DOMRADIO.DE: Haben Sie etwas ausgemacht wie ein gewachsenes katholisches Selbstbewusstsein Afrikas?
Dirk Bingener (Präsident des katholischen Hilfswerks missio Aachen): Es ist insgesamt eine junge, aufstrebende Kirche in vielen afrikanischen Ländern. Die Kirche hat einen hohen Einfluss auf die Entwicklung des Kontinents.
Religion spielt bei den Menschen in vielen afrikanischen Ländern eine große Rolle. Daher hat die Kirche eine große Verantwortung, gerade für das Thema Frieden.
Die Versammlung war in Ruanda. Dort gab es 1994 einen Genozid. Die Frage von Frieden und Versöhnung spielt eine wichtige Rolle. Die spricht Papst Leo beständig zu Recht an. Insofern ist beispielsweise der Beitrag der afrikanischen Kirche mit den Fragen von Frieden, Versöhnung und auch Gerechtigkeit nicht zu unterschätzen. Da hat die Kirche sicher einen hohen Einfluss und das ist auch gut so.
DOMRADIO.DE: In Europa wird die katholische Kirche Afrikas in der Rolle der Bremserin wahrgenommen, beispielsweise in der Frauenfrage oder im Umgang mit Homosexualität. Verhindert die afrikanische Kirche diese Reformen?
Bingener: Zunächst einmal machen die afrikanischen Bischöfe darauf aufmerksam, dass man alle Themen besprechen muss, die in der Kirchen relevant sind. Dabei hat man unterschiedliche Auffassungen zu den Themen. Wir sind klar bei der Fragestellung von der Beteiligung von Frauen in der Leitung der Kirche und auch zu der Frage des Umgangs mit homosexuellen Menschen.
Die Bischöfe dort bringen ihre Themen ebenfalls ein und sagen ihre Meinung dazu. Da geht es darum, miteinander in Austausch zu gehen und für die jeweilige andere Meinung zu werben. Wir müssen deutlich machen, wo für uns die Grenzen liegen. Insofern braucht es einen Austauschen und ein Werben für die Vielfalt. Das gilt auch für unterschiedliche Geschwindigkeiten.
Trotzdem müssen wir deutlich machen, was uns besonders wichtige Punkte sind. Mit dem Bild der afrikanischen Bremser kann ich nicht so viel anfangen, sondern ich glaube, es geht erst mal darum, jeweilig Realitäten zu sehen, auch zu sagen, wo wir die Situation eben anders sehen. Das ist der Austausch, der in der Kirche stattfinden muss.
DOMRADIO.DE: Die SECAM ist ein riesiges Gebilde mit dem Zusammenschluss aller Bischofskonferenzen eines ganzen Kontinents plus Madagaskar. Wie heterogen ist diese Vollversammlung, die verschiedene Länder mit unterschiedlichen Situationen umfasst?
Bingener: Die afrikanische Kirche gibt es so nicht, sondern jeweilige Ortskirchen. Die Situation in den Ländern ist vollkommen verschieden. Wenn Sie in den Südsudan schauen, die haben andere Herausforderungen. Durch den Bürgerkrieg ist dort alles vollkommen durcheinander. Es fehlt manchmal an Wasser oder an Pfarrhäusern. Es geht darum, dass Pastoral überhaupt stattfinden kann.
In Kenia gibt es eine selbstbewusste Kirche, die sich selbst gut versorgen kann. Dabei ist es schwierig, über Kenia zu sprechen, weil es auch dort Unterschiede gibt. In Nigeria ist der islamistische Terrorismus eine große Herausforderung. Man kann selbstverständlich nicht von der afrikanischen Kirche sprechen, sondern von verschiedenen Ortskirchen in Afrika, die zum Teil gleiche Herausforderungen haben, aber auch sehr unterschiedliche.
DOMRADIO.DE: Ein Problem, das auch sie von missio immer wieder umtreibt, ist der Missbrauch von Ordensfrauen durch Kleriker in Afrika. Inwieweit war das Thema?
Bingener: Wir haben im letzten Jahr mit der SECAM zusammen eine Konferenz in Lomé in Togo veranstaltet, wo wir diözesane Ordensfrauen eingeladen haben. Das sind Ordensfrauen, die keine internationalen Verbindungen haben, sondern in einer Diözese begründet worden sind.
Dort gab es einen Austausch zu den Fragen von Empowerment, aber auch zu der Frage des Missbrauchs an Ordensfrauen. Den anwesenden Bischöfen ist hier deutlich geworden, wie subtil dieser Missbrauch und die Mechanismen oftmals sind. Die damals anwesenden Bischöfe haben gesagt, ihr müsst vor der SECAM sprechen. Wir wollen euch zuhören.
Deswegen sind drei Ordensfrauen im nicht öffentlichen Teil der SECAM angehört worden. Den Ordensfaun war es wichtig, dass die Bischöfe nicht sofort in eine Verteidigungsposition kommen, sondern dass sie zuhören und verstehen. Auch hier ist die Situation sehr unterschiedlich. Es gibt Bischöfe in afrikanischen Ländern, die das Thema sehr offensiv angehen und verstanden haben, dass es sich nicht um Einzelfälle handelt, sondern das es systemische Ursachen hat und viele Fälle gibt.
Es gibt andere, die das Thema weiterhin nicht oben auf der Agenda haben. Hier geht es darum, weiter diesen Weg miteinander zu gehen. Außerdem haben die Ordensfrauen jetzt offiziell auf der SECAM angesprochen. Das war ein wichtiger Schritt, aber es ist erst ein Schritt und viele andere notwendige Schritte müssen folgen.
DOMRADIO.DE: Anderes großes Thema ist die große soziale Ungleichheit auf dem ganzen Kontinent, die so viele auf die gefährliche Flucht nach Europa treibt. Was haben die Bischöfe zum Thema zu sagen?
Bingener: Die Bischöfe sehen bei aller Vitalität der Kirche und bei allem Aufstrebenden das unglaubliche Leid, das es auf dem afrikanischen Kontinent gibt. Es gibt die Frage der Gesundheitsversorgung, des Klimas, der Umweltfolgen und der Armut. Es war überdeutlich, dass die Kirche stark auf der Seite der Armutsmarginalisierten steht. Sie wissen, dass viele junge Menschen eine Perspektive brauchen.
Das ist, glaube ich, dass wir von der afrikanischen Kirche lernen können. Wir müssen auf die Armen schauen. Sie kennen die Diskussionen in Deutschland über die Kürzungen für die Entwicklungszusammenarbeit. Das ist das übergroße Thema, die Frage der Armut, der Perspektive für junge Leute und der Gesundheitsversorgung. Das steht den Bischöfen sehr vor Augen.
Das Interview führte Hilde Regeniter.