Menschenrechtsorganisation IGFM wird 50 Jahre alt

"Diktatoren der Welt lernen voneinander"

Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte mit Sitz in Frankfurt wird 50 Jahre alt. Martin Lessenthin, Vorstandssprecher der IGFM, benennt im Interview die Länder, in denen heute Menschenrechte massiv verletzt werden.

Eine Frau läuft durch eine Straße, vorbei an Ruinen zerbombter Häuser in Homs, Syrien / © Jean-Matthieu Gautier (KNA)
Eine Frau läuft durch eine Straße, vorbei an Ruinen zerbombter Häuser in Homs, Syrien / © Jean-Matthieu Gautier ( KNA )

Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA): Herr Lessenthin, die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) wird 50 Jahre alt. Ist es heute um die Menschenrechte weltweit schlechter oder besser bestellt als vor 50 Jahren?

Martin Lessenthin / © Internationale Gesellschaft für Menschenrechte / IGFM
Martin Lessenthin / © Internationale Gesellschaft für Menschenrechte / IGFM

Martin Lessenthin (Vorstandssprecher der IGFM): Oft gibt es eine Art Wellenbewegung, und man meint zunächst: Jetzt geht es aber voran! Wir hatten etwa zu Zeiten von Boris Jelzin in Russland den Eindruck, dass die alten Fesseln gelöst seien. Wir mussten dann aber erleben, dass es unter Wladimir Putin mit den Tschetschenienkriegen kontinuierlich bergab ging und es heute wohl Hunderte, wenn nicht Tausende politische Gefangene in Russland gibt. Auch in China, der Türkei, Syrien oder dem Iran hat sich die Menschenrechtslage inzwischen extrem verschlechtert, ebenso in Teilen Afrikas, Mittel- und Südamerikas sowie in Kuba.

Internationale Gesellschaft für Menschenrechte

Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) wurde am 8. April 1972 in Frankfurt am Main von 13 Gründungsmitgliedern ins Leben gerufen - zunächst noch als Gesellschaft für Menschenrechte (GFM). Als zentrales Motiv für die Gründung nennt die Organisation, damals hätten viele Menschen gegen den Krieg in Vietnam demonstriert, aber kaum jemand für politische Gefangene in sowjetischen Straflagern und politisch Verfolgte in der DDR, Polen, Rumänien und der Tschechoslowakei.

Symbolbild Einschränkung der Menschenrechte / © Aram Shahinyan (shutterstock)
Symbolbild Einschränkung der Menschenrechte / © Aram Shahinyan ( shutterstock )

KNA: Frustriert Sie das?

Lessenthin: Ja, und ein Diktator lernt im negativen Sinne vom anderen Diktator. Das ist mitunter sehr schwer zu akzeptieren, aber Realität.

KNA: Welches Land verstößt weltweit am stärksten gegen die Menschenrechte?

Lessenthin: Das Land, das nach wie vor qualitativ und quantitativ weltweit der größte Menschenrechtsverletzer ist, ist die Volksrepublik China. Dort findet eine Hightech-Menschenrechts-Unterdrückung statt. China ist nicht nur der Weltmeister im Foltern, China ist auch der Weltmeister im Vertuschen und in der Anwendung digitaler Technik, um der Welt und auch der eigenen Bevölkerung etwas vorzuspielen, was so real nicht existiert.

KNA: Wie weit wird China in seinem Expansionsdrang gehen?

Lessenthin: Es ist ein Ein-Parteien-Staat mit imperialistischen Ambitionen, der mit viel Geld und viel Gewalt in der Lage ist, Politik auf allen Kontinenten zu beeinflussen und auch zu verändern. China ist auch an vielen deutschen Universitäten präsent, wo sogenannte Konfuzius-Institute daran mitwirken, ein falsches China-Bild herzustellen, das etwa geschichtliche Ereignisse wie das Tiananmen-Massaker und aktuelle Repressionen gegen Minderheiten verschweigt. Deutsche Studenten, die Chinesisch lernen wollen, werden von solchen Konfuzius-Instituten betreut, deren erste Aufgabe es ist, Propaganda umzusetzen.

KNA: Hat weltweit zuletzt die Verfolgung aus Glaubensgründen zugenommen?

Lessenthin: Ja, die Verfolgung etwa von Christen und anderen religiösen Minderheiten aus Glaubensgründen hat zugenommen im Iran, in anderen islamischen Staaten wie Pakistan und auch in der Volksrepublik China. Und die Türkei verhält sich seit einigen Jahren immer unfreundlicher gegenüber Christen, insbesondere gegenüber Christen, die missionarisch aktiv sind.

