Moraltheologin Angelika Walser: Warum Freundschaften lebensnotwendig sind

"Die kleine warme Insel in der kalten Welt"

Warum sind Freundschaften wichtig? Weil sie glücklich machen! Freundschaft ist eine Art roter Faden der Menschheitsgeschichte – davon ist die katholische Moraltheologin Angelika Walser überzeugt. Sie zu definieren sei aber schwierig.

Neue Beziehungsformen: Zusammenleben im Alter / © Jörg Loeffke (KNA)
Neue Beziehungsformen: Zusammenleben im Alter / © Jörg Loeffke ( KNA )

DOMRADIO.DE: Freundschaften sind tatsächlich einer der wichtigsten Faktoren für die Zufriedenheit von Menschen. Warum ist das so?

Angelika Walser (Moraltheologin​): Die Glücksforschung sagt, dass der Menschen grundsätzlich ein soziales Wesen ist. Das hat schon Aristoteles so formuliert. Er hat vom "animal sociale" gesprochen. Der Mensch braucht offensichtlich andere Menschen um ein geglücktes Leben führen zu können. Das ist eine grundsätzliche Erklärung.

Heute sagt uns die Soziologie übereinstimmend seit den 1970er Jahren, dass in großen gesellschaftlichen Transformationsprozessen, Menschen sich nach Sicherheit sehnen. Wenn man überhaupt nichts mehr überblicken kann durch große Globalisierungsprozesse, dann sucht man Sicherheit und will eine kleine warme Insel in der kalten Welt haben, wo man sich festhält.

DOMRADIO.DE: Nicht jeder Mensch findet einen Ehe- oder Lebenspartner. Freunde – in irgendeiner Form – haben aber doch die allermeisten. Gibt es eine feste Definition für Freundschaft?

Walser: Es hat verschiedene Definitionsversuche im Laufe der Geschichte gegeben. Ganz spontan denke ich an den Autor Jacques Derrida, der sagt: Der Freund ist einer der mich begleitet. Das wäre eine Definition, aber natürlich ist es letztendlich eine äußerst individuelle Sache. Das schafft dann auch manchmal Missverständnisse, falsche Erwartungen, wo man sich meistens irgendwie stillschweigend einigen muss. Entweder ist man einander sympathisch und geht miteinander weiter oder aber man lässt es einfach bei einem guten Glas Wein und erwartet nichts Weiteres vom anderen.

Freundschaft ist eine äußerst individuelle Lebensform. Es gibt so ein paar Grundkonstanten, wie zum Beispiel, dass Freundschaft eine Beziehung ist unter "Gleichrangingen". Das kommt aus der antiken Philosophie. Da gibt es Versuche, das für alle Zeiten zu fassen. Das ist aber sehr schwierig.

DOMRADIO.DE: Sie plädieren sogar dafür, die Freundschaft und nicht die Ehe als die Keimzelle einer demokratischen Gesellschaft zu sehen. Wie können Sie das begründen?

Walser: Erstmal würde ich an der Stelle Freundschaft und Ehe nicht gegeneinander ausspielen. Nach dem klassischen katholischen Verständnis sprechen sowohl Thomas von Aquin, als auch Papst Franziskus in Amoris Laetitia von der Freundschaft als Basis der Ehe. Gemeint ist das gegenseitige Wohlwollen, dass sich die beiden Ehepartner einander entgegenbringen sollen.

Ein Phänomen dieser Zeit ist aber, dass wir nicht mehr nur noch diese klassischen Beziehungsformen, wie die Ehe haben. Wir haben sehr viele neue Beziehungsformen, die auch der Kultivierung bedürfen. Ich denke ganz konkret an alte Menschen, die sich zusammenschließen im Alter, um das gemeinsam zu bewältigen. Neue Formen von Familie sind Patchworkfamilien. Da geht es nicht mehr um Blutsverwandtschaft, sondern da geht es um Wahlverwandtschaft.

Ich glaube, dass wir diese Art von Beziehungen würdigen und kultivieren sollten. Wie wir uns im Kleinen verhalten, hat dann auch Auswirkungen auf ein demokratisches Miteinander und auf eine politische Kultur des Umgangs Miteinander. Deswegen denke ich, dass Freundschaft sowohl in der Ehe als auch außerhalb der Ehe tatsächlich eine Basis für eine demokratische Gesellschaft ist.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.


Angelika Walser, Moraltheologin (privat)
Angelika Walser, Moraltheologin / ( privat )
Quelle:
DR