Nach 1.200 Jahren droht das Ende der Maroniten in Nordzypern

Der schwindende Traum von blühenden Dörfern

Sie waren mal 80.000 verteilt auf 60 Dörfer. Heute leben Zyperns 5.000 maronitische Christen vor allem in Nikosia. Ihre verbleibenden vier Dörfer in Nordzypern wiederzubeleben ist ein Traum, der zunehmend schwindet.

Autor/in:
Andrea Krogmann
Heiligkreuzkirche in Karpasha (Zypern), eine maronitische Kirche, die in einem der vier noch existierenden Maronitendörfern im Nordteil Zyperns steht / © Andrea Krogmann (KNA)
Heiligkreuzkirche in Karpasha (Zypern), eine maronitische Kirche, die in einem der vier noch existierenden Maronitendörfern im Nordteil Zyperns steht / © Andrea Krogmann ( KNA )

Antoine Succar hängt sich ins Seil. Die Glocke im Turm der Heiligkreuzkirche setzt sich klangvoll in Bewegung und hebt den maronitischen Geistlichen ein paar Zentimeter über den Boden. Die erst vor wenigen Jahren restaurierte Kirche ist Succars Pfarrei, das Dorf Karpasha, in dem sie steht, eines von vier verbleibenden maronitischen Dörfern im türkisch kontrollierten Norden Zyperns. 1973, ein Jahr vor der Teilung der Insel, lebten 245 Menschen in dem immer schon rein maronitischen Dorf im Distrikt Kyrenia (Girne). Heute sind es vierzehn, erzählt der gebürtige Libanese: "Alte, die Karpasha 1974 nicht verlassen haben".

Junge Menschen wollen nicht in Nordzypern leben

In Kormakitis, dem gut elf Kilometer nordwestlich von Karpasha gelegenen größten der vier Dörfer, sind es rund 100 Einwohner. Auch das ist kein Vergleich zu den rund 1.250 Bewohnern vor der Teilung der Inseln. Junge Menschen ziehen so gut wie keine in den Norden.

"Es ist praktisch unmöglich, in diesen Dörfern zu leben", sagt der maronitische Pfarrer. Die Statistik scheint ihm Recht zu geben. Von heute geschätzt 5.000 Maroniten auf Zypern leben drei Viertel in der Hauptstadt Nikosia.

Einmal aus dem Ballungsgebiet Nikosia und dem Stau am Checkpoint heraus, führt die Straße durch Felder und eine dünnbesiedelte Hügellandschaft. Der Kyrenia-Distrikt sei jungfräulich, scherzt der Libanese unter Verweis auf das kaum entwickelte Gebiet.

Antoine Succar, Pfarrer einer maronitischen Pfarrei in Nordzypern

"Wir müssen vorsichtig sein, die Armee nicht zu verstimmen."

Vor allem Soldaten der nordzyprischen Armee leben hier - eine Realität, die für Pfarrer Souccar gute und schlechte Seiten hat. "Wir müssen vorsichtig sein, die Armee nicht zu verstimmen. Umgekehrt heißt das aber auch: Wenn es einst eine Lösung für den Zypernkonflikt gibt, könnten die Soldaten leicht abgezogen werden."

Auf eine Lösung in Reichweite deutet derzeit jedoch wenig, im Gegenteil. Die Lage verschlechtere sich unter Präsident Ersin Tatar, der seit Oktober 2020 im Amt ist, sagt Souccar. Vorgänger Mustafa Akinci habe Dinge pragmatischer gehandhabt und sei für den Gedanken einer Wiedervereinigung der Insel offener gewesen. Asomatos und Agia Marina, die beiden verbleibenden Dörfer, liegen weiterhin für die ehemaligen Bewohner unzugänglich in militärischen Sperrbezirken. In Asomatos, erzählt Succar, dürfen sie mit Sondergenehmigung jeden Sonntag Gottesdienst feiern, in Agia Marina nur einmal im Jahr.

Maroniten

Die Maroniten sind die größte christliche Gemeinschaft im Libanon. Ihren Namen leiten sie von dem Einsiedler Maron ab, der beim nordsyrischen Apameia lebte und laut Überlieferung 410 starb. Zwischen dem Kloster Mar Maron und der byzantinischen Reichskirche gab es im 7. Jahrhundert dogmatische Spannungen. Zum Bruch mit Konstantinopel kam es 745 im Streit um die Einsetzung eines Patriarchen von Antiochien. Zu dieser Zeit hatten die Maroniten bereits einen eigenen Patriarchen gewählt. Die Tradition nennt ihn Johannes Maron.

