Misereor-Referent Raoul Bagopha blickt auf Lage in Mali

"Der Truppenabzug könnte eine ganze Region destabilisieren"

Am Donnerstag haben Frankreich und seine Partner das Ende der militärischen Einsätze "Barkhane" und "Takuba" in Mali bis Juni angekündigt. Was bedeutet das für die Arbeit von Helfern?

Ein Arbeiter in Mali hält eine Schüssel mit Zucchinis in den Händen / © Katrin Gänsler (KNA)
Ein Arbeiter in Mali hält eine Schüssel mit Zucchinis in den Händen / © Katrin Gänsler ( KNA )

KNA: Herr Bagopha, was passiert da eigentlich gerade in Mali?

Raoul Bagopha (Misereor-Referent für Mali): Mali erlebte im Juli 2020 viele Demonstrationen und Proteste. Dies führte dazu, dass der damalige demokratisch gewählte Präsident von Militärs gestürzt wurde. Seitdem befindet sich das Land in einem Übergangsprozess, der enorm viele Fragen aufwirft.

Raoul Bagopha, Länderreferent für Mali beim Bischöflichen Hilfswerk Misereor / © Olaf Rohl/MISEREOR (KNA)
Raoul Bagopha, Länderreferent für Mali beim Bischöflichen Hilfswerk Misereor / © Olaf Rohl/MISEREOR ( KNA )

KNA: Welche?

Bagopha: Zum Beispiel nach der Legitimität der aktuellen Machthaber sowie der künftigen Zusammenarbeit zwischen der neuen Regierung und den ausländischen Partnern Malis. Das sind Frankreich und andere EU-Länder, aber auch die an der UN-Mission Minusma beteiligten Staaten. Hinzu kommen Differenzen mit der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas.

KNA: Wie äußern sich die Differenzen mit der Ecowas?

Bagopha: Zu Jahresbeginn hat Ecowas harte Sanktionen gegen Mali verhängt; dazu gehören Grenzschließungen. Das heißt: Es können nur noch wenige Güter eingeführt werden, und es ist sehr kompliziert, Mali zu verlassen oder nach Mali einzureisen.

KNA: Warum verhängte Ecowas diese Sanktionen?

Bagopha: Weil sie den Druck auf die derzeitigen Machthaber erhöhen will. Die hatten ursprünglich angekündigt, spätestens im Februar 2022 Neuwahlen abzuhalten. Aber davon sind sie meilenweit entfernt. Derzeit ist 2026 im Gespräch. Doch da hat die Ecowas bereits deutlich signalisiert, dass sie damit nicht einverstanden ist. Der Ball liegt jetzt bei der malischen Regierung. Sie muss liefern.

KNA: Was bedeutet das alles für die Arbeit der Helfer?

Bagopha: Die Hilfsorganisationen vor Ort stehen vor großen Hürden, unter anderem, weil sie viele Dinge des täglichen Bedarfs nicht mehr einführen können. Mali ist ein Binnenstaat und deshalb vom Handel mit seinen Nachbarn abhängig. Unsere Partner hoffen, dass die Verhandlungen zwischen Ecowas und Mali Fortschritte machen. Aber dafür gibt es derzeit keine Anzeichen. Fakt ist, dass es seit Januar für die Akteure der Zivilgesellschaft nicht leichter geworden ist, der Bevölkerung beizustehen. Die Sanktionen fangen an wehzutun. Die Arbeit der Helfer war vorher wegen der angespannten Sicherheitslage schon schwer genug.

KNA: Angesichts des nun verkündeten Truppenabzugs ziehen Kritiker Parallelen zu Afghanistan. Haben sie recht?

Bagopha: Es gibt mehr Unterschiede als Parallelen. Der gemeinsame Punkt ist, dass wir es nun auch in Mali vermutlich mit einem schlecht vorbereiteten, weil erzwungenen Rückzug zu tun haben. Das bedeutet: Die Gefahr eines Sicherheitsvakuums wächst. Es drohen neue Kämpfe und Anschläge, zumal die einheimischen Streitkräfte - wie in Afghanistan - absehbar nicht in der Lage sind, für ein Minimum an Sicherheit zu garantieren.

KNA: Wo sehen Sie Unterschiede?

Bagopha: Anders als in Afghanistan könnte der Truppenabzug eine ganze Region destabilisieren. Man muss nicht nur auf Mali schauen, sondern auf alle G5-Sahel-Staaten. Neben Mali gehören dazu Mauretanien, Tschad, Niger und Burkina Faso.

KNA: Was ist von den islamistischen Kräften im Land zu erwarten?

Bagopha: Die hoffen natürlich, aus der verfahrenen politischen Lage Kapital schlagen zu können. Aktuell stehen vor allem zwei große Fraktionen im Fokus: der lokale Ableger der Terrorgruppe Islamischer Staat sowie die im gesamten Maghreb aktive "Gruppe für die Unterstützung des Islam und der Muslime". Wir bringen beide Lager allerdings nur ungern mit dem Islam in Verbindung.

KNA: Warum?

Bagopha: Weil die Religion lediglich als Vehikel benutzt wird, um andere Ziele durchzusetzen. Zulauf haben diese Gruppen erhalten, weil sich viele Menschen in Mali etwa bei Fragen der Landnutzung übergangen und benachteiligt fühlen. Mit denen kann und muss man reden. Aber den harten Kern erreicht man nicht. Das sind keine Islamisten oder Dschihadisten, sondern Nihilisten, die nur Zerstörung bringen.

Das Interview führte Joachim Heinz. 

Bischöfliches Hilfswerk Misereor

Misereor ist das weltweit größte kirchliche Entwicklungshilfswerk. Es wurde 1958 von den katholischen Bischöfen in Deutschland auf Vorschlag des damaligen Kölner Kardinals Josef Frings als Aktion gegen Hunger und Krankheit in der Welt gegründet.

Der Name bezieht sich auf das im Markus-Evangelium überlieferte Jesuswort "Misereor super turbam" (Ich erbarme mich des Volkes). Sitz des Hilfswerks ist Aachen.

Logo des Bischöflichen Hilfswerks Misereor in einem Schaufenster / © Julia Steinbrecht (KNA)
Logo des Bischöflichen Hilfswerks Misereor in einem Schaufenster / © Julia Steinbrecht ( KNA )
Quelle:
KNA