Muslimin sieht Islam durch Papst Franziskus gestärkt

"Wieder auf Augenhöhe"

Gönül Yerli ist als Muslimin im katholischen Bayern aufgewachsen. Das hat ihr Interesse am Christentum geweckt. Heute engagiert sie sich für den Dialog der Religionen und Kulturen. In Papst Franziskus sieht sie einen Brückenbauer.

Papst Franziskus und Ahmad al-Tayyeb, Großscheich der Al-Azhar-Moschee / © Vatican Media/Romano Siciliani (KNA)
Papst Franziskus und Ahmad al-Tayyeb, Großscheich der Al-Azhar-Moschee / © Vatican Media/Romano Siciliani ( KNA )

DOMRADIO.DE: Was macht Papst Franziskus anders als seine Vorgänger, so dass Sie von einer neuen Ära zwischen Muslimen und Christen sprechen?

Gönül Yerli (privat)

Gönül Yerli (Vizedirektorin der Islamischen Gemeinde Penzberg und Vorstandsmitglied des Hauses der Kulturen und Religionen in München): Dazu gäbe es viel zu sagen. Das Wichtigste ist, dass Papst Franziskus den Muslimen ein neues Selbstbewusstsein gibt. Das bedeutet, dass er den Islam auf Augenhöhe wahrnimmt, auf die Vertreter des Islams zugeht und den Islam als große Religionsgemeinschaft wieder – ich sage bewusst: wieder – auf die Höhe der monotheistischen Religionen bringt.

Dies war aufgrund der weltweiten Geschehnisse der letzten Jahre, wo der Islam auch an Glaubwürdigkeit gelitten hat, ein ganz besonderes Zeichen hin zum Islam und zu den Muslimen.

DOMRADIO.DE: Wo ist dieses mangelnde Selbstbewusstsein bis zum Zeitpunkt von Franziskus zu spüren gewesen?

Yerli: Ich denke, da sehe ich ganz konkret aus der Brille einer Muslimin, die hier in Europa lebt und in Bezug auf den interreligiösen Dialog und die Wahrnehmung eines Islams in der Diaspora.

Gönül Yerli

"Das hat mir als Muslimin gut getan."

Deshalb hat es für mich persönlich auch sehr viel bedeutet, diese offene Anerkennung und das wirklich authentische Gespräch mit dem Islam zu führen, auch in einer Art und Weise, die Wärme signalisiert und Nähe sucht. Das hat mir als Muslimin gut getan. Vielleicht spreche ich hier von meinem ganz persönlichen Selbstbewusstsein.

DOMRADIO.DE: Sie sind als Muslimin in Bayern groß geworden, haben ein großes Interesse am Christentum, an der katholischen Kirche. Sie haben sogar den Würzburger Fernkurs absolviert, also katholische Theologie studiert. Wie ist es zu diesem Interesse gekommen?

Yerli: Ich bin im schönen katholischen Bayern groß geworden. Meine Eltern sind als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen. Seit dem dritten Lebensjahr lebe ich in einem mehrheitlich katholischen Umfeld. Ich habe auch den katholischen Religionsunterricht besucht, weil es damals in den Achtzigern schlichtweg weder einen evangelischen noch einen Ethikunterricht im Angebot gab.

Das Kreuz und der Halbmond: Zeichen für das Christentum und den Islam / © Julia Steinbrecht (KNA)
Das Kreuz und der Halbmond: Zeichen für das Christentum und den Islam / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Das hat mich sehr stark geprägt. Zu Hause war es der Islam und in der Schule und in meinem Umfeld, das ja auch von christlichen Freundschaften sehr geprägt war, hat mich diese Religion ebenso fasziniert wie meine eigene Religion. Das war dann später auch der Grund, warum ich anderen Religionen sehr interessiert gegenüberstand.

Diesen Beruf darf ich ja auch heute seit fast 20 Jahren in meiner Gemeinde hier in Penzberg ausüben. Das heißt, ich darf zwischen Religionen vermitteln und Brücken schlagen. Etwas Besseres, finde ich, kann einem Menschen im Leben nicht passieren und dafür bin ich sehr, sehr dankbar.

DOMRADIO.DE: Die aktuelle Situation im Nahen Osten spüren wir ja auch in Deutschland, auch zwischen den Religionen. Immer wieder werden Muslime auch hierzulande aufgefordert, sich deutlicher von der Gewalt der Hamas oder von anderen Islamisten zu distanzieren. Wie empfinden Sie als gläubige Muslimin diese Aufforderung?

Yerli: Ach, wissen Sie, irgendwie bin ich es als Muslimin fast schon gewöhnt, diese Distanzierungen vorzunehmen. Ich frage mich auch zum jetzigen Zeitpunkt, wie oft denn noch mehr von uns Muslimen eingefordert wird, uns vom Terrorismus, vom Extremismus, was leider nun mal auch von muslimischer Seite begangen wird, zu distanzieren.