Symbolbild: Ein Holzkreuz / © enterlinedesign (shutterstock)
Symbolbild: Ein Holzkreuz / © enterlinedesign ( shutterstock )

Samstags feiert Succar in Karpasha, diesmal im Gedenken an zwei jüngst Verstorbene. Auf dem mit einer kleinen Mauer umgebenen Kirchplatz herrscht reges Kommen und Gehen. Heilige Worte von drinnen mischen sich mit Smalltalk vor der Tür. "Meine Mutter stammt von hier, und obwohl sie in Nikosia lebt, hat sie hier ein Haus", sagt Giovanni Karahannas, Jahrgang 1982. Eine der Toten, derer heute gedacht wird, ist seine Großmutter, die im Dorf an Corona gestorben ist. "Es ist ein wichtiger Ort. Hier haben wir unsere Wurzeln", sagt Karahannas. Mehr als einmal im Vierteljahr treibt es ihn trotzdem nicht in den Norden. Ob seine Kinder einst die Besuchstradition fortsetzen werden?

Die Geschichte der Maroniten auf Zypern ist eine lange, sagt Pfarrer Succar, der selbst erst seit vier Jahren auf der Insel ist, nicht ohne Stolz. Sie sind die Nachfahren von Christen, die ab dem späten 7. Jahrhundert in vier aufeinander folgenden Wellen aus dem heutigen Syrien und Libanon nach Zypern flohen. Auf bis zu 80.000, verteilt auf rund 60 Dörfer, stieg die Zahl der Maroniten vor der Eroberung der Insel durch die Osmanen; wenige hundert waren es bei der Machtübernahme der Briten in 1878. Die Zahlen haben sich im 20. Jahrhundert etwas erholt, aber die Zukunft der religiösen Minderheit vor allem im Nordteil der Insel sieht alles andere als rosig aus.

Mit den Dörfern stirbt weit mehr als eine Ortstradition

"Ich werde wohl die letzte Generation in meiner Familie sein, die in Karpasha zuhause ist", glaubt Gianoula Orphanou. Seit 45 Jahren kümmert sich die maronitische Christin um die Dorfkirche, von den nordzyprischen Behörden ist sie als Muhtar, als Dorfvorsteherin, anerkannt. "Meine vier Kinder sind jeweils im Alter von zwölf Jahren in den griechischen Süden gezogen. Heute haben sie alle ein Haus in Karpasha und leben und arbeiten doch in Nikosia." Früher haben sie ihre Sommer in Karpasha verbracht, um Freunde und Familie zu treffen, erinnert sich einer ihrer Söhne. "Mein eigener Sohn fühlt schon nichts mehr für den Ort. Wenn die Situation weiter anhält, wird Karpasha mit der Generation meiner Mutter verloren gehen."

Mit den Dörfern stirbt weit mehr als eine Ortstradition, ist Ioannis Pahitas überzeugt. Mit 73 Jahren ist er der jüngste Bewohner von Kormakitis. "Es ist ein totaler Verlust. Unsere Familien sind verloren, rund 90 Prozent leben in gemischtkonfessionellen Ehen, alle unsere Priester heute kommen aus dem Libanon, weil wir keine zyprischen Geistlichen und Ordensleute mehr haben." Kormarkitis’ Pfarrer Joseph Tartak bestätigt: "Berufungen gibt es auf der Insel keine." Auch er ist gebürtiger Libanese; "selbst unser Erzbischof kommt aus dem Libanon".

Maronit Pavlos aus Karpasha

"Ich sehe keine maronitische Zukunft hier."

Sanna, der zyprisch-arabische Dialekt der einheimischen Maroniten, ist längst auf dem Rückzug. Und die Liturgiesprache sorgt zwischen dem Pfarrer und seinen Gläubigen immer wieder für Diskussionen. "Die Leute in Kormakitis würden am liebsten in der Tradition ihrer Vorfahren auf Arabisch feiern, aber der Erzbischof hat Griechisch angeordnet", sagt Pahitas und lacht. Dann wird er ernst. "Ich bin Rentner. Ich muss nicht mehr viel rumreisen. Meine Tochter mit ihren kleinen Kindern hingegen kann sich nicht vorstellen, in dieser Situation nach Kormakitis zu ziehen."

Noch bringen Zyperns Maroniten ihre Kinder in die alten Dörfer im Norden, damit sie "ihre Wurzeln nicht vergessen", wie Maronit Pavlos aus Karpasha es formuliert. Dann wuseln die Kleinsten durch den ansonsten verschlafenen Ort, in dem sich Verfall und liebevoll gehegte Häuser und Gärten begegnen. Die Älteren sitzen derweil bei Kaffee und libanesischen Köstlichkeiten im Dorfzentrum und tauschen Neuigkeiten aus. "Im Süden", sagt Giovanni Karahannas, "spüren wir die maronitische Gemeinschaft nicht." Menschen über die ganze Insel verteilt seien "nicht genug für die Gemeinschaft, um zu überleben", stimmt Pavlos zu. Deshalb sei es so wichtig, dass die junge Generation der Maroniten einander kennenlerne.

Über das Überleben der Dörfer aber machen sie sich keine Illusionen. Pavlos: "Ich sehe keine maronitische Zukunft hier."

Quelle:
KNA
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