Nach 80 Jahren sind Nell-Breunings Mahnungen immer noch aktuell

Von Gier und Börsenmoral

Die Sprache ist gewöhnungsbedürftig. Und trotzdem ist dieses Buch auch nach gut 80 Jahren noch lesenswert - und aktuell. Oswald von Nell-Breuning, der wichtigste Vertreter der katholischen Soziallehre im 20. Jahrhundert, legte 1928 seine Doktorarbeit vor: "Grundzüge der Börsenmoral".

Autor/in:
Christoph Strack
 (DR)

Der Jesuit (1890-1991) veröffentlichte in seiner frühen Phase ein Konzept, dem er zeitlebens treu blieb: die kapitalistische Marktwirtschaft und auch die Börse in eine gesellschaftliche Rahmenordnung einzubetten. Die Kirche sei nicht generell gegen eine kapitalistische Wirtschaftsordnung, sondern sage "nur ihren Auswüchsen und Entartungen" den Kampf an. Denn der Markt an sich sei ein verantwortetes Wirtschaftsgeschehen und damit letztlich Teil der guten Schöpfung.

So könnten das auch die katholischen deutschen Bischöfe formulieren, die sich an diesem Mittwoch in Hamburg mit Fragen der Wirtschaftskrise befassen. Ähnlich haben sie es wiederholt in den vergangenen Jahren in Stellungnahmen betont, ohne dass dies aber groß zu einem Innehalten im System geführt hätte.

Gut 80 Jahre alt ist das Buch aus der Feder des Jesuiten - die Doktorarbeit erschien ein Jahr vor dem großen Börsencrash des Jahres 1929. Vor sieben Jahren legte der Münsteraner LIT-Verlag ein Reprint auf. Da schauen offenbar auch katholische Bischöfe rein. Ende Januar wies Kardinal Karl Lehmann bei einem Vortrag in Berlin darauf hin, dass schon der Nestor der katholischen Soziallehre in seiner Promotion explizit von einer "Gier" der Börse gesprochen habe. Und die Lektüre des Buches ruft manche Äußerung des Münchner Erzbischofs Reinhard Marx aus den vergangenen Jahren in Erinnerung.

"Etwas anderes ist es mit der reinen Profitgier"
Wirtschaftliche Betätigung zum Zwecke des Gewinnstrebens, für das die staatliche Ordnung keine Grenzen setze, ist für Nell-Breuning weder ungeordnet noch naturwidrig. "Etwas anderes ist es mit der reinen Profitgier", mahnt er. "Das abstrakte und verabsolutierte Gewinnstreben ist prinzipiell maß- und zügellos, prinzipiell antiökonomisch, asozial, egoistisch. Ob es d i e kapitalistische Sünde schlechthin ist, bleibt dahingestellt; gewiss ist es die Kapitalsünde der Habgier." Die richtige Gesinnung des Börsenmannes sei es, "im Dienst der Güterverteilung, nicht nur der Zuführung zur unmittelbaren Bedarfsbefriedigung", zu agieren.

Zentrale Bedeutung misst Nell-Breuning der Zulassungsstelle zum Aktienhandel zu. Ihre unmittelbare wirtschaftspolitische Aufgabe sei es, den Börsenhandel unsolider Papiere zu verhindern, "insbesondere auch eine Schädigung der vaterländischen Wirtschaft durch das Eindringen minderwertiger ausländischer Papiere (Exoten!) zu verhüten". Das war vor der großen Krise von 1929 vermutlich so dramatisch wie acht Jahrzehnte später.

Übrigens bekräftigt Nell-Breuning auch das unbedingte Verbot der Börsenspekulation für Geistliche. Dahinter stecke aber keine moralische Disqualifikation, sondern nur die Unvereinbarkeit der händlerischen Tätigkeit mit den Standespflichten des Klerikers. Der Jesuit selbst ging ohnehin einen anderen Weg. Mit dem Buch wurde Nell-Breuning Professor für Moraltheologie und Gesellschaftswissenschaft an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt.