Menschen schätzen Friedhöfe verstärkt als Orte von Naturerleben

Efeu, Fledermäuse und ein Hauch von Ewigkeit

Nach einem Todesfall geht man wie selbstverständlich auf den Friedhof. Das ist klar. Doch offenbar ist das für Viele nicht immer der Hauptgrund für solche Besuche. Immer mehr Menschen suchen dort auch Stille oder Naturerlebnisse.

Autor/in:
Paula Konersmann
Herbstlaub liegt auf einem Weg auf dem Melaten-Friedhof in Köln am 1. November 2021. / © Julia Steinbrecht (KNA)
Herbstlaub liegt auf einem Weg auf dem Melaten-Friedhof in Köln am 1. November 2021. / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Maxis Grabstein ist geformt wie ein Schmetterling, ein heller Bronzeton auf einer kleinen, grauen Platte. Maxi ist nur sechs Jahre alt geworden. Viele Familien, die ein Kind so früh verlieren - oder deren Kind gar nicht erst lebend zur Welt kommt - nutzen dieses Symbol. Im Griechischen bedeutet das Wort "Psyche" neben "Seele" auch "Schmetterling"; die Hoffnung auf eine freie Seele ist schon seit der Antike mit diesen Tieren verbunden.

Angehörige sitzen auf einer Bank vor Gräbern zu Allerheiligen am 1. November 2023 auf einem Friedhof in Bad Neuenahr-Ahrweiler. / © Harald Oppitz (KNA)
Angehörige sitzen auf einer Bank vor Gräbern zu Allerheiligen am 1. November 2023 auf einem Friedhof in Bad Neuenahr-Ahrweiler. / © Harald Oppitz ( KNA )

Für Tanja Straka ist dies eines von vielen Beispielen dafür, wie Friedhöfe für Mensch, Tier und Pflanzen zur Lebensqualität beitragen können - in diesem Fall mit Trost. Studien zeigen, dass Grün ebenso beruhigend wirkt wie Vogelgezwitscher. "Wildtiere haben einen ähnlichen Effekt. Stress lässt nach, wenn wir mal ein Eichhörnchen beobachten", sagt die Biologin. In einer nicht-repräsentativen Umfrage, die sie 2022 durchgeführt hat, wurde "wildlife" am häufigsten als wichtige Eigenschaft von Friedhöfen genannt.

Grüne Oasen der Ruhe

Befragt wurden den Angaben zufolge mehr als 600 Personen zu 21 Berliner Friedhöfen. Als bemerkenswert bezeichnet die Forscherin vor allem einen Wandel in der Wahrnehmung: Eine Mehrheit der Befragten nannte Naturerlebnisse als Grund für Besuche auf Friedhöfen; erst auf Platz zwei folgten Trauerfälle. Straka findet das nachvollziehbar, böten Friedhöfe doch im Sommer schattige Plätzchen und rund ums Jahr eine Art Oase inmitten von Alltagstrubel, Lärm und Stress.

Ein Grablicht steht inmitten von Herbstlaub auf einem Grab auf dem Melaten-Friedhof in Köln am 1. November 2021. / © Julia Steinbrecht (KNA)
Ein Grablicht steht inmitten von Herbstlaub auf einem Grab auf dem Melaten-Friedhof in Köln am 1. November 2021. / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Zum anstehenden November gehört der Gang zum Grab von Verstorbenen für viele Menschen offenbar weiterhin dazu. Das zeigt eine aktuelle, repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov: 13 Prozent planen demnach einen Gang auf einen Friedhof an Allerheiligen (Samstag), 3 Prozent an Allerseelen (Sonntag), 7 Prozent an beiden Tagen. Ein Viertel der Befragten gab an, einen anderen Tag rund um die beiden Feiertage für einen Friedhofsbesuch im Blick zu haben.

