Die heißesten Tage des Jahres mit Temperaturen um die 35 Grad in Jerusalem sind vorbei. Mit den ersten Septembertagen beginnt in der Heiligen Stadt die klassische Touristensaison. Nach der langen Total-Sperre der Pandemie kommen die Besucher und Pilger wieder zurück.
In der Grabeskirche, in Gethsemane und vor dem Abendmahlssaal stehen Gläubige und Interessierte Schlange. Allerdings haben Andrang und Gedränge längst noch nicht das Niveau des Boomjahrs 2019 erreicht - das viele freilich als touristisch-überspannt empfanden. Kenner des Landes sprechen von 40 bis 50 Prozent der Vor-Corona-Zeit - aber mit Tendenz nach oben.
Rückgänge bei den Einreisezahlen
Die offizielle Statistik des israelischen Tourismusministeriums verzeichnet für die ersten Monate 2022 einen Einreise-Rückgang um 48 Prozent - von 2,9 auf 1,5 Millionen - gegenüber dem gleichen Zeitraum 2019. Vergleicht man nur den August, so beträgt der Rückgang lediglich 23 Prozent. Und für den Herbst werden noch 1,5 Millionen Besucher erwartet - im ganzen Jahr 2019 waren es 4,5 Millionen.
Die Erhebung schlüsselt indes nicht die Motive der Einreisenden auf: Sie schließen christliche Pilger auf den Spuren der Bibel ebenso ein wie russische Juden auf Verwandtenbesuch.

Beim religiösen Heilig-Land-Tourismus stehen derzeit ganz oben die Mittel- und Südeuropäer, wie das Informationszentrum der Franziskaner bestätigt: Italiener, Spanier, Franzosen. In den Altstadtgassen hört man aber auch viel Portugiesisch, Polnisch und Deutsch. Die auf deutschsprachige Gruppen und Besucher spezialisierten Pilger- und Gästebetriebe freuen sich nach langem Leerstand endlich wieder über eine gute Auslastung.
Kaum noch russische Pilgergruppen
An den Heiligen Stätten fällt das (fast) völlige Ausbleiben der russischen und ukrainischen Pilger auf, die dort bislang ein starkes Kontingent stellten. Seit dem russischen Einmarsch seien aus der Region kaum noch fromme Gruppen ins Land gekommen, bestätigen Kirchenvertreter.
Ohnehin hätten etwa zwei Drittel der russischen Mönche und Ordensfrauen in den hier rund 20 Klöstern zuletzt das Land verlassen, hört man. Insgesamt aber habe der Krieg sonst kaum Auswirkungen auf den hiesigen Tourismus.
Russische Wurzeln
Die israelische Politik verhält sich in dem Konflikt demonstrativ neutral. Zwar gelten viele Sympathien der Ukraine, aber Hilfe gibt es nur humanitär, nicht militärisch. Denn Israel ist auf einen gewissen "Handlungsspielraum" in Syrien angewiesen, damit der Erzfeind Iran dort nicht zu fest Fuß fasst. Der Schlüssel dazu liegt in Moskau, mit dem Israel sich nicht überwerfen will.

Zudem hat etwa ein Fünftel der israelischen Bevölkerung russische Wurzeln. Unter den seit 1990 eingewanderten russischen Juden sind nicht nur Putin-Feinde. An manchem armenischen Restaurant der Jerusalemer Altstadt weht neben der eigenen auch die russische Fahne - als Zeichen der Wertschätzung für den Schutz durch die Pufferzone gegen den Erzfeind Aserbaidschan.
Sorgen wegen steigenden Preisen
Die Rückkehr der Pilger an die christlichen Ursprungsstätten erfreut Kirchenvertreter und Pilgerbetriebe. Allerdings blickt mancher besorgt in die Zukunft. Viele der gegenwärtigen Besucher und Gruppen haben ihre Reise bereits vor der Pandemie gebucht - und holen sie jetzt nach. Offen bleibt daher, welche Auswirkungen die Wirtschaftskrise und auch der Krieg in der Ukraine mittelfristig auf den Heilig-Land-Tourismus haben werden.
Überall sind die Preise gestiegen: für Flug, Unterkunft, Verpflegung - auch infolge des schwachen Euro. Ohnehin geht schon seit Jahren der Trend zu kürzeren Aufenthalten: Früher waren 14 Tage im Land die Norm; inzwischen liege man bei 10 Tagen, mit rückläufiger Tendenz, wissen Experten. "Es besteht die Gefahr, dass Pilgern infolge der gestiegenen Preise künftig zu exklusiv wird", meint der Jerusalemer Patriarchalvikar und deutsche Benediktiner Nikodemus Schnabel. Früher habe man von Heilig-Land-Interessierten die Frage gehört: "Ist eine solche Reise auch sicher? Heute fragen die Leute immer öfter: Ist sie bezahlbar?"
Überdies haben nicht wenige Menschen grundsätzliche moralische Bedenken: Ob man in Kriegszeiten überhaupt auf große Pilgerfahrt gehen soll? Aber Christen-Besuche im Heiligen Land sind immer auch ein Zeichen von Solidarität mit den einheimischen Christen, deren Situation seit Jahren zunehmend belastet wird. Sie setzen hohe Erwartungen und Hoffnungen in die Zukunft des Pilgerns.