Gönül Yerli

"Ich möchte mich aber hinstellen und sagen, was der Islam ist und nicht ständig wiederholen, was er nicht ist."

Das macht mit uns Menschen ja auch etwas. Das geht ja nicht an uns spurlos vorbei. Ich möchte mich aber hinstellen und sagen, was der Islam ist und nicht ständig wiederholen, was er nicht ist.

Diese Debatte, die müssen wir auch zukünftig noch aufrichtiger und noch ehrlicher führen – ich meine auch von beiden Seiten, also sowohl von der muslimischen Seite als auch von der Mehrheitsgesellschaft hier in Deutschland.

Interreligiöses Friedensgebet in München abgesagt

Das an diesem Montagabend auf dem Münchner Marienplatz geplante interreligiöse Friedensgebet ist abgesagt worden. Unter dem Motto "Muslime, Juden und Christen beten für Frieden im Heiligen Land und für das Miteinander in München" hatte die Landeshauptstadt und der Münchner Muslimrat dazu eingeladen.

Interreligiöser Dialog / © StunningArt (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Wenn Sie jetzt aber diese Bilder sehen, dass bei palästinensischen Demonstrationen nicht nur in Deutschland im Namen des Islam zur Vernichtung Israels oder zur Verherrlichung von Gewalt aufgerufen wird, ist das dann nicht auch emotional ein herber Rückschlag für Sie?

Yerli: Für mich gibt es einen Islam und dieser Islam, der steht für Frieden, der steht für Gerechtigkeit, der steht für Barmherzigkeit. Ja, es stimmt, Menschen gehen auf die Straße. Ich kann nur vermuten, was die Beweggründe sind. Aber ich kann vielleicht auch den Frust der Menschen verstehen, warum sie jetzt diesen Weg suchen.

Ich wünschte, es würde mehr Begegnung und mehr Gespräche unter den Glaubensgemeinschaften, aber auch in der Gesellschaft geben. Ich wünschte, auch mit der Politik würde es mehr Gespräche geben. Das sind Wege, die wir zukünftig angehen müssen. Vielleicht haben wir in der aktuellen Situation auch eine große Chance, die wir wahrnehmen können, um uns gegenseitig mehr Gehör zu geben.

DOMRADIO.DE: In München war ein interreligiöses Friedensgebet geplant, das am Wochenende abgesagt worden ist. Sie selbst waren auch an der Vorbereitung beteiligt. Wie ist es zu der Absage gekommen?

Yerli: Ich glaube, es war eine schnelle Reaktion von allen Seiten. Leider ist das Gebet abgesagt worden, zunächst aus terminlichen Gründen. Dann hieß es, dass man mit den Muslimen, die diese Veranstaltung auf die Beine gestellt haben, dieses Friedensgebet nicht durchführen kann.

Daraufhin waren die Alarmglocken da. Leider haben sich daraufhin die Beteiligten zurückgezogen. Auch wir Muslime haben dann gesagt, wir wollen unsere Dialogpartner nicht im Stich lassen, also dass sich die einen zurückziehen und die anderen es durchziehen.

Gönül Yerli

"Diese Chance dürfen wir uns nicht nehmen lassen, dass wir für den Frieden in der Welt beten."

Nein, auch wir haben uns dafür entschieden, dieses Gebet abzusagen, haben aber im Nachgang sehr viel Solidarität bekommen, warum es denn nicht möglich sei, ein "einfaches Friedensgebet" miteinander zu sprechen. Ich glaube, an den Punkt müssen wir wieder hinkommen. Diese Chance dürfen wir uns nicht nehmen lassen, dass wir für den Frieden in der Welt beten.

DOMRADIO.DE: Sie werden die Gespräche mit den Vertretern aus Politik und den anderen Religionen weiterhin versuchen fortzuführen?

Yerli: Natürlich. München hat etliche interreligiöse Einrichtungen und Religionsgemeinschaften, die sich seit Jahren eine gute und ich meine auch stabile Partnerschaft aufgebaut haben. Es mag derzeit etwas schwierig sein mit der Kommunikation, aber auch das gehört zum Prozess eines ehrlichen Dialogs dazu.

Letztendlich darf sich keine andere Alternative durchsetzen. Abgrenzung und Rückzug können nicht dienlich sein für ein tragfähiges gesellschaftliches Miteinander.

Das Interview führte Jan Hendrik Stens.

Hinweis: Gönül Yerli ist Referentin beim Studientag im Bistum Augsburg "Papst Franziskus. 10 Jahre sanfte Reform im Vertrauen auf Nähe, Mitgefühl und Zärtlichkeit“. Dieser findet am Freitag, den 10. November, im Akademischen Forum der Diözese Augsburg statt.

Quelle:
DR