Kölner Flüchtlingsinitiative schwimmt gegen den Trend

"Jetzt erst recht!"

Die Zahlen sind bedrückend: Eine neue Studie zeigt, dass man in Deutschland nicht mehr von einer Willkommenskultur sprechen kann. Für Wolfgang Schmitz von der Kölner Flüchtlingsinitiative "Willkommen in Brück" ist es ein Ansporn, weiter zu helfen.

Afghanischer Abend in Köln-Brück (Willkommen in Brück)

domradio.de: Menschen, die den ankommenden Flüchtlingen winken, sie mit einem kleinen Care-Paket versorgen: Diese Bilder der engagierten Deutschen gingen vor einem knappen Jahr um die Welt. Vielerorts ist die Euphorie inzwischen einer Ernüchterung gewichen. Das belegt nun auch eine Studie. Nach der Umfrage der Universität Bielefeld und der Mercator-Stiftung, die am Donnerstag in Berlin vorgestellt wurde, befürworten nur noch 28,2 Prozent der Befragten ohne Migrationshintergrund die Willkommenskultur.

Wie genau unterstützen Sie Flüchtlinge im Kölner Stadtteil Brück?

Wolfgang Schmitz (Kölner Flüchtlingsinitiative "Willkommen in Brück"): Wir unterstützen bei der Suche nach Wohnungen, Praktikumsplätzen, Arbeitsplätzen, Ausbildungsplätzen. Wir organisieren Sprachkurse und jetzt eine Ferienbetreuung. Und nach wie vor leisten wir Hilfe bei Behördengängen.

domradio.de: Haben Sie denn da auch schon bemerkt, dass in der Bevölkerung die Begeisterung für dieses Engagement für  Flüchtlinge nachgelassen hat?

Schmitz: Die Dinge haben sich verändert. Im letzten Jahr gab es eine große emotionale Hilfsbereitschaft. Viele wollten helfen und mit anpacken. Sie wollten den Menschen ein Willkommen bereiten und die Menschen mit den wichtigsten Dingen versorgen.

Das hat sich geändert, es ist eine gewisse Nüchternheit und Sachlichkeit eingetreten. Man sieht: Die sind jetzt da und die bleiben. Nicht alle, aber viele haben eine akzeptable Unterkunft gefunden. Jetzt geht es gemeinsam weiter bei der Frage, wie Integration gelingen kann. Da stellen sich völlig neue Fragen.

domradio.de: Die Studie spricht auch von Ablehnung und Zurückweisung.

Schmitz: In unserem Stadtteil Brück gibt es nach wie vor so gut wie keine Konflikte. Für eine klare Ablehnung könnte ich kein einziges Beispiel nennen. