Missbrauchs-Aufarbeitung im Bistum Trier auf dem Prüfstand

"Das Bistum betreibt Missbrauchsverwaltung"

Nach einem weiteren Bericht zu Missbrauch im Bistum Trier wird klar: Immer wieder wurden Täter mit Wissen von Bischöfen ins Ausland versetzt. Betroffene kritisieren ein riesiges Dunkelfeld und die schleppende Aufklärung.

Trierer Dom / © monticello (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch im Bistum Trier hat an diesem Mittwoch ihren zweiten Zwischenbericht vorgestellt. Ziel der Kommission ist es, die Missbrauchsfälle in der Nachkriegszeit zu erheben und zu analysieren, wie Verantwortliche mit den Tätern umgegangen sind. Was war für Sie die überraschendste Erkenntnis aus diesem Bericht?

Hermann Schell (Vorsitzender der Trierer Betroffeneninitiative MissBiT e.V.): Es war damit zu rechnen, dass die Opferzahlen und die Zahl der Beschuldigten steigen würden, das werden wir in den kommenden Berichten auch noch erleben. Und das sind nur die bekannten Zahlen, die Dunkelziffer lässt sich gar nicht abschätzen.  Wenn man in Betracht zieht, dass zu jedem Opfer mindestens ein oder mehrere Übergriffe gehören, geht die Zahl der Taten sicher in die Tausende.

Demonstration des Vereins "Missbrauchsopfer im Bistum Trier" (Missbit) am 16. Dezember 2021 vor dem Dom in Trier / © Anna Fries (KNA)
Demonstration des Vereins "Missbrauchsopfer im Bistum Trier" (Missbit) am 16. Dezember 2021 vor dem Dom in Trier / © Anna Fries ( KNA )

DOMRADIO.DE: In dem Bericht wurde auch angeführt, dass Täter bzw. Beschuldigte sexuellen Missbrauchs in der Vergangenheit in Exerzitien geschickt wurden. Der Bericht weist explizit darauf hin, dass dies kein angemessenes Mittel zur Bekämpfung sexuellen Missbrauchs Minderjähriger ist. Das sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein – wundern Sie sich? 

Schell: Das sollte eigentlich jedem klar sein, zumal auch keine therapeutischen Hilfen angeboten wurden. Das war aber genau das Mittel der Wahl der Bischöfe, neben der Freistellung zum Studium, der Versetzung in eine andere Gemeinde oder – in schlimmen Fällen - ins Ausland. Das wurden nicht nur im Bistum Trier so gemacht, wenn ein Priester aus seiner Gemeinde schnell entfernt werden musste.

DOMRADIO.DE: Der Bericht deutet in Einzelfällen an, dass Täter auch gerne mal in die Auslandsmission geschickt wurden und Bischöfe über die Taten informiert waren. Es ist von "Zusammenarbeit mit dem Sexualstraftäter und Fluchthelfern" die Rede: Dieses Feld wurde noch fast gar nicht beleuchtet, was erwarten Sie da?

Bischof Stephan Ackermann / © Nicolas Ottersbach (DR)
Bischof Stephan Ackermann / © Nicolas Ottersbach ( DR )

Schell: Man hat ja hier im konkreten Fall von Bischof Spital und Weihbischof Schwarz gesprochen und dem Sexualstraftäter und Fluchthelfer Bischof Stehle. Es wurde bereits in Untersuchungen anderer Bistümer festgestellt, dass so gut wie alle katholischen Hilfswerke da gerne zu Diensten waren, um Täter zu verschieben. Gerade wenn man bedenkt, dass über Weihbischof Schwarz die Beziehungen zwischen dem Bistum Trier und Bolivien über Jahre hinweg sehr eng waren und es immer noch sind, dann will ich mir gar nicht vorstellen, wie viele Täter da untergekommen sind.

DOMRADIO.DE: Mit Blick auf die Akteneinsicht für Betroffene wirbt die Kommission für "eine erschöpfende und zügige Einsicht in alle Unterlagen und Datenbestände". Heißt das im Umkehrschluss, dass Betroffene nicht so einfach Akteneinsicht bekommen? Welche Erfahrungen haben Sie gemacht, als Sie versucht haben, mehr Informationen zu ihrem Fall zu bekommen?

Schell: Es ist nach wie vor äußerst schwierig, an seine eigenen Akten zu gelangen. Eine Zeit lang war das gar nicht möglich unter Hinweis auf die neue Aktenordnung, die es mittlerweile gibt. Darin ist beispielsweise die Einsichtnahme von Rechtsanwälten geregelt, aber nicht für Betroffene.

Hermann Schell

"Der Schutz kirchlicher Täter steht bis heute über dem Interesse von Betroffenen."

