Margot Käßmann hat die ersten 100 Tage als Ratsvorsitzende hinter sich

Ein Auf und Ab

"Ich will mich mit der katholischen Kirche überhaupt nicht streiten", beteuerte die neue Ratvorsitzende Bischöfin Margot Käßmann unlängst, nachdem sie den Papst kritisiert hatte. Und ihre Predigt über "Nichts ist gut in Afghanistan" sollte nicht den gesamten Einsatz deutscher Soldaten am Hindukusch in Frage stellen. Dennoch hat die Bischöfin in den ersten 100 Tagen im Amt einigen Staub aufgewirbelt: in Rom, Moskau und Berlin.

Bischöfin Margot Käßmann: Nicht nur Rückenwind (epd)
Bischöfin Margot Käßmann: Nicht nur Rückenwind / ( epd )

Die Stimmung war gelöst und die Kanzlerin locker. Manchmal hoffe sie auch auf kirchliche Ermutigung, sagte Angela Merkel (CDU) im Dezember bei einem Empfang in Berlin, bei dem sich der neue Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) präsentierte. Und zur neuen EKD-Ratsvorsitzenden, Bischöfin Margot Käßmann, sagte die Regierungschefin: «Sie werden nicht nur die evangelische Kirche auf Trab halten, sondern gleich auch die andere mit.»

In ihrem «Regierungsprogramm» für die nächsten sechs Jahre stellte die neue Ratsvorsitzende die Kontinuität heraus: etwa bei den Aufgaben wie Weitergabe des christlichen Glaubens, Werben um Mitgliedschaft und Fortführung des Reformprozesses, den die EKD vor vier Jahren unter dem Eindruck sinkender Finanzkraft und Mitgliederzahlen gestartet hat. Doch die größte Resonanz in ihren ersten 100 Tagen als Spitzenrepräsentantin der deutschen Protestanten erzielte Käßmann nicht mit Themen wie Kinderarmut, Bildungschancen und Pflege, die sie bereits als hannoversche Landesbischöfin beackerte.

Ein steiler Satz an Neujahr
Es war ein steiler Satz in ihrer Predigt am Neujahrstag, der aufhorchen ließ. «Nichts ist gut in Afghanistan», sagte Käßmann in der Dresdner Frauenkirche und stieß damit eine vielstimmige Debatte über den Bundeswehr-Einsatz am Hindukusch an. Mit ihrem zugespitzten Einspruch gegen ein «Weiter so» in Afghanistan brachte die Bischöfin alle auf Trab. Politiker aus fast allen Parteien witterten weiteren Gegenwind für die Militärmission, die ohnehin bei der Mehrheit der Bevölkerung auf Bedenken stößt. Auch als die Kritiker schweres Geschütz auffuhren und ihr Naivität vorhielten, hielt Käßmann stand:
Ihre umstrittene Predigt würde sie wieder so halten. Die evangelischen Bischofskollegen scharten sich um die attackierte Käßmann und gaben ihr Rückendeckung. «Die EKD hat sich ganz klar hinter meine Position gestellt», resümierte sie nach den Beratungen des Rates am vergangenen Wochenende.

Für die Forderung, dem zivilen Engagement Vorrang vor militärischer Gewalt einzuräumen, gab es an der Kirchenbasis viel Zuspruch für die Bischöfin, die ihre pazifistische Grundhaltung nicht verhehlt. Denn Käßmann ist populär. Zu ihren Stärken zählen Authentizität, Emotionalität, Freimütigkeit und Spiritualität, mit ihren Beiträgen findet sie Gehör in Kreisen, denen die Wortmeldungen ihres akademisch geprägten Vorgängers Wolfgang Huber zu distanziert erschienen. Ein Beispiel ist Käßmanns Predigt in der ökumenischen Andacht nach der Selbsttötung des Fußball-Nationaltorwarts Robert Enke in Hannover.
Differenzen mit den Katholiken und Orthodoxen
Bevor die im Oktober gewählte Ratsvorsitzende den Spitzenpolitikern ihre Antrittsbesuche abstattete, reiste sie nach Bonn. Ihr erster offizieller Besuch führte sie zur katholischen Bischofskonferenz, um die «vertrauensvolle Gemeinschaft» mit der Schwesterkirche auch symbolisch zu demonstrieren. Mit Erzbischof Robert Zollitsch war sich Käßmann einig, dass beide Kirchen gemeinsame Standpunkte in ethischen Fragen anstreben sollten. Ob das auch in ein evangelisch-katholisches Sozialwort münden wird, wie von prominenten Protestanten befürwortet, darüber dürfte es noch Gesprächsbedarf geben.

Enttäuschung rief die neue Ratsvorsitzende hingegen in Rom hervor mit ihrer Aussage, sie erwarte von Papst Benedikt XVI. ökumenisch nichts. Der vatikanische Ökumene-Minister Walter Kasper reagierte verärgert auf diese «Querschüsse». Die Papst-Kritik sei «unfair», «ungerecht» und «zutiefst unökumenisch», rügte der deutsche Kurienkardinal. Käßmann beeilte sich, weiterer ökumenischer Verstimmung vorzubeugen. «Ich will mich mit der katholischen Kirche überhaupt nicht streiten», sagte sie Radio Vatikan.

Zuvor hatte die Russische Orthodoxe Kirche der neuen Spitzenfrau des deutschen Protestantismus die kalte Schulter gezeigt. Das Moskauer Patriarchat setzte den offiziellen Dialog mit der EKD aus. Die orthodoxe Kirche lehne eine Frau an der Spitze der EKD als Gesprächspartnerin ab, begründete Erzbischof Hilarion die Kehrtwende.
Huber: "Handeln auf Unsicherheit"
Manch öffentliche Erregung der ersten Monate wird in EKD-Kreisen damit erklärt, dass es durchaus einen erheblichen Unterschied ausmache, ob jemand als Bischof nur für eine Landeskirche spricht oder als oberster Repräsentant für die evangelische Kirche. Käßmann machte rasch die Erfahrung, dass jeder Satz aus einer Predigt der Ratsvorsitzenden öffentlich auf seine politische Brisanz abgeklopft wird. Bei zurückliegenden Wechseln im Ratsvorsitz habe es häufiger Anlaufschwierigkeiten gegeben, wird argumentiert. Aus eigener Erfahrung hatte Wolfgang Huber die neue EKD-Spitze in seiner Predigt bei der Ulmer Synode daran erinnert: Leitung von Kirche sei Handeln auf Unsicherheit, Reden und Handeln bleibe Fragment.