnen gehen mit Zwang und Dominanz vor
Frauen als Tatpersonen - dieser Aspekt sei mit besonders viel Scham behaftet. Die Betroffenen, in ihrer Studie sind es drei, hätten die von weisungsbefugten Mitschwestern begangenen und unter Zwang und Dominanz ausgeführten Taten nicht kommen sehen, keine Worte dafür gehabt - und seien fest davon ausgegangen, dass ihnen in ihrer Gemeinschaft sowieso nicht geglaubt werden würde. Nach Angaben der 53-Jährigen handelt es sich um die weltweit bisher umfangreichste qualitativ erhobene Datensammlung zum Thema sexueller Missbrauch an Ordensfrauen. Die Interviews wurden zwischen Februar 2022 und November 2023 geführt. Schon dieser Zeitraum liefert einen Hinweis auf den mit der Forschung verbundenen Aufwand.
Um überhaupt an auskunftswillige und -fähige Personen aus dem Feld zu kommen, konnte Haslbeck einen "Vertrauensvorschuss" nutzen. Zehn der von ihr Befragten kannten sie schon von Veröffentlichungen oder Veranstaltungen. Das Thema treibt die promovierte Pastoraltheologin schon seit Studienzeiten um. Mittlerweile 21 Jahre lang engagiert sie sich in der ökumenischen Initiative Gottes-Suche.de, in der es um Glaube nach Gewalterfahrungen geht. Haslbecks Studie ist nicht repräsentativ. Das kann sie schon aus methodischen Gründen nicht sein. Doch trotz der vergleichsweise niedrigen Teilnehmerinnenzahl lassen sich Muster und typische Abläufe erkennen, denen in einer quantitativen Folgestudie nachzugehen wäre.
Missbrauch als heilendes Handeln kaschiert
Hier einige Ergebnisse: Neun Gesprächspartnerinnen gaben an, bereits als Kind massiv sexuell missbraucht worden zu sein, fünf davon in der eigenen Familie, drei durch eine Kirchenperson. Alle neun vertrauten diese traumatische Belastung später im Kontext ihres Ordenseintritts einem geistlichen Begleiter aus einem Männerorden an - der sich dann seinerseits an den jungen Frauen verging. "Alle Täter bedienten sich des Deutungsmusters, dass die körperlichen und sexuellen Handlungen der Heilung der Frauen dienten." Sie hätten etwa gesagt: "Was ich mit dir tue, soll dir zeigen, wie sehr Gott dich liebt", so Haslbeck im Gespräch mit der KNA.
Der Missbrauch erstreckte sich in der Regel über Zeiträume von einigen Jahren bis mehreren Jahrzehnten. Das Spektrum reichte von oberflächlichen Berührungen bis zur Vergewaltigung. Bei vier Frauen wurde die Gewalterfahrung zusätzlich verschärft durch die Angst, schwanger geworden zu sein. Bitter: Bei den Gemeinschaften auf der Täterseite mussten laut der Forscherin immerhin fünf Frauen erleben, dass diese eine Untersuchung der Vorwürfe ablehnten, "weil der Missbrauch geleugnet wird".
Körperliche Gewalt eher selten
Körperliche Gewalt ist beim Missbrauch von Ordensfrauen nach Haslbecks Erkenntnissen eher selten. Etwa die Hälfte der Frauen habe sich an die Täter emotional eng gebunden gefühlt. "Sie fingen an, für sie nicht nur zu putzen und zu kochen, sondern auch die Predigt zu verfassen." Bei manchen habe es Jahre gedauert, bis sie realisiert hätten, was wirklich passiert sei. Dass es nicht um sie gehe, sondern dass sie ausgebeutet würden, sei ihnen typischerweise erst da klar geworden, wo sich ihnen gezeigt habe, "dass der Priester weitere Frauen in ähnlicher Weise benutzt".
Die Pastoraltheologin klassifiziert das Noviziat als Risiko-Phase und Geistliche Begleitung als Risiko-Ort. Frauen, die in ein Kloster eintreten, lösen sich von ihrer Herkunftsfamilie, oft ist der geistliche Begleiter ihre einzige Bezugsperson, der sie dann ihr Innerstes offenbaren. Das macht sie besonders verletzlich. Solche notwendigerweise vertraulichen seelsorglichen Gespräche und Beziehungen einer gewissen Kontrolle zu unterwerfen, dürfte eine anspruchsvolle Aufgabe sein.
Beim Gespräch über Sexualität Externe hinzuziehen
Haslbeck gibt dazu einige Fingerzeige: Sexualität sollte beim Hineinwachsen in eine klösterliche Gemeinschaft nicht tabuisiert werden. Allerdings gelte es den Gesprächsrahmen zu überdenken und fachlich qualifizierte Externe hinzuzuziehen. Insbesondere müsse das Thema erlebten Missbrauchs in der Kindheit in Frauengemeinschaften proaktiv und professionell bearbeitet werden.
Bei der Geistlichen Begleitung sollte auf fachliche Qualifikation geachtet und diese von Psychotherapie getrennt werden. Hinsichtlich Ort, Zeit, Häufigkeit und Dauer müssten Grenzen gesetzt werden. In der Studie ist teils von stundenlangen Telefonaten, E-Mails zu jeder Zeit, gemeinsamen Saunagängen und Urlauben zu lesen, auch von "Eucharistiefeiern im privaten Rahmen, zu zweit und auf engem Raum". Fingen geistliche Begleitpersonen an, Sexualität zu thematisieren oder von einer "heilsamen Beziehung" zu sprechen, sei generell Vorsicht geboten.
Verheerend aufgeladene Klerikerrolle hinterfragen
Als verheerend schätzt die Theologin nicht zuletzt die aufgeladene Klerikerrolle ein. Priester würden in einigen Frauengemeinschaften zum Teil derart "angehimmelt", dass sie in den Rang eines Gurus erhoben würden. Als "Hahn im Korb" werde ihr Status noch verfestigt - und damit ihre Möglichkeit, nach Belieben Grenzen zu verschieben.
Am Ende ihres Buches referiert Haslbeck, was ihre Interviewpartnerinnen anderen Betroffenen empfehlen. So sollten die Ideale, die den Missbrauch flankiert hätten, kritisch hinterfragt werden. "Etwa dass eine gute Ordensfrau das eigene Ich aufzugeben hat, dass sie einen Priester immer zu unterstützen hat."