missio-Menschenrechtsexperte zur Türkei-Reise de Maizieres

"Nur Tünche"

In der Türkei mahnt Bundesinnenminister Thomas de Maiziere bei Treffen mit Repräsentanten christlicher Minderheiten und dem Präsidenten des türkischen Amtes für religiöse Angelegenheiten Ali Bardakoglu in diesen Tagen die Religionsfreiheit an. Im domradio.de-Interview bewertet Dr. Otmar Oehring vom Internationalen Katholischen Missionswerk missio die Reise.

 (DR)

domradio.de: Warum ist es denn dem Bundesinnenminister wichtig, bei seinem Aufenthalt in der Türkei Vertreter von christlichen Minderheiten zu treffen?

Dr. Otmar Oehring: Das hängt natürlich unmittelbar mit der Frage der Integration der Muslime hier in Deutschland zusammen und mit dem, was die Muslime von Deutschland in Hinblick auf die Anerkennung als Körperschaften erwarten, was im Hinblick auf den Religionsunterricht und die Ausbildung von Geistlichen, also Imamen, in Deutschland oder auch im Ausland erwartet wird. Da ist es natürlich ganz gut, wenn man sich die Situation der christlichen Minderheiten in der Türkei anschaut, wo ja genau diese Fragen auch vollkommen ungeklärt sind. Wenn ich sage "vollkommen ungeklärt’, dann muss man natürlich ganz klar sagen, dass die Christen in der Türkei nicht anerkannt sind und im Grund genommen keinerlei Möglichkeiten haben, sich frei zu entfalten. Sie tun das zwar, aber das könnte sich jederzeit ändern, wenn der Staat das wollen würde, während die Muslime hier in Deutschland natürlich ungeachtet der Tatsache, dass sie nicht als Körperschaften des öffentlichen Rechts anerkannt sind wie die Kirchen, einen festen und sicheren Status haben, der ihnen alle Entfaltungsmöglichkeiten bietet, zumindest als Gruppe. Wobei natürlich weiterhin die Frage des Religionsunterrichts und der Ausbildung der Imame zu klären ist.



domradio.de: Keine Rechte für nicht-islamische Minderheiten in der Türkei also. Ministerpräsident Erdogan hat ja schon versucht, die Rechte der nicht-islamischen Minderheiten zu stärken. Warum gelingt ihm das denn nicht?

Oehring: Noch muss man natürlich sagen, dass das, was bisher gemacht wird und gemacht wurde, nur Tünche ist. Es wird von türkischer Seite gesagt, dass z.B. die Tatsache, dass es im August einen Gottesdienst im ehemaligen griechisch-orthodoxen Sumela-Kloster bei Trabzon gegeben hat, ein großer Erfolg für die Religionsfreiheit sei. Ebenso die Tatsache, dass dieser Tage in der aufgelassenen Kirche auf der Insel Akdamar imVan-See im Osten der Türkei ein Gottesdienst hat stattfinden können. Das ist natürlich alles nicht richtig: Es ist schön, dass diese Gottesdienste haben stattfinden können, auch nach so langer Zeit, in der diese Kirchen nicht genutzt werden konnten. Aber es bleibt festzuhalten, dass diese Kirchen vom türkischen Staat weiterhin als Museen betrachtet werden und dass die christlichen Kirchen nur einmal im Jahr das Recht haben werden, in diesen Kirchengebäuden Gottesdienste abzuhalten - und das auch nur nach Verhandlungen mit dem Staat.



domradio.de: Und dann ist da auch noch die Kirche in Tarsus. De Maizière wird sich auch mit dem Präsidenten des türkischen Amtes für religiöse Angelegenheiten - Ali Bardakoglu - zusammensetzen. Der gilt ja als moderat und hat zum Beispiel auch gefordert, dass die alte Kirche in Tarsus, dem Geburtsort des Apostels Paulus, wieder von einem Museum in ein christliches Gotteshaus umgewandelt werden soll. Wie viel Unterstützung kann sich de Maizière denn von ihm erhoffen?

