Menschenrechtsbeauftragter Löning seit einem Jahr im Amt

"Wir müssen auch zuhause schauen"

Seit beinahe einem Jahr ist der FDP-Politiker Markus Löning Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung. Soeben kehrte er von einer Reise nach Tunesien zurück, wo er sich ein Bild von den Entwicklungen seit der Revolution machte. Ein Bilanzinterview – auch zu seiner Amtszeit.

 (DR)

KNA: Herr Löning, wie ist die Lage in Tunesien?

Löning: Die Leute vor Ort sprechen ganz klar von einer Revolution für Würde und Demokratie. Alle meine Gesprächspartner haben klar gemacht: Wir wollen Transparenz und verantwortungsvolle Regierungsvertreter. Die Menschen bereiten sich auf die Wahl zur verfassungsgebenden Versammlung im Juni vor. Gleichzeitig gibt es viele Überlegungen zur Reformierung des Justizwesens.



KNA: Wie optimistisch sind Sie, dass die Protestbewegungen in den anderen nordafrikanischen und arabischen Ländern ähnlich positiv verlaufen?

Löning: Ich hoffe es zunächst einmal sehr. Auch in Ägypten hat sich die Demokratiebewegung schon sehr stark durchgesetzt. Natürlich ist das alles ein langer, mühevoller Prozess, der mit viel Arbeit verbunden ist. Das haben wir ja in Osteuropa erlebt. Und es muss ja nicht immer über Revolutionen gehen - in den Königreichen Marokko oder auch Jordanien sind durchaus Veränderungen von innen heraus im Gange und möglich.



KNA: In Ägypten kam es während der Revolution zu mehreren gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Muslimen und christlichen Kopten. Wie bedroht ist die Religionsfreiheit im Land?

Löning: Man darf nicht übersehen, dass viele Muslime und Christen gemeinsam für die Freiheit und gegen diese Anschläge demonstriert haben. Das ist eine innergesellschaftliche Auseinandersetzung, die nicht nur religiöse, sondern auch soziale Ursachen hat. Mein Appell geht an die politisch Verantwortlichen, dass sie die Religionsfreiheit schützen, und an die gesellschaftlichen Gruppen, dass sie einen Weg friedlicher Toleranz gehen und diejenigen, die zu Gewalt und Hass aufrufen, in ihre Grenzen weisen.



KNA: Am 1. April sind Sie ein Jahr im Amt. Worüber sind Sie am meisten enttäuscht?

Löning: Der Umgang mit der Pressefreiheit in der Türkei.



KNA: Was hat Sie am positivsten überrascht?

Löning: Auch die Türkei - die gute Entwicklung der Menschenrechte dort in vielen anderen Bereichen. Etwa die offene Diskussion über Minderheitenfragen, die Kurdenfrage, über die Armenierfrage oder die Rechte religiöser Minderheiten.



KNA: Was sind Ihre größten "Baustellen" in den kommenden Monaten?

Löning: Nordafrika spielt sicher eine große Rolle, weil wir alles tun sollten, um die Demokratisierung zu unterstützen. Eine weitere Baustelle ist der Südkaukasus, wo sich derzeit nach arabischem Vorbild Protestbewegungen entwickeln, die jedoch noch unterdrückt werden. Da macht mir Aserbaidschan sehr große Sorgen, wo jetzt eine ganze Menge junger Leute ins Gefängnis geworfen wurden, weil sie zu Demonstrationen aufgerufen haben. Der Balkan und die Türkei bleiben Baustellen. Aber auch einige europäische Probleme beschäftigen mich: die Roma-Problematik etwa, der Umgang mit Homosexuellen in Osteuropa, der generelle Umgang mit Minderheiten. Wir müssen aber auch zuhause schauen, dass wir unseren eigenen Ansprüchen gerecht werden.



KNA: Welche Defizite sehen Sie in Deutschland?

Löning: Im Umgang mit der muslimischen Minderheit. Gerade die Ereignisse in Nordafrika haben ja die Weltbilder der Sarrazins dieser Welt zum Einsturz gebracht - sie zeigen, Demokratie und Würde gehen sehr gut zusammen mit dem Islam. Ich wünsche mir, dass wir in Deutschland weniger ausgrenzende Diskussionen führen, sondern eher inklusive. Der Wertekern unserer Gesellschaft ist nicht eine Religion, sondern sind die Menschenrechte.



Das Gespräch führte Karin Wollschläger.