Mit dem "Friedenskreuz" am Hambacher Forst

Die Kirche und die Kohle

Manheim und Morschenich im rheinischen Braunkohlerevier sollen einem Tagebau weichen. Die beiden Orte sind überregional kaum bekannt - anders als der benachbarte Hambacher Forst. Eine Ortsbegehung.

Autor/in:
Lukas Kissel
Das Aachener Friedenskreuz im Zentrum einer Prozession zum Hambacher Forst / © Lukas Kissel (KNA)
Das Aachener Friedenskreuz im Zentrum einer Prozession zum Hambacher Forst / © Lukas Kissel ( KNA )

Manheim und Morschenich haben ihre Zukunft bereits hinter sich. Schon in wenigen Jahren werden die beiden Orte im rheinischen Braunkohlerevier zwischen Aachen und Köln von der Landkarte gestrichen sein, so zumindest ist es geplant. Dann wird dort, wo einmal Menschen wohnten, ein riesiges Loch in der Erde klaffen.

Proteste um Hambacher Forst

Die Umsiedlung der mehr als 1.600 Manheimer läuft seit 2012, viele Einwohner haben ihre Häuser bereits verlassen. Die "bergbauliche Inanspruchnahme" ist für 2022 vorgesehen - eine bürokratische Umschreibung für den Abriss einer ganzen Ortschaft. Morschenich steht ein ähnliches Schicksal bevor. Hier können die Bewohner seit 2015 nach "Morschenich-Neu" umziehen. Ebenfalls betroffen: der benachbarte Hambacher Forst - anders als Manheim und Morschenich inzwischen bundesweit Symbol für das Ringen um Klimaschutz und Energiewende.

Während 600 Kilometer weiter in Berlin die von der Bundesregierung eingesetzte Kohlekommission bis zum Jahresende um erste Ergebnisse zur Zukunft der Braunkohlereviere in Deutschland ringt, eskalieren seit ein paar Wochen die Proteste rund um das 200 Hektar große Waldstück. Die Polizei versucht, das Gelände von Umweltaktivisten zu räumen. In der vergangenen Woche kommt dort ein Journalist ums Leben; Tausende Menschen versammeln sich zu Protestzügen.

Dürener Katholikenrat mit Prozession

Auch am vergangenen Sonntag gehen Demonstranten auf die Straßen. In Manheim und Morschenich hat der Dürener Katholikenrat eine Prozession organisiert - gegen einen "rücksichtslosen Umgang von uns Menschen mit unserer Schwester Erde". Etwa 80 Menschen haben sich eingefunden.

Sie tragen Regenjacken und Ponchos, die Kinder Gummistiefel. Der erste Herbststurm zieht übers Land. Und lässt die sonst menschenleeren Straßen Manheims noch trister als sonst erscheinen: Rollläden sind zugezogen, Schaufenster mit Vorhängen verdeckt.

"Aachener Friedenskreuz" geht mit

An der Spitze des kleinen Zuges ist ein großes Holzkreuz zu sehen - acht Helfer braucht es, um die 150 Kilo anzuheben. Das "Aachener Friedenskreuz" ist schon über 70 Jahre alt. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg wurde es auf Initiative von Kriegsheimkehrern geschaffen.

Seitdem haben sie es immer wieder an Orte getragen, die für Krieg und Konflikte stehen, etwa vor Kasernen oder Raketenstationen.

Diesmal geht es um die Bewahrung der Schöpfung "mit friedlichen Mitteln", wie die Vorsitzende des Katholikenrates, Irene Mörsch, betont. Schilder und Banner sind nicht erwünscht. Im Gegensatz zu manch anderen Demonstrationen am Hambacher Forst geht es eher leise und besinnlich zu. Unverständnis bis hin zum Zorn über die Fortsetzung der Tagebau-Aktivitäten durch den Energiekonzern RWE formulieren sie auch hier.

Nicht nur Menschen aus den beiden zum Abriss freigegebenen Ortschaften machen mit. Winfried Even ist aus Köln gekommen. "Als Christ stehe ich für gewisse Werte: Soll es um Gier gehen, um die Profitinteressen von Konzernen? Oder um die Zukunft der nächsten Generationen?", fragt er. "Mich ärgert es, wenn unsere Generation zerstört, was für unsere Kinder da ist."

Fürbitten auf dem Weg

An einer kleinen Grasfläche kommt die Prozession zum Stehen. Nichts an diesem Stück Rasen, mitten in Manheim, deutet darauf hin, dass dort einmal eine Kapelle stand. Schon vor einigen Jahren ist die Marienkapelle nach Manheim-Neu transferiert worden. Die Menschen legen Blumen und Opferlichter nieder. Dann gehen sie weiter zu einer Fußgängerbrücke. Darunter verläuft die alte Spur der A4, die für den Tagebau umgeleitet wurde.

Wieder ein Stopp. Gudrun Zentis liest Fürbitten vor. "Gott, Schöpfer der Welt", beginnt sie, "schenke uns Augenmaß und Demut im Umgang mit unserer Erde, damit wir die Grundlagen unseres Lebens nicht zerstören." Bundesweit wird der Ruf nach einem Ausstieg aus der klimaschädlichen Kohleverstromung immer lauter - auch vonseiten der Kirchen. Die Möglichkeiten dazu seien da, sagt der Hauptgeschäftsführer des katholischen Hilfswerks Misereor, Pirmin Spiegel. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) macht sich dafür stark, die Abholzung auszusetzen - bis die Kohlekommission ihr Votum abgegeben habe.

Bischof Dieser zeigt Verständnis

Der Aachener Bischof Helmut Dieser zeigt Verständnis für die Proteste, wirbt aber zugleich um eine differenzierte Sicht. So dürften die Arbeitnehmer in der Braunkohlewirtschaft und die Polizisten weder "abgewertet noch angegriffen werden", meint Dieser. "Wer ausführt und auszuführen hat, was demokratisch gewollt und juristisch bestätigt wurde, darf nicht diskriminiert werden."

Vor Ort zeigt sich, wie kompliziert die Gemengelage ist. Als die Prozession in Morschenich ankommt, muss sie vor der dortigen Kirche stehenbleiben. Eine Andacht im Innern des Gotteshauses wolle der Kirchenvorstand nicht, erklärt Irene Mörsch den Teilnehmern. Die Gemeinde stehe in Verhandlungen mit RWE und sei auf das Wohlwollen des Konzerns angewiesen. Buhrufe sind zu hören.

Kurz darauf drängt sich ein Anwohner nach vorn. "Wo wart ihr vor ein paar Jahren, als es um die Menschen von Morschenich ging?", fragt er. "Wegen Bäumen protestiert ihr! Aber verliert ihr mal eure Heimat!" Niemand weiß in dieser Situation so recht, was er antworten soll.


Bischof Helmut Dieser / © Harald Oppitz (KNA)
Bischof Helmut Dieser / © Harald Oppitz ( KNA )

Gefällte Bäume im Hambacher Forst, im Hintergrund ein Braunkohlebagger im Tagebau / © Marius Becker (dpa)
Gefällte Bäume im Hambacher Forst, im Hintergrund ein Braunkohlebagger im Tagebau / © Marius Becker ( dpa )

Zwei Baumhäuser in Oaktown, eine der größten Baumhaussiedlungen im Hambacher Forst / © Kathy Ziegler (DR)
Zwei Baumhäuser in Oaktown, eine der größten Baumhaussiedlungen im Hambacher Forst / © Kathy Ziegler ( DR )
Quelle:
KNA