Archivdirektor gibt Einblick in seinen Alltag

“Mit einer gewissen Gelassenheit”

Seit gut 30 Jahren arbeitet Dr. Ulrich Helbach im Historischen Archiv, seit 2004 in leitender Funktion. Mit Blick auf zukünftige Generationen müssen er und sein Team immer wieder neu entscheiden, welche Archivgüter von Bedeutung sind.

Ulrich Helbach im Historischen Archiv des Erzbistums Köln / © Ulrich Helbach (privat)
Ulrich Helbach im Historischen Archiv des Erzbistums Köln / © Ulrich Helbach ( privat )

DOMRADIO.DE: Was fasziniert Sie an Ihrer Arbeit?

Dr. Ulrich Helbach (Leiter des Historischen Archivs des Erzbistums Köln): Ich habe immer mit Menschen zu tun. Die historischen Dokumenten zeigen mir, in welcher Situation die Menschen standen, die noch nicht wussten, was kommen würde. Ich erfahre, wie sie damals ihre Situation wahrgenommen, gelebt und gehandelt haben. Und das gibt einem so ein bisschen das Gespür dafür, dass es uns auch so geht. Wir leben, handeln, sind erfolgreich oder machen Fehler. Wie das insgesamt später beurteilt wird, das entzieht sich unserer Kenntnis. Wir schaffen jetzt etwas für die nächste Generation. Und wenn wir sehen, wie in der Vergangenheit Menschen gehandelt und entschieden haben, dann kann das auch unsere Entscheidungen heute beeinflussen. Dieser ganzheitliche und auch existentielle Bezug unseres Berufs ist ein Segen und fasziniert mich immer noch.

DOMRADIO.DE: Zu Ihnen kommt eine Flut an Archivgütern, und Sie müssen sie bewerten und entscheiden, ob sie einen Platz in Ihrem Archiv finden oder nicht. Wie frei sind Sie bei diesen Entscheidungen?

Helbach: Es gehört wirklich zu den Kernaufgaben unseres Berufs zu entscheiden, was wird in der künftigen Zeit da sein als Untersuchungsfundus, als Projektionsfläche. Welche Fragen werden die künftigen Generationen haben? Und da lassen wir uns von rein fachlichen Leitlinien lenken. Wir heben also keine Dokumente gleichen Inhalts zweimal auf und bewahren auch nur die Akten von einer Stelle auf, die bei einem Vorgang die unmittelbare Verantwortung hatte. Also wir bewahren nicht alles auf. Sie können sich nicht vorstellen, wieviel wir auch vernichten. Aber die Entscheidungen fallen rein fachlich. Und ich kann Ihnen für mich und meine Kolleginnen und Kollegen, für das ganze Team, versichern, dass es in den Jahrzehnten, die ich im Blick habe, weder Einflüsse noch Versuche gegeben hat, Einfluss zu nehmen. Und natürlich sagen vielleicht die Menschen in 50 Jahren, ach, hätten die das doch nur verwahrt, irgendwelche Belege und Rentenzahlungen. Das ist menschlich. Wir können heute nicht wissen, was in 50 Jahren von Interesse ist.

DOMRADIO.DE: Für jeden Beruf gibt es so etwas wie eine ethische Grundeinstellung. Wo sehen Sie die ethischen Leitplanken Ihres Berufs?

Helbach: Auf jeden Fall eine gewisse Gelassenheit. Also wirklich das Gestern zu akzeptieren, die Menschen so sein zu lassen, wie sie gelebt haben, nicht zu schnell schon zu bewerten. Das machen Historikerinnen und Historiker. Ich bin auch Historiker. Aber als Archivar muss ich ein Stück weit zurücktreten. Wir sehen ganz viel, was hochspannend ist, was man alles selbst erforschen könnte. Aber andere kommen und werden das erforschen. Und mit dieser Situation muss man klarkommen.

Zur ethischen Grundhaltung gehört auch, dass wir uns nicht beeinflussen lassen. Ich möchte das noch einmal betonen. Niemand von außen, also keine Interessenvertreter von Kirche und Gesellschaft dürfen uns hereinreden. Wir sind dazu da, mutige Entscheidungen zu treffen, die klar, nachvollziehbar und auf rein fachlicher Ebene getroffen werden.

Wir müssen auch einen gleichberechtigten, transparenten Zugang zu unseren Beständen garantieren. Also nicht wie früher, als nach Gutsherrenart nur Leute zugelassen wurden, die den Archivaren nahestanden oder in den Kram gepasst haben. Die Zeiten sind vorbei. Es gelten für alle gleichermaßen bestimmte Regularien. Akten, die frisch aus der Registratur kommen und noch unter dem Vorbehalt Dienstgeheimnis stehen, sind für alle Besucher erst einmal nicht benutzbar.

Angesichts der zur Zeit schwierigen Themen in der Kirche, zu der wir ja gehören, ist es für uns als Archivarinnen und Archivare wichtig, dass wir uns ein Stück weit davon lösen. Weil wir von Berufswegen die Vergangenheit und die Zukunft im Blick haben, sollten wir uns nicht zu sehr von dem Tagesgeschehen beeindrucken lassen - obwohl wir als Christin und Christ verantwortlich für Kirche und Gesellschaft in diesem Heute leben. Wir sollten mit einer gewissen Gelassenheit gegenüber dem aktuellen Nachrichtenstrom unserem Beruf nachgehen und unsere Aufgabe erfüllen, den zukünftigen Generationen eine gute, vielfältige und seriöse Archivwelt zu hinterlassen, die ihnen hilft, unsere Zeit möglichst authentisch zu verstehen.

Das Interview führte Birgitt Schippers.

Einen Artikel über die Geschichte des Archivs gibt es hier. Das ausführliche Interview (36 min.) mit Archivdirektor Helbach ist hier im Video zu finden.


Quelle:
DR