In der Praxis hat es sich so dargestellt, dass wenn man Akten bekommen hat, ein Großteil der Daten geschwärzt war mit Hinweis auf die weltliche oder kirchliche Datenschutzverordnung oder ironischerweise das Schutzinteresse anderer Betroffener.

Man kann nie sicher sein, ob man seine vollständige Akte gesehen hat, obwohl es gerade im Hinblick auf mögliche Schmerzensgeldklagen wichtig wäre, dass man eine korrekte und vollumfängliche Akte vor sich hat. Aber der Schutz kirchlicher Täter steht bis heute über dem Interesse von Betroffenen. Das muss man leider sagen.

Wohnhaus des verstorbenen Priesters Edmund Dillinger / © Oliver Dietze (dpa)
Wohnhaus des verstorbenen Priesters Edmund Dillinger / © Oliver Dietze ( dpa )

DOMRADIO.DE: Es wurde auch nochmal der Fall des inzwischen verstorbenen Priesters Edmund Dillinger aufgegriffen, der über Jahrzehnte hinweg seine Taten gefilmt und fotografiert haben soll. Sein Neffe fand nach dessen Tod beim Ausräumen der Wohnung seines Onkels die Bilder mit teils jugendpornografischen Inhalten. Er meldete das und soll dann vom Vorsitzenden der Aufarbeitungskommission Gerhard Robbers den Hinweis bekommen haben, das Material zu vernichten, weil sein Besitz strafbar ist. Herr Robbers stellt das anders dar, aber unterm Strich wurde wichtiges Beweis- und Hinweismaterial vernichtet. Wie kann denn so etwas passieren?

Schell: Der Fall hält auch die Generalstaatsanwaltschaft in Saarbrücken immer noch in Atem. Man hat nach diesem Skandal der Vernichtung von Beweisunterlagen den Fall noch mal neu aufgerollt, weil sich auch aus anderen Bistümern zumindest eine oder ein Betroffener gemeldet hat. Dass so etwas im Jahr 2023 noch passiert, ist eigentlich unmöglich.

Damit hat sich Herr Robbers ins Abseits gestellt, weil er in dieser Situation anders hätte handeln müssen: Er hätte dem Neffen anbieten müssen, gemeinsam mit ihm zur Staatsanwaltschaft zu gehen und das zu klären: Also, da kommt jemand und bittet um Aufklärung, legt Beweismaterial vor und erhält dann so einen Tipp. Das ist kein adäquater Umgang mit dem Thema Missbrauch. Wenn man bedenkt, dass es vage Hinweise auf einen Kinderschänderring gibt, kann man natürlich noch ganz Anderes vermuten.

DOMRADIO.DE: Haben Sie insgesamt den Eindruck, dass es mit der Aufklärung und Aufarbeitung im Bistum Trier weiter geht?

Schell: Das ist eine schwierige Frage. Ich würde es so formulieren: Im Moment betreibt das Bistum Missbrauchsverwaltung und wir sind noch nicht an dem Punkt "Aufarbeitung", sondern "Aufdeckung". Das ist ein großer Unterschied. Zur Aufarbeitung gehört, dass sich auch Bischof Ackermann ehrlich macht und nicht abwartet, bis im Jahr 2026 der Abschlussbericht kommt, in dem man ihm nachweisen wird, dass auch er es versäumt hat, in seinem Bistum Missbrauch wirksam zu bekämpfen.

Hermann Schell

"Im Moment betreibt das Bistum Missbrauchsverwaltung"

Die Untersuchungen schreiten fort: Man wandert jetzt über Bischof Stein und Bischof Spital in die Gegenwart. Das heißt, die Zeit der aktuellen Bischöfe Ackermann, Bätzing und Marx werden noch beleuchtet. Und wir uns sehr sicher, dass da noch mehr Vertuschungsvorwürfe ans Licht kommen.

Das Interview führte Ina Rottscheidt.

Kommission zur Missbrauchsaufarbeitung im Bistum Trier

Die "Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs im Verantwortungsbereich des Bistums Trier" (UAK) hat sieben Mitglieder. Dem Gremium gehören Missbrauchsbetroffene wie auch Fachleute aus verschiedenen Berufen an. Die Kommission wurde durch den Trierer Bischof Stephan Ackermann im Juni 2021 berufen. Vorsitzender und Sprecher des Gremiums ist der frühere rheinland-pfälzische Justizminister Gerhard Robbers (SPD).

Blick über den Innenhof auf den Trierer Dom Sankt Petrus (l.) und den Domkreuzgang / © Julia Steinbrecht (KNA)
Blick über den Innenhof auf den Trierer Dom Sankt Petrus (l.) und den Domkreuzgang / © Julia Steinbrecht ( KNA )

 

Quelle:
DR