Munib Younan zu Herausforderungen der Kirchen im Heiligen Land

"Es ist Zeit, sich anzupassen"

19 Jahre war Munib Younan im Bischof in Jordanien und im Heiligen Land. Im Interview spricht er über mangelnde Spiritualität, materielle Abhängigkeiten und Angst vor Antworten auf drängende Fragen.

 (DR)

KNA: Sie haben im Zusammenhang mit dem Rücktritt von Papst Benedikt XVI. gesagt, es sei wichtig zu wissen, wann der rechte Zeitpunkt für eine solche Entscheidung sei. Kommt Ihr Rücktritt zur rechten Zeit?

Munib Younan: Es ist nie leicht, die gute Arbeit, die man tut, abzugeben. Aber es ist wichtig zu wissen, dass die Kirche nicht uns gehört und dass ein Bischof sein Amt an einen Nachfolger abgeben kann, der die Arbeit weiterführt. Und auch, wenn das Amt geht, bleibt der Auftrag. Ich bleibe meiner Kirche erhalten und bin bereit, nicht nur meine Erfahrung, sondern auch meine Vision zu teilen. Ich werde eine Stimme bleiben für die Christen im Heiligen Land, für Gerechtigkeit, Frieden und interreligiösen Dialog.

KNA: Wie würden Sie ihre langjährige Erfahrung an der Spitze Ihrer Kirche zusammenfassen?

Younan: Ich habe das Amt übernommen in einer Zeit, in der ein Frieden noch am Horizont war. Nach drei Jahren fand ich mich in der zweiten Intifada wieder und damit vor der Herausforderung, dem Ruf Christi, aber auch der Not meiner Gläubigen gerecht zu werden. Gerechtigkeit ist für mich nicht etwas rein Politisches, sondern auch theologisch und spirituell: Wie kann es gelingen, in einer hoffnungslosen Zeit Hoffnung zu pflanzen? Wie können wir Gottvertrauen und eine starke Spiritualität schaffen, um auch an unser Land und andere Menschen zu denken?

Eines meiner Hauptanliegen war, eine arabisch-palästinensische Spiritualität zu schaffen, die auf biblischer Grundlage den Nöten unserer Gläubigen antwortet. In dem emeritierten lateinischen Patriarchen Michel Sabbah hatte ich einen Kollegen und Partner in dieser Mission für Einheit, Spiritualität und Gerechtigkeit. Unser vertrautes Verhältnis ist etwas sehr Seltenes und in Jerusalem nicht üblich.

KNA: Wo sehen Sie die größten Herausforderungen heute?

Younan: Unsere Gläubigen brauchen vordringlich eine tiefere Spiritualität als heute. Die Kirche, und damit meine ich alle Konfessionen, hat durch ihre karitative Arbeit dazu beigetragen, eine Generation von Abhängigen heranzubilden. Daher sind die Erwartungen der Gläubigen an die Kirche mitunter materialistisch statt spirituell.

Die Kultur der Abhängigkeit besteht nach wie vor und ist eine große Herausforderung. Als Bischof habe mich diesem falschen Verständnis von Kirche entgegengestellt. Eine weitere große Herausforderung ist das Verhältnis zwischen der Ortskirche und den hier lebenden ausländischen Christen.

KNA: Inwiefern?

Younan: Viele ausländische Kirchen sind durch politische Umstände hierhergekommen, oft mit einer eigenen Agenda und Mentalität. Damit sind sie mitunter für uns zu einer Bürde geworden. Die Welt hat sich verändert, und es ist Zeit, sich anzupassen.

Für ein Gleichgewicht muss dringend eine Theologie der Begleitung entwickelt werden, die die Ortskirche respektiert und die Ausländer, die mit uns leben, dazu aufruft, uns zu unterstützen, statt ihre Agenda oder die ihrer Kirche mitzubringen. Wir wollen Zusammenarbeit und Unterstützung, aber wir wollen keinen Wettbewerb. Wer hierherkommt, muss sich fragen: Akzeptiere ich die Autorität der Ortskirche und ihrer Führung? Das ist ein sehr sensibles Thema.

KNA: Ist die Leitung der Ortskirche durch einheimische Führer in Gefahr?

Younan: Das ist die Angst an der Basis, die ich oft höre, und sie ist doppelter Natur. Es gibt, zu recht oder nicht, Gerüchte, dass Ausländer unsere Rollen übernehmen. Die Angst ist aber auch, dass palästinensische Bischöfe kompromittiert und zu neutral in ihrem Denken werden. Dies gilt nicht meinem Nachfolger, das möchte ich klar betonen. Es ist eine generelle Angst, die besteht. Deshalb müssen die ausländischen Christen die palästinensischen Führer in die erste Reihe bringen, um zu zeigen, dass es ihnen darum geht, der Kirche Christi in diesem Land zu Wachstum zu verhelfen.

KNA: Sehen Sie Präsenz der Christen gefährdet?

Younan: Es wird kein Heiliges Land ohne Christen geben. Ja, unsere Zahlen sinken. Was um uns herum passiert, ermutigt niemanden, hierzubleiben. Aber es ist unsere Rolle, die Jugend und alle Gläubigen zu befähigen, in dieser hoffnungslosen Situation Hoffnung zu haben. Ich will keine ausländische Kirche im Heiligen Land, keine Taufscheinchristen und keine Nutznießerchristen. Ich will einheimische Christen mit einer Vision für sich und ihre Kirche. Unsere oberste Priorität und Aufgabe ist es, durch Bildung diese Vision zu schaffen.

KNA: Was sind die weiteren Prioritäten?

Younan: Wir leben hier in einer Mentalität des Verdienstes: Du bist, was du besitzt. Stattdessen brauchen wir eine Spiritualität des Vertrauens, in der der Mensch ohne Ansehen seiner Verdienste wertvoll in den Augen Gottes ist. In dieser Spiritualität der Gnade und Liebe können wir wachsen. Hier hat die Kirche in diesem Land ihre Arbeit nicht immer gemacht. Schauen wir auf 1948, 1967 oder jetzt die

US-Jerusalemerklärung: Christen aller Konfessionen haben ihren Glauben verloren, weil sie Gott als parteiisch sahen. Die Kirchen hatten Angst, sich dem Thema zu stellen. Statt den Fragen der Menschen zu begegnen, haben wir sie alleingelassen, bis wir nicht mehr schweigen konnten. Aus diesen Fehlern der Vergangenheit müssen wir lernen. Darum ist Papst Franziskus so beliebt: weil er spirituelle Antworten auf ihre Fragen gibt.

KNA: Macht mit Papst Franziskus auch die Ökumene Fortschritte?

Younan: Im schwedischen Lund haben wir die Treue zum Evangelium gesehen. Wir haben sie in der katholischen Kirche gesehen und sie in uns. Diesen Geist konnte ich bei allen drei Päpsten spüren, die ich in meiner Amtszeit getroffen habe: Johannes Paul II., Benedikt XVI.

und Franziskus. Wir können unterschiedlicher Meinung sein in theologischen Fragen, in einer Sache aber stimmen wir überein: dem Auftrag Christi, an seiner Kirche in dieser Welt zu bauen und dem Evangelium der Liebe treu zu sein. Hierin liegt die Stärke der Ökumene und Einheit.

Von Andrea Krogmann


Quelle:
KNA