Nooke betont christliche Wurzeln Europas

"Religion verstehen - dann sind wir glaubwürdig"

Der scheidende Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung hat mehr Sensibilität für das Schicksal verfolgter Christen gefordert. Medien und Bevölkerung erachteten das Thema manchmal "als nicht so wichtig", so Günter Nooke im domradio.de-Interview. Gleichzeitig sei es wichtig, das eigene Christ sein ernst zu nehmen.

 (DR)

domradio.de: Elementare Menschenrechte sind ein hohes Gut, das würde sicher nahezu jeder deutsche Politiker unterschreiben. Nicht selten hat man aber das Gefühl, wirtschaftliche Interessen sind dann doch immer wieder bedeutender in der aktuellen Politik. Täuscht dieser Eindruck?
Nooke: Ja, ich glaube, dass er überbewertet wird. Ich glaube, dass viel mehr Angst und Rücksichtnahme auf Regierungen als ganz konkret die wirtschaftlichen Interessen uns manchmal leistreterisch in der Menschenrechtspolitik erscheinen lassen. Wirtschaft kann durchaus auch etwas  zum Schutz der Menschenrechte beitragen, wenn es freien Handel gibt und damit in vielen Ländern überhaupt administrative Strukturen - und gute Regierungsführung und Rechtsstaatlichkeit entstehen. Da kann ja Wirtschaft sogar einen Beitrag leisten. Aber natürlich muss man aufpassen, dass man eben nicht da, wo man Gas oder Öl her bezieht oder wo man eine Pipeline bauen will, dann den manchmal autoritären Regierungen oder sogar diktatorischen Regimen nach dem Munde redet. Menschenrechtspolitik misst sich daran, dass wir auch gerade eben als Bundesregierung keinen Zweifel daran lassen, dass wir im Zweifel auf der Seite der Unterdrückten, der Opfer, der von Menschrechtsverletzungen Betroffenen stehen.

domradio.de: Nehmen wir das Beispiel Iran: Warum hat es - obwohl man weiß wie wichtig die Unterstützung der Opposition gerade jetzt ist - immer noch nicht klare, deutliche Sanktionen gegen das Regime erlassen?
Nooke: Sanktionen haben immer auch eine zwiespältige Wirkung, weil sie natürlich auch die Eliten in den Ländern relativ treffen und oft das allgemeine Volk, die Bevölkerung stärker darunter leidet. Im Iran geht es sicher darum, dass deutsche Firmen dort nicht Technik liefern, die man im Grunde zur Unterdrückung für Repressionsmaßnahmen nutzen kann. Also da sind sicherlich auch wirtschaftliche Interessen im Spiel gewesen, aber im Großen und Ganzen hat hier die Bundesregierung klar widersprochen. Und gerade der Iran ist ein ganz, ganz wichtiges Land in dieser Region. Wenn hier wirklich die ja wirklich virulente Zivilgesellschaft - die Menschen, die gut ausgebildet sind, der Iran hat die größte Blogger-Dichte im Internet - wenn dort wirklich freiere, offenere Strukturen sich etablieren und sich auch ein demokratischeres System entstehen würde, dann könnte der Iran von einem Risiko- zu einem Sicherheitsfaktor in der Region werden. Das ist ein großes Thema der nächsten Jahre. Hier muss man ganz klar sagen, dass wir einen Präsidenten wie Ahmadinedschad oder auch die Strukturen eines religiösen Wächterrates dort, der letztlich zum gewaltsamen Niederschlagen der Proteste aufgerufen hat, dass wir das natürlich ablehnen müssen.

domradio.de: Auch die Religionsfreiheit hat in Ihrer Amtszeit eine große Rolle gespielt. In diesem Zusammenhang haben Sie die Medien in Deutschland getadelt, es würde zu wenig über Christenverfolgung berichtet. Was glauben Sie, woran das liegt?
Nooke: Vielleicht hat es mit unserer - wie wir manchmal denken - besonderen Aufgeklärtheit im Westen zu tun, dass wir gar kein Verständnis mehr für Religion und religiöse Überzeugungen bei Menschen haben. Religion ist ja für den Einzelnen etwas ganz Existenzielles, deshalb würde ich auch das Recht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit, auch Religionsfreiheit von dem der Meinungs- und Pressefreiheit zum Beispiel unterscheiden. Hier geht es wirklich um etwas, was für den einzelnen Menschen auch einen Absolutheitsanspruch hat, aber diese Wahrheit, die an sich immer intolerant ist, muss aber tolerant vertreten werden, man muss miteinander reden, man darf nicht mit Gewalt seine Überzeugungen anderen beibringen oder vielleicht sogar sie zwingen diese anzunehmen. Gerade, was Christen angeht, ist in der Öffentlichkeit in Deutschland und Europa wenig bewusst, dass über 200 Millionen verfolgte Christen weltweit, die eigentlich größte Gruppe der aus religiösen Gründen Verfolgten bilden. Ich glaube, dass auch wichtig ist, dass gerade auch in Europa wir uns auch für die einsetzen, die ja eigentlich unsere Glaubensbrüder und -schwestern sind, ohne dass man damit sagt, wir setzen uns damit nur für Christen ein. Es lohnt sich, über das Thema Religionsfreiheit zu reden. Aber es lohnt sich auch zu sagen, dass wir in Europa nur glaubwürdig sind, wenn wir verstehen, was Religion noch bedeutet und wenn wir unser eigenes Christ sein - wenigstens einige in diesem Land - auch noch ernst nehmen. Und da habe ich nicht das Gefühl, dass das in der Politik unterbelichtet ist, sondern manchmal in der medialen Berichterstattung oder in der allgemeinen Bevölkerung auch gar nicht so wichtig gesehen wird.

domradio.de: Welches Erbe - glauben Sie - hinterlassen Sie ihrem Nachfolger Markus Löning im Amt?
Nooke: Es bleibt noch viel zu tun. Das ist das eine. Das andere ist: Es bleibt diese fantastische Idee universal geltender Rechte für jeden einzelnen Menschen, dieses individuelle Recht, dass jeder von Geburt an hat, frei und an Würde und Rechten gleich geboren, das ist schon etwas, was es sich lohnt zu verteidigen.

Das Gespräch führte Stephanie Gebert.

Hintergrund
Nooke tritt zum 1. April das Amt des Afrikabeauftragten der Regierung mit Sitz im Entwicklungsministerium (BMZ) an. Neuer Menschenrechtsbeauftragter ist der FDP-Mann Markus Löning (49).