KNA: Die IGFM brandmarkt öffentlich das menschenverletzende Handeln von Regierungen anderer Länder. Erleben Sie als Menschenrechtsaktivist deshalb Bedrohungen?

Lessenthin: Unsere Arbeit wird gesehen, und es gab und gibt mehrfach auch Bedrohungen. Ich hatte wegen einer Äußerung zu Islamisten einmal kaputtgestochene Autoreifen und eine eingeschlagene Scheibe meines Autos. Weiter ging es dann Gott sei Dank nicht.

KNA: Kann man sagen, wie vielen Menschen die IGFM in den 50 Jahren ihres Bestehens helfen und ihre Lage positiv verändern konnte?

Lessenthin: Wenn es um politische Gefangene geht, zu denen ich auch Glaubensgefangene zähle, können wir von Hunderten sprechen. Wenn es um wichtige humanitäre und medizinische Hilfe geht, die wir auch leisten, sind es Zehntausende.

KNA: Wie hat sich das IGFM-Programm der "politischen Patenschaften" bisher ausgewirkt?

Lessenthin: Dabei übernehmen seit 2011 Abgeordnete des Bundestages, der Landtage und des Europaparlaments eine ideelle Patenschaft für einen politischen Gefangenen, "adoptieren" ihn quasi und setzen sich öffentlich für dessen Freilassung ein. Die IGFM hat bereits mehr als 200 solcher politischen Patenschaften initiiert. Bei etwa der Hälfte dieser politischen Patenschaften - deren Fokus auf Kuba, Iran, China, Belarus und der Türkei liegt - konnten bereits Verbesserungen der Lage der Inhaftierten erreicht werden: Die betroffenen politischen Gefangenen wurden etwa aus der Haft entlassen, ihre Strafe wurde verkürzt, oder ihre Haftsituation verbesserte sich. Viele Regime reagieren deshalb auf solche im Hintergrund ablaufenden politischen Initiativen, weil sie nach außen hin den Schein wahren wollen, um politische Beziehungen und Handelsdeals nicht zu gefährden.

KNA: Können Sie ein Beispiel nennen?

Lessenthin: Die Patenschaft des Frankfurter Bundestagsabgeordneten und Grünen-Parteichefs Omid Nouripour für die lange inhaftierte iranische Menschenrechtsanwältin Nasrin Sotoudeh dauert nun schon seit zehn Jahren an. Diese Patenschaft hat mehrfach zu Verbesserungen geführt. Nasrin Sotoudeh befindet sich seit Monaten "nur" in einer Art Hafturlaub und kann außerhalb des Gefängnisses medizinische Hilfe finden.

Der iranische Pastor Youcef Nadarkhani wurde 2016 erstmals freigelassen. Und das war auch den Patenschaften der beiden CDU-Politiker Hermann Gröhe und Annegret Kramp-Karrenbauer für ihn zu verdanken. Leider ist er jetzt erneut Opfer von Verfolgung und Gefängnis, aber seine Paten setzen sich für ihn ein.

KNA: Russland führt derzeit einen brutalen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Was passiert im "Schatten" eines solchen Krieges - wie wirkt sich der Krieg auf die Menschenrechte andernorts aus?

Lessenthin: Ja, Putin ist ein Kriegsverbrecher und Diktator, der Schule macht. Er zeigt auch, wie es funktioniert, den Segen einer mächtigen Kirche - der russisch-orthodoxen Kirche - für seine Verbrechen zu erlangen. Im Schatten von Kriegen müssen wir als Menschenrechtler immer wieder die Erfahrung machen, dass an ganz anderen Stellen auf der Welt dann schmutzige Dinge, Menschenrechtsverletzungen, passieren. Derzeit werden zum Beispiel mehr Menschen auf Kuba eingesperrt als sonst. Seitens Chinas hat die Verfolgung von Uiguren und Tibetern jetzt noch einmal zugenommen.

Die Diktatoren der Welt lernen nicht nur voneinander, wie sie effektiv unterdrücken und die Unterdrückung möglichst vor den Augen der Welt verbergen, sondern sie nutzen im negativen Sinne auch die "Gunst der Stunde". Die Frage ist etwa, ob China mit Taiwan das Gleiche machen wird wie dies Russland nun mit seiner Nachbarschaft getan hat.

Das Interview führte Norbert Demuth.

Quelle:
KNA