Missbrauchsbeauftragte schaut auf Aufarbeitung der Kirche

Auch Laien in Blick nehmen

Die katholische Kirche sollte bei ihrer Aufarbeitung von Missbrauch laut der Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung auch Laien in den Blick nehmen. Sie fordert zudem eine gesetzliche Verankerung des Anrechts auf Aufarbeitung.

Kerstin Claus / © Kay Nietfeld (dpa)
Kerstin Claus / © Kay Nietfeld ( dpa )

"Das ist ein weites Feld, das noch völlig offen ist. Und es betrifft oft auch die Jugendarbeit in den Gemeinden", sagte Kerstin Claus im Interview des Bonner "General-Anzeigers" (Donnerstag).

"Mit jeder Studie, die in der katholischen Kirche veröffentlicht wird, wird gleichzeitig der Scheinwerfer darauf gerichtet, was fehlt." Mal sei es der Zugang zu Akten, mal fehlten bestimmte Gruppen und Tatkontexte, so Claus. Daher müssten Betroffene mit "konkreten Rechten" ausgestattet werden.

Recht auf Akteneinsicht

Nötig seien Personen, die sich mit Betroffenen auseinandersetzten, erklärte Claus. "Dann braucht es ein Recht auf Akteneinsicht und ein Recht auf Begleitung in dem Verfahren." Zudem müsse dort, wo es "klare Hinweise" auf Missbrauch gebe, gesagt werden: "Ja, das hat stattgefunden."

Akten in einem Archiv / © Julia Steinbrecht (KNA)
Akten in einem Archiv / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Momentan gebe es für viele Betroffene keine Chance, etwas sichtbar zu machen, weil sie als "Einzelfall" liefen, so Claus. "Bei den sogenannten Einzelfällen, von denen wir ohne weitere Nachforschung gar nicht wissen, ob sie wirklich nur Einzelfälle sind oder nicht, stehen wir noch sehr am Anfang." Zugleich würden in der katholischen Kirche zunehmend in Studien auch die Namen von Verantwortungsträgern genannt, "die trotz Kenntnis nicht gehandelt haben".

Im Vergleich der beiden großen Kirchen "hinke" die evangelische Kirche bei der Missbrauchsaufarbeitung an "bestimmten Stellen" hinterher. "Das merkt man auch daran, dass es dort bisher sehr wenig Bereiche gibt, in denen auch die Verantwortungsträger benannt werden, wenn trotz Meldung nicht oder nur unzureichend gehandelt wurde", sagte die Missbrauchsbeauftragte.

Beauftragte hofft auf Rechtssicherheit durch Klage in Köln

Durch die Klage eines Missbrauchsbetroffenen gegen das Erzbistum Köln auf 725.000 Euro Schmerzensgeld kann aus Expertinnensicht Rechtssicherheit entstehen. "Ich halte es für sehr wichtig, dass vor einem Gericht geklärt wird, inwieweit und unter welchen Bedingungen Institutionen haftbar gemacht werden können für massivste sexuelle Gewalt, die von ihren Mitarbeitenden ausgeübt wurde", sagte die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Kerstin Claus, im Interview weiter. Betroffene könnten durch dieses Verfahren Rechtssicherheit bekommen.

Kerstin Claus / © Harald Oppitz (KNA)
Kerstin Claus / © Harald Oppitz ( KNA )

"Insofern begrüße ich auch, dass es im Moment so aussieht, als ob die Erzdiözese Köln nicht die Einrede der Verjährung stellt. Denn nur dann ist das Verfahren für eine rechtliche Klärung zugänglich", so Claus. Für sie sei dies eine noch immer offene Frage: "Gibt es so etwas wie eine verpflichtende Haftung der Institution aufgrund von Amtspflichtsverletzungen? Weil man den Tätern den Kontakt zu Minderjährigen ermöglicht hat und bei sexuellen Übergriffen und sexueller Gewalt nicht eingeschritten ist?"

Sollte ein Gericht diese Fragen bejahen, sei es spannend, um welche Summen es am Ende gehe, betonte Claus. "Denn die Zahlungen der Unabhängigen Kommission zur Anerkennung des Leids (UKA) der Deutschen Bischofskonferenz orientieren sich an einem in Deutschland eher im unteren Bereich angesiedelten Schmerzensgeldkatalog."

Erzbistum Köln auf 725.000 Euro Schmerzensgeld verklagt

Ein Missbrauchsbetroffener hatte das Erzbistum Köln auf 725.000 Euro Schmerzensgeld verklagt. Beim Landgericht Köln war am vergangenen Freitag die Klage eingegangen. Der Betroffene sieht demnach eine Amtspflichtverletzung des Erzbistums durch Unterlassen. 25.000 Euro habe er bereits erhalten, so dass eine Gesamtsumme von 750.000 Euro im Raum stehe, hieß es.

 © Federico Gambarini (dpa)
© Federico Gambarini ( dpa )

Es handelt sich wahrscheinlich um die deutschlandweit erste Schmerzensgeldklage eines Betroffenen sexualisierter Gewalt gegen die Kirche als Institution. Gegen hochrangige Kirchenvertreter persönlich gibt es bereits Klagen. Missbrauchsbetroffene erhalten von den zuständigen Bistümern Zahlungen in Anerkennung des erlittenen Leides.

Es handelt sich hier nicht um Schmerzensgeld, sondern um freiwillige Leistungen der Kirche.

Das Amt des Missbrauchsbeauftragten

Das Amt des Unabhängigen Missbrauchsbeauftragten sowie den Runden Tisch Sexueller Kindesmissbrauch hat die Bundesregierung 2010 eingerichtet. Es war eine Reaktion auf das damals bekannt gewordene Ausmaß des sexuellen Kindesmissbrauchs in Einrichtungen und Institutionen. Das Amt wurde zunächst von der ehemaligen Bundesfamilienministerin Christine Bergmann ausgeübt. Seit Dezember 2011 war Johannes-Wilhelm Rörig Missbrauchsbeauftragter, am 30.03.2022 wurde er von Kerstin Claus abgelöst. (www.bundesregierung.de)

Symbolbild Missbrauch / © somkhana (shutterstock)
Quelle:
KNA