Mittelstandspräsident sieht Politik und Unternehmer in der Pflicht

"Der Mensch steht im Mittelpunkt"

Er gilt das Rückgrat der deutschen Wirtschaft: Der Mittelstand. Das geht nur, weil der Wert des einzelnen Menschen geschätzt wird, sagt Mittelstandspräsident Mario Ohoven. Zudem erklärt er, warum der Mittelstand wichtig ist, und weshalb Flüchtlinge die Fachkräfte der Zukunft sind.

Ausbildung im Mittelstand / © Sebastian Kahnert (dpa)
Ausbildung im Mittelstand / © Sebastian Kahnert ( dpa )

DOMRADIO.DE: Der Mittelstand ist ein typisch deutsches Phänomen, um das uns selbst die Amerikaner beneiden. Was haben wir, was andere nicht haben?

Mario Ohoven (Präsident des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft): Der Mittelstand ist bei uns Familie. Diese Familie gründet ein Unternehmen. Der Mitarbeiter wird betreut wie ein Familienmitglied. Das bedeutet, dass in schweren Zeiten, wie wir sie 2008 hatten, der Mittelständler einfach zur örtlichen Bank gegangen ist, und sich vom Sparbuch das Gehalt seiner Mitarbeiter geholt hat. Im anschließenden Wirtschaftsboom hat der Mittelstand von genau diesem Vorgehen profitiert.

DOMRADIO.DE: Welche Rolle spielt der Mitarbeiter dabei als Mensch?

Ohoven: Unser Mittelstand zeichnet sich durch gelebte unternehmerische und gesellschaftliche Verantwortung aus. Unternehmer haften als Eigentümer in der Regel persönlich. Sie stehen für ihre Kredite oder Hypotheken mit Haus und Hof – für die Unternehmen und für die Arbeitsplätze der Mitarbeiter. Die soziale Marktwirtschaft wollen wir als Mittelstand erneuern und wieder den ehrbaren Kaufmann in den Vordergrund stellen. Dieser ehrbare Kaufmann ist eigentlich das A und O des deutschen Mittelstandes.

DOMRADIO.DE: Viele Branchen klagen über Fachkräftemangel. Der Mittelstand ist sehr vielfältig, aber inwiefern sind Sie davon betroffen?

Ohoven: Der Mittelstand leidet unter einem Fachkräftemangel. Wir müssen natürlich sehen, dass der Mittelständler seinen Arbeitnehmer jeden Tag sieht. In einem Unternehmen mit 100.000 Mitarbeitern sehe ich den Mitarbeiter nicht jeden Tag. Von den 3,5 Millionen deutschen Unternehmen haben 2,9 Millionen zwischen zwei und 15 Mitarbeiter. Aus diesem Grund sieht der Unternehmer seine Angestellten jeden Tag mehrere Male, hat ein sehr enges, persönliches und ehrbares Verhältnis. Die Fachkräfte werden dem Mittelstand allerdings oft von den Konzernen abgezogen. Der Mittelstand bild et 80 Prozent aller Fachkräfte aus. Anschließend kommt der Konzern, hat nicht die große Mühe der Ausbildung, denn da kostet ein Lehrling Geld, wirbt dann aber mit mehr Gehalt diesen Lehrling ab. Darunter leidet der Mittelstand. Der Mittelständler muss sich deshalb in der globalisierten Zeit besser verkaufen. Im Mittelstand sind die Entscheidungswege viel schneller, und auch die Karrieremöglichkeiten sind größer.

DOMRADIO.DE: Der Mittelstand muss sich besser verkaufen?

Ohoven: Der Deutsche kennt, Zahlen, Daten, Fakten. Der ist im Produktmanagement ganz hervorragend, gerade der Mittelständler. Was wir lernen müssen ist kein Produktmanagement, sondern ein Beziehungsmanagement. Wenn Sie zu einem guten Mittelständler gehen und sagen er muss seine Erfolge nach außen bringen, dann sagen Ihnen nach wie vor 80 Prozent der Mittelständler: Mit Presse und PR möchte ich mal gar nichts zu tun haben. Ich will nicht in der Zeitung stehen. Das hat sich in der Globalisierung brutal verändert, deshalb müssen wir uns besser verkaufen.

DOMRADIO.DE: Wie geht das?

Ohoven: Indem man sich einfach darum kümmert. Der Mittelständler will auf der einen Seite Herr im Ring sein, auf der anderen Seite will er in der Öffentlichkeit seinen Kopf nicht zeigen. Das muss er aber tun. Herr im Ring sein, heißt heute nicht mehr Einzelkämpfer sein, sondern Herr im Team sein.

DOMRADIO.DE: Es gibt aus verschiedenen Ecken die Idee dem Fachkräftemangel mit der Ausbildung von Flüchtlingen entgegenzuwirken. Kann das Ihrer Meinung nach funktionieren?

Ohoven: Das funktioniert. Momentan sind noch nicht mal 20 Prozent der Flüchtlinge im Arbeitsmarkt. An der Zahl kommt kein Mensch vorbei. Das scheitert als erstes an der Sprache. Ich glaube 87 Prozent der Unternehmer sagen: Für uns ist die Sprache das A und O um den Eingliederungsprozess nach vorne zu bringen. Auf der anderen Seite lässt sich durch die Qualifikation von Flüchtlingen das Facharbeiterproblem nicht kurzfristig lösen. Der Flüchtling ist der Facharbeiter von über-übermorgen. Dafür brauchen wir ein Einwanderungsgesetz mit einem Zehn-Punkte-Programm. Das was Kanada schon lange macht. Die brauchen Zuzug von Facharbeitern. Australien macht das auch. Wenn ich dieses Zehn-Punkte-Programm erfülle, kann ich einwandern. Wenn ich das nicht erfülle, muss ich dran arbeiten, sonst komme ich nicht ins Land.

DOMRADIO.DE: Steht für Sie da die Politik in der Verantwortung?

Ohoven: Ich sehe einwandfrei die Politik in der Verantwortung. Wir brauchen aber auch eine flexiblere Arbeitsmarktpolitik. Statt der täglichen Höchstarbeitszeit in Absprache mit den Mitarbeitern sollten wir Jahreskonten einführen. Wenn in Zeiten der Saison die Leute gebraucht werden, sollten sie mehr arbeiten. In den Zeiten, wo man sie nicht braucht, sollten sie dann zuhause bleiben. Leiharbeit, Werkverträge, das sind wichtige Instrumente dabei. Mit Werkverträgen werden Spezialisten eingesetzt bei Auftragsspitzen. Deshalb brauchen wir das. Kleine Betriebe können damit Eltern-, Urlaubs- oder Krankenzeiten überbrücken, und vor allen Dingen können wir Auftragsschwankungen damit ausgleichen. Wir möchten aber auch dem Menschen eine zweite und dritte Chance geben. Wir haben 1,3 Millionen Menschen bis 29 Jahre ohne Abschluss. Wenn wir von fehlenden Facharbeitern sprechen, müssen wir auch diese Menschen im Blick behalten. Diese jungen Leute wollen wir im Mittelstand fordern und fördern, weil der Mensch im Mittelpunkt steht.

Das Gespräch führte Renardo Schlegelmilch.


Mario Ohoven / © Rainer Jensen (dpa)
Mario Ohoven / © Rainer Jensen ( dpa )
Quelle:
DR