Mediziner nahmen Ordensfrauen unter die Lupe

Gute Schule schützt vor Demenz

Wer sich eine zeitlang im Kloster aufhält, gewinnt manchmal interessante Einsichten. Das gilt auch für Wissenschaftler. Der Münchner Mediziner Horst Bickel wollte mehr über die Ursachen von Demenzerkrankungen wissen und suchte sich für eine großangelegte Studie eine Ordensgemeinschaft aus. Er konnte eine verbreitete Annahme bestätigen.

Autor/in:
Felix Schmidt
 (DR)

Die ganze bayerische Provinz der Armen Schulschwestern stellte sich als Forschungsobjekt zur Verfügung. Vor wenigen Tagen hat Bickel seine Ergebnisse im Internet publiziert, nachzulesen unter www.karger.com/dem.

Der Mediziner und sein Team wollte alle Schwestern der Provinz über
65 Jahre unter die Lupe nehmen. Immerhin 442 von 550 Ordensfrauen aus dieser Altersgruppe erklärten sich dazu bereit. Von der Kooperationsbereitschaft der Klosterfrauen war Bickel angetan. "Es war eine sehr angenehme und einfache Zusammenarbeit", resümiert er. Der Orden habe sogar die Organisation der Einzelinterviews übernommen.

Mit der Wahl dieses ungewöhnlichen Teilnehmerfeldes wollte der Leiter der psychiatrischen Epidemiologie am Münchner Klinikum rechts der Isar bestimmte Krankheitsursachen ausschließen. Lebens- und Umweltbedingungen sollten keine Rolle spielen. Bei den Armen Schulschwestern gibt es - wie in den meisten Orden - kaum Unterschiede bei den Lebensumständen, wohl aber im Bildungsstand und bei den Einsatzfeldern. Auf diese Faktoren hatte es der Forscher abgesehen. Und die Schulschwestern hatten bereits in Nordamerika an einer ähnlichen Studie teilgenommen.

Einfache Arbeiten - gefährdeter an Demenz zu erkranken
Bickel konnte eine verbreitete Annahme bestätigen: Menschen, die eine geringe Schulbildung haben und ihr ganzes Leben lang nur einfache Arbeiten verrichten, sind gefährdeter an Demenz zu erkranken. Die Forschungen begannen bereits 2001. Alle Beteiligten wurden einzeln über einen Zeitraum von 18 Monaten zwei Mal persönlich befragt, ihre Lebensläufe zusammengetragen, dazu kamen ärztliche Untersuchungen und Gutachten, um Symptome nach ihrem Schweregrad zu unterscheiden. Durch diesen Aufwand zog sich die Auswertung in die Länge.

Die Studienteilnehmer waren im Schnitt 78,7 Jahre alt und alle schon über 50 Jahre im Orden. Anzeichen einer Demenz zeigten sich bei 104 Schwestern; 92 von ihnen hatten nur eine einfache oder mittlere Schulbildung. Ein ähnlicher Zusammenhang zeigte sich mit Blick auf ihren Berufsalltag: Je anspruchsvoller ihre Aufgaben, desto seltener waren sie von der Erkrankung betroffen. Unter den Hauswirtschafterinnen gab es beispielsweise mehr Demenzfälle als bei Erzieherinnen oder Lehrerinnen.

Provinzökonomin Schwester Erharda Bauer sagt, ihre Mitschwestern seien an dem Projekt sehr interessiert gewesen. Man habe der Forschung und somit den Menschen helfen wollen. Alle seien aufgeschlossen an das heikle Thema herangegangen und hätten die Erkenntnisse nach Abschluss der Studie miteinander diskutiert.

Fragen sind noch offen
Wissenschaftler fragen durchaus öfter bei Ordensgemeinschaften an, um an ihnen zu forschen. Aber nur selten wird etwas daraus, wie Arnulf Salmen, Sprecher der Deutschen Ordensobernkonferenz, berichtet. An größeren Vorhaben ist ihm nur eine demografische Studie geläufig. Dabei stellte sich heraus, dass es die bekannten Unterschiede bei der Lebenserwartung von Frauen und Männern im Kloster kaum gibt. Seither ist klar, dass die Ursache für dieses gesellschaftliche Phänomen weniger mit Biologie als mit unterschiedlichen Lebensumständen und Umwelteinflüssen zu tun hat.

Auch für Bickel sind noch Fragen offen. Ob Ausbildung oder ausgeübter Beruf das Demenzrisiko stärker beeinflussen, konnte er nicht zweifelsfrei klären. Er neigt zur Ansicht, dass die Weichenstellungen im Kindesalter wichtiger sind. Gering ausgebildete Teilnehmerinnen hätten ihr Krankheitsrisiko jedoch durch intellektuell fordernde Arbeiten verringern können.