Oehring: Ich habe wiederholt darauf hingewiesen, dass Herr Bardakoglu zwar eine wichtige Person, ein Staatsfunktionär ist, der aber für diese Fragestellung eigentlich überhaupt nicht zuständig ist. Es ist klar, dass es im Zusammenhang mit der Diskussion über die Imam-Ausbildung in Deutschland und natürlich auch dem Status, das heißt der Wahrnehmung von DITIP, also praktisch des deutschen Ablegers des türkischen Amtes für religiöse Angelegenheiten in Deutschland, wichtig ist, dass der Präsident dieses Amtes sich gut darstellt und natürlich auch freundliche Dinge im Hinblick auf die Zukunft der christlichen Kirchen in der Türkei sagt. Aber ungeachtet dessen hat er natürlich nicht den Einfluss einfach zu verfügen: Die christlichen Kirchen müssen wieder geöffnet werden und müssen genutzt werden können. Des Weiteren muss man ja auch darauf hinweisen, dass z.B. der Rechtsstatus der Kirche in Tarsus vollkommen ungeklärt ist. Das ist eine Kirche, die der griechisch-orthodoxen Kirche weggenommen worden ist. Auch diese Frage müsste geklärt werden, weil es eine zentrale Frage im Umgang des türkischen Staates mit den Kirchen in der Türkei ist. Erst dann könnte man davon sprechen, dass eine normale Situation eintritt. Das was angedacht war, aber natürlich nie realisiert wurde, wie wir es in der Türkei über die Jahre leider immer wieder erlebt haben, ist, dass diese Kirche vom türkischen Staat als Kirchenort zur Verfügung gestellt wird, wobei dabei dann natürlich immer die Frage offen bleibt: Unter welchen Regelungen darf diese Kirche dann tatsächlich von christlichen Kirchen genutzt werden.



domradio.de: Was Sie sagen, klingt alles sehr ernüchternd. Was erhoffen Sie sich denn von dem Besuch des Bundesinnenministers in der Türkei?

Oehring: Ich finde das Wort "ernüchternd’ richtig und ich denke, dass jemand, der so nüchtern handelt und agiert wie der Bundesinnenminister, das der schon die richtige Person ist, um diese Dinge mit der türkischen Seite zu diskutieren. Es kann nicht darum gehen, dass die deutsche Seite der Türkei jetzt sagt: Ihr müsst Religionsfreiheit für die christlichen Kirchen garantieren, anderenfalls machen wir nichts in Deutschland. Das wäre nicht tolerabel und das ist sicher auch nicht der richtige Weg. Man muss ganz klar sagen: Bei uns gibt es Religionsfreiheit, bei uns haben die muslimischen Gruppen bestimmte Möglichkeiten. Aber es ist klar darauf hinzuweisen, wie die Rahmenbedingungen sein müssen, dass z.B. der Islam in Deutschland ein deutscher Islam sein muss, und zwar losgelöst von diesem Amt für religiöse Angelegenheiten in der Türkei. Das die Imam-Ausbildung - in Zukunft zumindest - hier in Deutschland stattfindet, damit im Wesentlichen keine Imame mehr aus der Türkei importiert werden müssen. Und auf der anderen Seite ist es wichtig, dass der Innenminister tatsächlich bei seinen Gesprächen in der Türkei darauf hinweist, dass wir natürlich ungeachtet der Tatsache, dass es in gewissem Sinne eine innere Angelegenheit der Türkei ist, von der Türkei erwarten, dass sie auch den christlichen Kirchen, aber nicht nur den christlichen Kirchen, sondern auch der jüdischen Gemeinschaft und allen anderen Religionsgemeinschaften in der Türkei volle Religionsfreiheit gewährt, wie diese ja auch in der Europäischen Menschenrechtskonvention, die die Türkei selbst unterzeichnet und zum Gesetz gemacht hat, festgeschrieben ist.