Merkel-Biograf über die Kanzlerin und den Papst

"Eine besondere Beziehungskiste"

Zwei der mächtigsten Menschen der Welt treffen an diesem Samstag zum vierten Mal aufeinander: Papst Franziskus und Angela Merkel. Wie die beiden zueinander stehen, erklärt Merkel-Biograf Volker Resing im Interview mit domradio.de.

Angela Merkel trifft im Vatikan ein / © Andrew Medichini (dpa)
Angela Merkel trifft im Vatikan ein / © Andrew Medichini ( dpa )

domradio.de: Bevor wir auf das Verhältnis von Angela Merkel und Papst Franziskus zu sprechen kommen, sprechen wir über ein Thema, das gerade das ganze Land bewegt: Altkanzler Helmut Kohl ist am Freitag im Alter von 87 Jahren verstorben. Das erste Statement der Kanzlerin kam aus dem Vatikan, weil sie dort nämlich gerade auf dem Weg zum Papsttreffen ist. Was hat das für eine Bedeutung?

Volker Resing (Chefredakteur der Herder Korrespondenz, katholischer Journalist und Merkel-Biograf): Das Ganze hat schon eine interessante Verquickung. Helmut Kohl hat einmal gesagt: "Ganz egal wer in Rom Papst ist, ich bleibe fröhlich katholisch". Das deutet vielleicht schon an, dass Helmut Kohl zu einer Zeit katholisch war, in der die Entkirchlichung noch nicht so weit vorangeschritten war und in der es einen selbstverständlichen Katholizismus gab, der die CDU sehr geprägt hat. Als dann die ostdeutsche Pfarrerstochter Angela Merkel in Partei kam, merkten viele an, dass die CDU jetzt ihre Prägung und ihren Markenkern verlieren würde. Im Laufe der Zeit hat sich gezeigt, dass es ganz anders wurde: Merkel hat den Papst bisher häufiger besucht, als Kohl im Vatikan war. Sie hat eine ganz eigene Form gefunden, um deutlich zu machen, dass ihr das "C" und auch das Gespräch mit dem Papst wichtig sind. Sie hat eine besondere Beziehung zu Papst Franziskus: Während Benedikt XVI. - der Papst aus Deutschland - das Amt innehatte, war sie nicht einmal im Vatikan zu Besuch. Zwischen Papst Franziskus und Angela Merkel besteht also eine besondere Beziehungskiste.

domradio.de: Sie haben die beiden schon zusammen erlebt: Wie gehen die miteinander um?

Resing: Natürlich ist Merkel auch Papst Benedikt einige Male begegnet, zum Beispiel bei seinen Deutschlandbesuchen. Die Beziehung Ratzinger - Merkel ist auch älter. Sie hatten etwa ein langes Gespräch, als Merkel bei seinem Vorgänger, Johannes Paul II. war. Zu Franziskus besteht eine tatsächliche Nähe. Vielleicht kann man sagen, dass es drei Punkte sind, die diese Nähe ausmachen:

Zum einen - das hatte Merkel ganz am Anfang gesagt - reizt sie dieser Papst vom anderen Ende der Welt. Ihr großes Thema ist, dass Deutschland und Europa stärker auf die Internationalisierung gucken müssen und sich weniger für den Mittelpunkt der Welt halten sollten, sondern erkennen müssen, wo die Entwicklungen global ablaufen. Diese Perspektive hat auch Franziskus und das schätzt sie an ihm. Denn da ist jemand, der mal von außen auf Europa schaut. Auch wenn ihr das Zitat mit der unfruchtbaren Schwiegermutter nicht gefallen hat, ist seine Sicht der Dinge für sie interessant.

Der zweite Punkt ist tatsächlich die Flüchtlingskrise. Da war der Papst Agendavater. Das hat sie aufgenommen und das hat ihr Kritik sowie Zustimmung eingebracht. Dabei handelt es sich um ein Thema, das die beiden verbindet.

Das Dritte ist meiner Meinung nach eine relativ unprätentiöse Art, die beide haben. Ich denke, die beiden haben eine Möglichkeit, wirklich miteinander zu reden, weil beide nicht so sehr im Diplomatensprech unterwegs sind. Die Kanzlerin zitiert den Papst gerne, sie hat irgendwie einen Draht zu ihm gefunden und den leben die beiden jetzt aus.

domradio.de: Drehen wir das Ganze mal um: Gibt es auch Reibungspunkte zwischen Merkel und Franziskus?

Resing: Na ja, die beiden werden mit als mächtigste Menschen der Welt gehandelt. Merkel hat das zwar immer zurückgewiesen. Aber natürlich gibt es auch zwischen den beiden Reibungspunkte. Ihre Flüchtlingspolitik könnte so ein Punkt sein, denn da drängt der Papst noch stärker auf eine Offenheit als die Kanzlerin, die jetzt deutlich einen Kurs der Begrenzung von Flüchtlingszahlen fährt.

domradio.de: Nun ist es Linie des Vatikans, sich aus der Tagespolitik herauszuhalten. Politiker sollen zum Beispiel nicht während eines Wahlkampfes empfangen werden. Merkel hat das im März 2013 schon einmal gemacht - knapp sechs Monate vor der Bundestagswahl. Der Besuch jetzt liegt sogar noch näher am Wahltermin. Brechen die beiden damit die politischen Regeln der Kirche?

Resing: Generell hat auch Johannes Paul II. Politiker zu aktuellen Fragen empfangen. Denken wir nur mal an Joschka Fischer in der Irak-Krieg-Frage. Spätestens seit Johannes Paul II. ist ein Agieren auch auf tagesaktueller politischer Ebene durchaus zu beobachten. Die Frage der Nähe zum Wahlkampf ist dabei stets eine Deutungsfrage. Tatsächlich war Merkel auch in anderen Fällen, also vor anderen großen Gipfeln wie jetzt G-20, beim Papst. Das haben andere Vorsitzende dieser Gipfel nicht gemacht, insofern hat sie da schon eine Regel für sich eingeführt. Ob das dann für den Wahlkampf relevant ist, ist fraglich. Sicherlich wird sie versuchen, diesen Besuch für sich zu nutzen; aber so groß wird der Einfluss nicht sein.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.


Quelle:
DR