Auch Kultur-Fans kommen auf ihre Kosten

43 Prozent besuchen dagegen nach eigenen Worten niemals Friedhöfe. In Berlin liegen etwa der Schriftsteller Theodor Fontane oder die Brüder Grimm begraben, es gebe also "also sehr spannende Gräber", sagt Straka. So überrascht es nicht, dass in ihrer Befragung historisches Interesse an Grabstätten als dritthäufigster Grund für Besuche auf Friedhöfen genannt wurde.

Gedenkort für totgeborene Kinder am 11. September 2024 auf einem Friedhof in Bonn. An einer Stele liegen Utensilien und Gegenstände, die an verstorbene oder tot geborene Kinder erinnern. Auf einer Schiefertafel die Aufschrift "Auch wenn Eure kleinen Füße die Erde nie berührten, sind Eure Spuren trotzdem da". / © Harald Oppitz (KNA)
Gedenkort für totgeborene Kinder am 11. September 2024 auf einem Friedhof in Bonn. An einer Stele liegen Utensilien und Gegenstände, die an verstorbene oder tot geborene Kinder erinnern. Auf einer Schiefertafel die Aufschrift "Auch wenn Eure kleinen Füße die Erde nie berührten, sind Eure Spuren trotzdem da". / © Harald Oppitz ( KNA )

Nicht jeder Ort hat diese Prominenz zu bieten - doch andere Friedhöfe setzen etwa auf nächtliche Führungen, um "noch einmal eine andere Form von Stille zu erleben". Auch Fledermaus- oder Glühwürmchenführungen werden mancherorts angeboten. Untersuchungen der Biologin haben gezeigt, dass sich auf städtischen Friedhöfen überall Fledermäuse tummeln, unabhängig von der dortigen Vegetation. Für die Tiere seien diese "dunklen Inseln" mit wenig Lichtverschmutzung, die moderat besucht und nachts geschlossen seien, sehr wichtig. Ebenso lebten Eulen, Füchse und Waschbären auf nicht wenigen Friedhöfen.

Wenn überwucherte Gräber trösten

Für unterschiedliche Bedürfnisse sei es sinnvoll, den "Lebensraum Friedhof" auf verschiedene Weise zu gestalten, erklärt Straka. Dazu zähle die Frage, wie Naturerlebnisse möglich seien, ohne Trauernde oder Ruhesuchende zu stören. Zugleich bedeuten etwa alte Bäume laut ihrer Umfrage auch Menschen in Trauersituationen viel: Immer wieder sei gesagt worden, dass sie als hilfreich erlebt würden, um mit einem Verlust umzugehen. Alte Bäume und sogar Totholz tragen außerdem zur Artenvielfalt bei. Ebenso seien unter Menschen, die Friedhöfe besuchen, vor allem Blumenwiesen, Lichtungen oder überwucherte Gräber beliebt - letztere würden oft als Symbol für den Kreislauf des Lebens wahrgenommen.

Denkbar sind nach Worten der Forscherin etwa kleine Schilder, die erläutern, welche Vögel oder Blumen auf dem jeweiligen Friedhof zu beobachten seien - oder die dazu anregen, die Sinne zu öffnen. Blumenläden könnten auch insektenfreundliche Pflanzen anbieten, Kapellen verstärkt auf Angebote für gläubige Besucherinnen und Besucher setzen. Eine weitere Idee sind Patenschaften für Gräber, die nicht mehr gepflegt würden, aber erhalten bleiben sollten.

Das Stichwort: Friedhofskultur

Die Friedhofskultur in Deutschland ist seit 2020 "immaterielles Kulturerbe". Auf Empfehlung der Deutschen Unesco-Kommission beschloss die Kultusministerkonferenz im März 2020 die Aufnahme in das bundesweite Kulturerbe-Verzeichnis.

Das immaterielle Erbe Friedhofskultur bezieht sich dabei "auf das, was Menschen auf dem Friedhof tun - trauern, erinnern und gedenken" sowie auf das Gestalten, Pflegen und Bewahren. Es sind also nicht die Friedhöfe selbst, die zum Unesco-Welterbe ernannt wurden, das wäre quasi materielles Erbe.

Friedhof im Frühling / © Harald Oppitz (KNA)
Friedhof im Frühling / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
KNA