Merkel erstmals in Audienz bei Papst Franziskus

Begegnung zweier Welten

Bundeskanzlerin Merkel ist erstmals von Papst Franziskus zu einer Privataudienz empfangen worden. Die Unterredung im Apostolischen Palast dauerte länger als bei Treffen mit Spitzenpolitiken üblich. Überhaupt schien die Chemie zu stimmen.

Autor/in:
Ludwig Ring-Eifel
Mai 2013  Kanzlerin Merkel und Papst Franziskus (dpa)
Mai 2013 Kanzlerin Merkel und Papst Franziskus / ( dpa )

Ein wenig unsicher wirkten die beiden, als sie im Blitzlichtgewitter der Fotografen am Tisch der päpstlichen Privatbibliothek einander gegenübersaßen. Der Papst hat erkennbar noch wenig Routine mit Staatsbesuchen ausländischer Gäste und lächelte beinahe verlegen. Und für die Bundeskanzlerin war es eine Premiere. Zum ersten Mal in ihrer langen Amtszeit saß sie an dieser Stelle, wo vor ihr schon Schröder, Kohl, Schmidt und Adenauer gesessen hatten.

Merkel war gut vorbereitet. Das vor wenigen Tagen auf Deutsch erschienene Interviewbuch des heutigen Papstes hatte sie gleich verschlungen, und die Auswahl der Geschenke war davon beeinflusst. Eine antiquarische Hölderlin-Gesamtausgabe von 1905 und eine Furtwängler-Gesamtausgabe in 107 CDs schenkte Merkel dem Papst. Denn dieser hatte in dem Buch seine besondere Vorliebe für den Dichter und den Dirigenten erwähnt.

Die Chemie in dem 45-minütigen Gespräch schien jedenfalls zu stimmen. Ob es an der Umarmungsfreudigkeit des Kirchenoberhauptes oder an der in diesen Wochen notorisch guten Laune der Kanzlerin lag, ist schwer zu sagen. Jedenfalls strahlten beide quasi um die Wette, als sie sich nach dem Sechsaugengespräch (mit vatikanischem Übersetzer) den handverlesenen Medienvertretern zeigten. Die Furtwängler-Ausgabe kommentierte der Papst mit einem freudigen Ausruf auf Deutsch: «Sie wissen, was ich mag!» Und die Kanzlerin wünschte ihm Zeit, etwas davon zu hören.

Im vatikanischen Kommunique hieß es nach den Begegnungen Merkels mit dem Papst, man habe an die "lange Geschichte" der gemeinsamen Beziehungen von Deutschland und dem Heiligen Stuhl erinnert und über den europäischen Einigungsprozess sowie über Menschenrechte und Religionsfreiheit gesprochen. Zudem sei es um die internationale Zusammenarbeit und die Förderung des Weltfriedens gegangen. Bei der herzlichen Begegnung sei deutlich geworden, dass die Entwicklung Europas auf den Prinzipien von Menschenwürde, Subsidiarität und Solidarität gründen müsse.

Und die Kanzlerin erklärte beim kurzen anschließenden Pressestatement auf dem campo santo, dem deutschen Friedhof neben dem Petersdom, wie beeindruckt sie vom neuen Verkündigungseifer des Papstes sei. Zugleich betonte sie die Kontinuität zwischen Papst Benedikt XVI. und seinem Nachfolger. Ferner unterstrich sie die "zentrale Rolle" der katholischen Kirche für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Kirche und Christentum seien dafür wichtige Partner.

Der Papst habe ihr gesagt, dass die Welt ein starkes und gerechtes Europa brauche, so Merkel. Ihren Besuch im Vatikan bezeichnete die Kanzlerin als Freude und Ehre für Deutschland. Dass das Treffen überhaupt zustande kam, wurde in Berlin und in Rom als eine kleine Sensation verbucht. Sprecher beider Seiten betonten schon im Vorfeld wiederholt, dass man überrascht gewesen sei, weil der Papst mit seiner spontanen Zusage ein ungeschriebenes Gesetz gebrochen habe, wonach Politiker im Wahlkampf keinen solchen Termin mit dem Kirchenoberhaupt bekommen.

Hintergrund der Regel ist die Überlegung, dass der Heilige Stuhl wegen seiner prinzipiellen Neutralität nicht einmal in den Anschein geraten will, dass er einem politischen Lager in einem Land Schützenhilfe im Parteienwettstreit gibt. Warum dies im Falle Merkel offenbar keine Rolle spielte, blieb unklar.

Einige Beobachter mutmaßten, der gerne unkonventionelle Papst aus Argentinien setze sich nun einmal auch in diesen Dingen souverän über vatikanisches Protokoll hinweg. Andere deuteten dies als Beleg dafür, dass der Argentinier auf dem Papstthron die europäischen Dinge in etwas größeren Linien wahrnimmt: Für ihn ist die Kanzlerin in erster Linie eine bedeutende, wenn nicht die wichtigste Politikerin in der EU. Dass sie nebenbei daheim noch demnächst einen Wahlkampf führt, ist demgegenüber vergleichsweise unwichtig. Außerdem habe die heiße Phase des Wahlkampfs ja noch gar nicht begonnen.

Worüber die beiden wirklich sprachen, weiß außer ihnen nur noch der deutschsprachige Vatikanprälat, der immer dann als Übersetzer mitwirkte, wenn die Deutschkenntnisse des Pontifex nicht ganz ausreichten. Neben den offiziellen Themen dürften die biografischen Gemeinsamkeiten eine gewisse Rolle gespielt haben. So haben beide ihre Karrieren - wenn auch auf sehr unterschiedlichem Niveau - als Naturwissenschaftler begonnen: Er als Chemielaborant, sie mit einer Promotion in statistischer und physikalischer Chemie. Und beide haben sie später Erfahrung im Überleben unter den Rahmenbedingungen einer Diktatur gesammelt: Der damalige Jesuiten-Obere unter der argentinischen Militär-Junta (1976-83) und die Pastorentochter in der SED-Diktatur bis 1989.

Beide haben nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie trotz einer kritischen Distanz zum jeweiligen Regime keine aktiven Widerstandskämpfer waren. Ruhig und sachlich setzte sich der damalige Kardinal Bergoglio vor einigen Jahren in einem nun auch in dem Interviewbuch über sein Leben mit Vorwürfen auseinander, wonach er mit dem Unrechtsstaat kollaboriert habe. Es gelingt ihm mühelos und unaufgeregt, das Gegenteil zu beweisen. Die Kanzlerin, die in diesen Tagen mit Vorwürfen in Bezug auf ihre DDR-Biografie konfrontiert wird, hat das Buch vielleicht auch deshalb besonders aufmerksam gelesen.


Quelle:
KNA