Meinungsforscherin Elisabeth Noelle gestorben

Allensbach ist überall

Demoskopie hat heute einen festen Platz in der Gesellschaft. Das ist zweifellos das Verdienst Elisabeth Noelles, die am Donnerstag im Alter von 93 Jahren gestorben ist. 1947 gründete sie am Bodensee das erste deutsche Institut für Meinungsforschung.

Autor/in:
Michael Jacquemain
 (DR)

Seitdem erfragte sie zusammen mit heute knapp 100 Angestellten und rund 2.000 nebenberuflichen Interviewern landauf landab die Einstellung der Deutschen. Allensbach steht mittlerweile für so etwas wie das Gedächtnis der Republik. "Eigentlich", meinte Noelle einmal, "liegt Allensbach überall".

Den Grundstein für ihre Arbeit legte sie während eines Studienaufenthalts in den USA. Dorthin hatte sie ihr akademischer Lehrer Emil Dovifat, der Nestor der deutschen Publizistik, kurz vor dem Zweiten Weltkrieg geschickt. Sie sollte herausfinden, was es mit den neuen Methoden zur Erforschung der "öffentlichen Meinung" auf sich hat. An der Universität ihrer Geburtsstadt Berlin schrieb sie anschließend ihre Doktorarbeit über "Meinungs- und Massenforschung in den USA". Im nationalsozialistischen "Mediengefängnis" dominierten Propaganda und Zensur - als Redakteurin für "Das Reich" wurde die gelernte Journalistin 1943 auf Weisung von Propagandaminister Joseph Goebbels entlassen.

"Seriöse Meinungsforschung ist nur unabhängig möglich"
Nach dem Krieg baute sie das Institut auf, das heute als ihr Lebenswerk gilt und dessen Anteile sie in eine Stiftung überführte. Motiv war, Allensbach auch über ihren Tod hinaus die Zukunft zu sichern. Denn seriöse Meinungsforschung, so ihr Credo, ist nur unabhängig möglich. Deshalb kämpfte sie dafür, dass sich der Stellenwert ihrer Wissenschaft an den Universitäten niederschlägt. Sie befürchtete, dass Demoskopie immer weniger um der Erkenntnis willen betrieben und immer mehr instrumentalisiert wird: von der Wirtschaft, der Werbung und den politisch Mächtigen.

Noelle, deren Forschungsinteresse auch immer wieder den Kirchen galt, machte nie einen Hehl aus ihrer Nähe zur CDU. Ihr Bonner Büro zierten neben einem Foto von ihr mit Königin Elizabeth II. Doppelporträts mit Konrad Adenauer, Richard von Weizsäcker und Helmut Kohl. Dennoch wahrte sie gleichzeitig Distanz zur Union.  Gegen Franz Josef Strauß zog sie wegen einer von ihr als beleidigend empfundenen Äußerung sogar vor das Bundesverfassungsgericht - und gewann. Wie meist in ihrem Leben.

"Die Schweigespirale - Die Theorie der öffentlichen Meinung"
Nachdem im Jahr 2000 ihr zweiter Ehemann starb, "reduzierte" die häufig als "Pythia vom Bodensee" apostrophierte sympathische große alte Dame der Demoskopie die bandwurmartige Zusammenstellung ihres Namens Noelle-Neumann-Maier-Leibnitz auf ihren Mädchennamen. Stets trat Elisabeth Noelle mit der ihr eigenen Eloquenz auf und strahlte den demoskopischen Unfehlbarkeitsanspruch auf eine Art aus, die auf den einen arrogant und auf andere einfach nur souverän wirkte.

Zu ihren bekanntesten Veröffentlichungen zählen das von ihr herausgegebene Lexikon Publizistik und ihr Werk über "Die Schweigespirale - Die Theorie der öffentlichen Meinung". Diesen Klassiker unterzog sie noch im hohen Alter einer Neubearbeitung. Ihr Verhältnis zur Arbeit gehörte zu den wenigen Dingen, die sich in den vergangenen Jahrzehnten nicht veränderten. Bis zuletzt gehörte sie neben Renate Köcher zur Leitung des Instituts in Allensbach.