Missbrauchsbetroffene haben kurz vor Konklave-Beginn am Vatikan demonstriert. Angelehnt an den Thesenanschlag von Martin Luther hinterließen sie am Dienstagabend 95 Statements von Opfern sexuellen Missbrauchs durch katholische Geistliche am Tor der vatikanischen Glaubensbehörde. Diese ist für die Bearbeitung ebensolcher Fälle zuständig.

Mit der Aktion "95 Thesen für Überlebende" wollten sie an ihre Erwartungen an den nächsten Papst erinnern, sagte Matthias Katsch von der Initiative "Ending Clergy Abuse" (ECA) der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). "Nämlich, dass die Betroffenen im Mittelpunkt stehen müssen, dass man ihnen zuhören muss und dass das die wichtigste Voraussetzung dafür ist, dass die Kinderschutzpolitik, die man lautstark verkündet hat, nun auch mal wirksam wird."
Kardinäle sensibel für Papst ohne Missbrauchsvergangenheit
Grundsätzlich denke er, dass die Kardinäle mehrheitlich ein Bewusstsein dafür hätten, niemanden zu wählen, der persönlich im Umgang mit Missbrauchsfällen versagt habe, sagte Katsch. Mehrfach hatten die Kirchenmänner in ihren Versammlungen in den vergangenen zwei Wochen über das Thema beraten. Aber noch wichtiger sei ihr Verständnis für die große Bedeutung dieses Themas, um die Glaubwürdigkeit der Kirche wiederherzustellen, und vor allem natürlich, um Kinder zu schützen, so Katsch. Er ist auch Sprecher der deutschen Betroffeneninitiative "Eckiger Tisch".
Im Zusammenschluss ECA sind Gruppen auch aus Asien, Afrika und Südamerika: "Die Situationen sind unterschiedlich, aber es gibt eigentlich keinen Flecken auf diesem Globus, wo die katholische Kirche vertreten ist, wo das Thema nicht in den letzten Jahren eine Rolle gespielt hat. Und darauf sollte hier aus der Zentrale auch eine globale Antwort gegeben werden", forderte Katsch.
Kritik an Anwesenheit von belastetem Kardinal im Vatikan

Scharfe Kritik äußerte Katsch auch an der Anwesenheit beim Vorkonklave von Limas ehemaligem Bischof Luis Cipriani, der selbst wegen möglichen Missbrauchs an einem Minderjährigen angezeigt worden war. Die Betroffenen ärgere es sehr, dass die Papst-Wähler nicht in der Lage seien, sich von einem Kardinal zu distanzieren, "der offensichtlich aus gutem Grund, nämlich weil ihm selbst Missbrauch eines Minderjährigen vorgeworfen wurde, vom Papst bestraft wurde".
Laut Vatikan hatte Franziskus nach Bekanntwerden des Falls Disziplinarmaßnahmen gegen Cipriani verhängt. Darunter fiel auch das Verbot, die Kardinalssymbole zu tragen. "Und kaum ist der Papst unter der Erde, um Franziskus zu zitieren, geht die Party weiter", kritisierte Katsch.