"Man nimmt uns nicht ernst genug"

Flüchtlingsinitiative ein Jahr nach "Wir schaffen das"

Vor einem Jahr versuchte Kanzlerin Angela Merkel mit ihrem Ausspruch "Wir schaffen das" Optimismus zu verbreiten. Inzwischen haben viele Ehrenamtliche wieder aufgegeben, weiß Wolfgang Schmitz von einer Kölner Flüchtlingsinitiative zu berichten.

Deutschunterricht in Köln-Brück / © Tobias Fricke (DR)
Deutschunterricht in Köln-Brück / © Tobias Fricke ( DR )

domradio.de: Ich stellen Ihnen den Ausspruch von Angela Merkel direkt als Frage: Schaffen wir das?

Wolfgang Schmitz (Mitarbeiter der Flüchtlingsinitiative "Willkommen in Brück", Köln): Wir haben diesen Ausspruch natürlich, wie viele, die sich engagieren, als Rückenwind wahrgenommen, als Bestärkung. Damals hätten ihr wahrscheinlich viele zugestimmt - ja, wir schaffen das. In der Zwischenzeit ist durch die Erfahrungen, die wir gemacht haben, - da spreche ich erst mal nur für unsere Initiative - zu dem "Wir schaffen das" ein "wenn" dazugekommen. Weil wir erkannt haben, dass es eben doch eine ganze Reihe von Bedingungen braucht, damit man es schaffen kann.

domradio.de: Welche Bedingungen sind das?

Schmitz: Im Laufe der Monate sind die Probleme deutlicher geworden. Die Politik war schlecht vorbereitet. Wir sehen, wie es nach wie vor holpert. Wir sehen, wie es in Europa nicht wirklich funktioniert. Das heißt, die Rahmenbedingungen sind nicht optimal und die Politik hat nach wie vor Probleme, damit offen und vernünftig umzugehen. Das ist das eine. Das zweite ist, dass natürlich in der Zwischenzeit auch dadurch, dass es auf einmal so viele waren, die Politik etwas hilflos war. Dass auch in der öffentlichen Diskussion die Stimmung, die ja erst zuversichtlich war, ein Stück gekippt ist.

Das heißt, es gibt doch Zurückhaltung und Reserviertheit in der Bevölkerung. Es gibt aber auch zum Beispiel die Erfahrung, dass die wichtigen und wertvollen Ehrenamtler nicht immer von den Hauptamtlichen auf Augenhöhe behandelt werden. Das gilt sowohl für die Verwaltungen, aber auch für Wohlfahrtsorganisationen. Da werden die Ehrenamtler ein bisschen als willkommene Unterstützung behandelt, die aber letzten Endes dann doch nicht so ganz ernst genommen werden. Das ist jedenfalls das Gefühl, das sich sicherlich in manchen Initiativen auch eingestellt hat.

domradio.de: Wenn wir auf die konkrete Arbeit von Ihrer Initiative "Willkommen in Brück" schauen, brauchen die Flüchtlinge heute wahrscheinlich etwas anderes als vor einem Jahr?

Schmitz: Sie brauchen etwas anderes, das ist völlig richtig. Es sind ja in den vergangenen Monaten nicht mehr so viele Flüchtlinge dazugekommen. Köln zum Beispiel hat im Moment ungefähr 14 000 Flüchtlinge. Die Zahlen sind in den letzten Monaten nur noch gering gestiegen. Das heißt, diejenigen, die da sind, sind jetzt mit anderen Problemen konfrontiert. Ein großes Problem ist nach wie vor, dass ganz viele von denen ja überhaupt noch gar nicht im Verfahren sind. Also da ist das zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dabei, das aufzuarbeiten. Viele warten einfach auf ihr Verfahren.

Ein anderes Problem ist, dass diejenigen, die schon den einen oder anderen Schritt weiter sind, gerne in Arbeit oder Ausbildung kommen würden. Da hakt es nach wie vor, das ist kompliziert. Da muss sich noch vieles entwickeln. Diejenigen, die länger da sind, die die Chance hätten und die Berechtigung haben, eine Wohnung zu bekommen, haben ganz, ganz große Schwierigkeiten, eine Wohnung zu bekommen. Auch die Sprachkurse sind im Angebot noch nicht so gut organisiert und so zahlreich, dass das vernünftig funktionieren würden. All das führt natürlich dazu, dass es in den Initiativen - das ist auch bei uns so - inzwischen eine gewisse Ernüchterung gibt.

domradio.de: Wie wird das jetzt weitergehen? Sie haben gesagt, in diesem Jahr sind weniger Flüchtlinge gekommen. Nur noch ein Drittel im Vergleich zum Vorjahr. Ihre Arbeit wird wahrscheinlich aber nicht weniger?

Schmitz: Sicherlich nicht. In den ersten Wochen und Monaten, als besonders viele gekommen waren, ging es ja darum, erst einmal ein Willkommen zu bieten und zu gucken, dass die Menschen unterkommen, dass es ihnen an möglichst wenig fehlt. Jetzt geht es auf die mühsame Strecke der Integration bei denjenigen, die dableiben dürfen und wollen. Und das sind natürlich andere Herausforderungen, die sich da stellen. Da braucht es einen langen Atem. Da braucht es viel Geduld, und das wird sicherlich nicht nur für uns eine Herausforderung darstellen, denn das muss man ehrlicherweise sagen: Auch die Zahl der Unterstützer sind in vielen Initiativen weniger geworden.

Einige haben einfach den Mut verloren, vielleicht die Lust verloren. Da wird es immer wieder neuer Anstrengungen bedürfen, Menschen zu aktivieren und zu sagen "kommt, helft, das ist wichtig, das kann am Ende, wenn es gelingt, eine Bereicherung für unser Land, aber auch für ein Stadtviertel oder eine Stadt werden." Wenn es uns gelingt, diese Menschen bei uns wirklich zu integrieren.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.


Helfer der Initiative "Willkommen in Brück" / © Initiative "Willkommen in Brück"
Helfer der Initiative "Willkommen in Brück" / © Initiative "Willkommen in Brück"
Quelle:
DR