Deutscher Priester sieht angespannten Alltag in Jerusalem

"Ich fand es schon bizarr"

Wieder einmal gibt es Gewalt im Nahen Osten. Nach tagelangem Gefecht scheint in Israel nun eine Waffenruhe zu halten. Der deutsche Priester Stephan Wahl lebt in Jerusalem, fernab der Gefechte. Auch für ihn gehört die Gewalt zum Alltag.

Unruhige Zeit in Jerusalem / © Ilia Yefimovich (dpa)
Unruhige Zeit in Jerusalem / © Ilia Yefimovich ( dpa )

DOMRADIO.DE: Die Gewalt zwischen Israel und dem Gaza-Streifen ist in den letzten Tagen wieder eskaliert. Wie sah Ihr Wochenende in Jerusalem aus?

Msgr. Stephan Wahl (privat)
Msgr. Stephan Wahl / ( privat )

Msgr. Stephan Wahl (Autor und Priester in Jerusalem): An meinem Wochenende hat sich vom Plan her eigentlich gar nichts geändert. Es ist natürlich klar, dass man viel wachsamer ist und die Nachrichten anders verfolgt als sonst. Ein wichtiger Unterschied ist schon, dass wir fast alle eine App haben, die uns mitteilt, wann wieder im ganzen Land Raketenalarm ist. In Jerusalem war es im Gegensatz zum Süden ruhig. Im Süden sind die Raketen abgeschossen und meistens auch von den Israelis abgefangen worden - umgekehrt die Bomben dann auf Gaza.

Ich fand es schon bizarr. Ich habe einen Freund aus Südafrika zu Besuch. Mit dem war ich Sonntagabend im arabischen Lokal essen. Das Lokal war normal gefüllt, es waren Israelis da, es waren Araber da. Wir haben zwischendurch gesagt: Wir genießen hier das Essen mit dem wunderbaren Blick auf Jerusalem. Gleichzeitig gibt mein Handy immer wieder eine Raketenwarnung irgendwo im Süden aus. Es entsteht daraus eine Mischung, mit dem zu leben, sich aber gleichzeitig nicht aus dem Alltag herausreißen zu lassen. Das ist gerade typisch für die Gegend, in der ich lebe.

Msgr. Stephan Wahl

"Wir genießen hier das Essen mit dem wunderbaren Blick auf Jerusalem. Und gleichzeitig gibt mein Handy immer wieder eine Raketenwarnung irgendwo im Süden aus."

DOMRADIO.DE: Wie reagieren die Menschen in Jerusalem? Sind die eher ängstlich oder ist das fast wieder Alltag?

Wahl: Das Schreckliche ist, dass das ja nichts Neues ist, dass die Menschen hier an so was und an diese Nachrichten gewöhnt sind. Man hatte seit Samstag die Sorge, ob sich der Konfikt ausweitet. Wird die Hamas mitspielen? Wird die den "Islamischen Dschihad" unterstützen, obwohl das konkurrierende Organisationen sind? Bleibt das jetzt ein überschaubarer Konflikt, so schlimm das ist, oder gibt es wieder einen Gazakrieg, wie wir ihn letztes Jahr im Mai hatten?

Da sah es schon anders aus. In Jerusalem selber gab es auch viel Widerstand und Auseinandersetzungen. Hier in meinem Viertel ist damals die ganze Straßenbahnhaltestelle abgefackelt worden, weil sich da der Volkszorn entladen hat. Das ist im Moment nicht so. Wir sind jetzt alle sehr gespannt, ob der Waffenstillstand hält. Das Leben geht hier normal weiter. Man sieht, dass mehr Militär da ist, mehr Polizei an den verschiedenen Stellen, gerade in der Altstadt. Das merkt man. Aber sonst ist das Leben hier relativ normal. Im Süden sieht das natürlich ganz anders aus.

Raketen werden aus Gaza abgefeuert / © Mohammed Talatene (dpa)
Raketen werden aus Gaza abgefeuert / © Mohammed Talatene ( dpa )

DOMRADIO.DE: Sie leben als deutscher Priester in Jerusalem. Wie beeinträchtigt denn die politische Lage Ihre Arbeit vor Ort?

Wahl: Meine persönliche Arbeit wird davon nicht beeinflusst. Ich wohne hier auch sehr sicher. Ich wohne in Ostjerusalem und es werden nie Raketen nach Ostjerusalem, in den arabischen Teil kommen. Das weiß hier jeder, das ist klar.

Man merkt nur, dass sich die Situation immer wieder ein bisschen ändert. Ein Beispiel: Am Samstagabend war ein Konzert in der Altstadt. Traditionell kommen dann auch viele Israelis in die arabische Altstadt, die normalerweise nicht kommen würden. Am Samstag war das Konzert aber sehr leer, weil die nicht gekommen sind und dann doch ein bisschen vorsichtig sind. Die Organisatoren hatten auch über eine Absage nachgedacht, sich dann aber dagegen entschieden.

Das Interview führte Michelle Olion.

Gaza-Waffenruhe hält - Keine neuen Angriffe auf beiden Seiten

Eine von Ägypten vermittelte Waffenruhe im Gaza-Konflikt hat vorerst Bestand. Eine israelische Armeesprecherin in Tel Aviv bestätigte am Montagmorgen, es seien seit der Waffenruhe am Sonntagabend keine neuen Raketen aus dem Gazastreifen auf Israel abgefeuert worden. Auch die israelische Armee habe keine neuen Ziele in dem Küstenstreifen angegriffen. Nach dreitägigen Kämpfen trat die Waffenruhe um 23.30 Uhr Ortszeit (22.30 Uhr MESZ) in Kraft.

Waffenruhe in Israel / © Ilan Assayag (dpa)
Waffenruhe in Israel / © Ilan Assayag ( dpa )
Quelle:
DR