Mathematiker glaubt an Beziehung zwischen Mathe und Religion

"Da muss doch irgendein Geist hinter stecken"

Die UNESCO hat den Internationalen Tag der Mathematik für den 14. März ausgerufen. In vielen Ländern ist der Tag schon als Ehrentag der Zahl Pi bekannt. Was die Kreiszahl mit Religion zu tun hat, erklärt Mathematiker Norbert Herrmann.

Symbolbild: Mathematik / © Ground Picture (shutterstock)
Symbolbild: Mathematik / © Ground Picture ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Das klingt erst mal komisch, aber Sie haben im Vorfeld gesagt, auch die Zahl Pi hat was mit Religion zu tun. Inwiefern?

 © Norbert Herrmann (privat)
© Norbert Herrmann ( privat )

Dr. Dr. Norbert Herrmann (Mathematiker und Botschafter der Stiftung Rechnen): Ja, es ist nicht zu fassen. Die Zahl Pi ist eine sehr eigenwillige Zahl, man hat erst vor 150 Jahren herausgekriegt, was für einen Charakter sie wirklich hat. Sie ist eine sogenannte transzendente Zahl. Das heißt, man kann ein mögliches Polynom nehmen mit normalen Koeffizienten, natürlichen Zahlen und man findet kein einziges dieser Funktionen, deren Nullstelle Pi ist.

Das ist eine ganz schwierige Aufgabe, alle unendlich vielen Polynome durchzusehen, ob sie eine Nullstelle Pi haben. Und das hat Herr Lindemann geschafft zu beweisen, dass es kein solches Polynom gibt. Und da sind wir genau bei dem Begriff, der eigentlich doch viel mit Außerweltlichen zu tun hat, Unendlichkeit.

DOMRADIO.DE: Die Unendlichkeit kennen wir aus der Religion. Es gibt auch andere Zahlen, die in der Religion eine große Bedeutung haben. Die Drei, Dreifaltigkeit zum Beispiel, oder die Sieben. Gibt es das auch für die Mathematik oder sind da alle Zahlen gleich?

Herrmann: Das ist in der Mathematik nicht so verbreitet, muss ich zugeben. Wir versehen die Zahlen nicht mit einem Charakter. Ich frage Sie mal ganz einfach: Haben Sie schon mal eine Eins gesehen? Ist die Eins grün, ist sie dick, ist sie groß, ist sie klein? Nein, diese Frage können wir nicht beantworten, denn die Eins ist gar nicht anzusehen. Sie ist eine abstrakte Vorstellung. Man kann sie gar nicht sehen. Und so können wir auch die Drei und die Sieben nicht sehen. Damit sind sie alle für uns leicht abstrakte Begriffe, mit denen wir umgehen können, die wir aber nicht händeln, sehen, anfassen können.

DOMRADIO.DE: Jetzt gibt es etliche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sagen, Wissenschaft und Glaube seien komplett inkompatibel. Sie sehen das anders, warum?

Dr. Dr. Norbert Herrmann (Mathematiker und Botschafter der Stiftung Rechnen)

"Wo bleibt da Gott? Wir finden ihn nicht. Aber das bedeutet ja nicht, dass es ihn nicht gibt."

Herrmann: Das sehe ich durchaus anders, sehr anders. Das Problem besteht darin: Wir haben mit der Unendlichkeit gelernt umzugehen. Das ist vor 150 Jahren passiert, da ist das sehr intensiv untersucht worden. Wir wissen jetzt sehr viel über die Unendlichkeit und wir arbeiten dauernd damit. Mathematik ist die Wissenschaft der Unendlichkeit. Wir können damit umgehen. Das müsste man schon im ersten Semester des Mathematikstudiums lernen. Es ist ein sehr schwerer Begriff. Den Grenzwert Limes lernen wir aber, und das können wir. Immer wenn wir da suchen, stellen wir fest, "unendlich" ist ein komplizierter Begriff. Aber wir können ihn händeln, wir können ihn durchschauen. Wo bleibt da Gott? Wir finden ihn nicht. Aber das bedeutet ja nicht, dass es ihn nicht gibt.

DOMRADIO.DE: Die Natur handelt nach mathematischen Gesetzen. Aber Sie stellen sich auch die Frage, woher weiß die Natur, dass sie danach handeln muss? 

Herrmann: Ja, das ist doch das Problem. Wir haben Gesetze in der Natur, wir wissen zum Beispiel, die Zahl Pi ist transzendent. Wer hat denn so etwas eingerichtet? Wenn ich so ein Verhältnis vom Umfang eines Kreises zum Durchmesser gemacht hätte, hätte ich doch drei genommen, oder eins oder irgend so etwas. Aber er nimmt das Verhältnis Umfang zu Durchmesser 3,14150 und so weiter.

Dr. Dr. Norbert Herrmann (Mathematiker und Botschafter der Stiftung Rechnen)

"Es kommt überall bei jedem Kreis auf der ganzen Welt PI raus. Das ist doch eigentümlich. Wer hat das denn gemacht? Da muss doch irgendein Geist dahinterstecken. Das kann doch nicht so einfach aus dem Himmel rausfallen."

Warum hat man so was gemacht? Wer macht sowas? Das ist übrigens in der ganzen Welt so. Sie können alle Kreise der ganzen Welt, große, kleine, überall anschauen, überall stellen wir fest, Umfang messen wir, Durchmesser messen wir, teilen Umfang geteilt durch Durchmesser. Und es kommt überall bei jedem Kreis auf der ganzen Welt Pi raus. Das ist doch eigentümlich. Wer hat das denn gemacht? Da muss doch irgendein Geist dahinterstecken. Das kann doch nicht so einfach aus dem Himmel rausfallen.

Dr. Dr. Norbert Herrmann (Mathematiker und Botschafter der Stiftung Rechnen)

"Woher wissen denn diese Photonen das? Die aus fernsten Sternensystemen kommen, die wissen, ich muss mich mit 300.000 Kilometer pro Sekunde vorwärtsbewegen. Wer hat ihnen das denn gesagt? Dass sie alle das Gleiche machen?"

DOMRADIO.DE: Inwiefern kann die Mathematik auch ein Zugang zu Gott sein für Sie?

Herrmann: So ist das durchaus denkbar. Denn das Gleiche finden wir auch in der Natur. Wir finden zum Beispiel, dass Einstein gesagt hat, die Lichtgeschwindigkeit ist unendlich, ist 300.000 Kilometer pro Sekunde. Sie ist nicht unendlich, sie ist endlich. Aber die Photonen, die im ganzen Weltall rumschwirren, die von meiner Taschenlampe ausgehen, von meinem Fahrrad ausgehen, wenn ich Licht mache, diese Photonen bewegen sich alle mit exakt der gleichen Geschwindigkeit, 300.000 Kilometer pro Sekunde. Woher wissen denn diese Photonen das? Die aus fernsten Sternensystemen kommen, die wissen, ich muss mich mit 300.000 Kilometer pro Sekunde vorwärtsbewegen. Wer hat ihnen das denn gesagt? Dass sie alle das Gleiche machen? Dass alle Massen wissen, sie müssen sich gegenseitig anziehen. Wer sagt Ihnen denn sowas? Woher wissen die das? Da muss doch ein Geist dahinterstecken, oder?

DOMRADIO.DE: Wenn man als Wissenschaftler sagt, man sei selbst gläubig, läuft man dann mit einer Art Stigma herum?

Herrmann: Nein. Also in dem Sinne, wie es vielleicht viele verstehen, gläubig an einen weißen Mann mit Bart, der da oben sitzt und das alles macht, das bin ich nicht. Das kann ich nicht ganz verstehen. Aber ich versuche herauszufinden, was steckt denn in der Welt dahinter? Und da habe ich doch irgendwie das Gefühl, dass wir noch nicht alles wissen und deshalb auch immer nachdenken müssen.

Das Interview führte Katharina Geiger.

Kommission für Wissenschaft und Kultur

Die Kommission für Wissenschaft und Kultur (Kommission XVIII) verfolgt aktuelle Entwicklungen in Wissenschaft und Kultur.

Insbesondere trägt sie Sorge für das Studium der katholischen Theologie und begleitet theologische und katholische Hochschul- und Wissenschaftseinrichtungen. Sie trägt Verantwortung für bischöfliche Werke der Studienförderung (Cusanuswerk und KAAD) und setzt Impulse in der Hochschulpastoral.

Zusammenarbeit in der Wissenschaft / © PopTika (shutterstock)
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Quelle:
DR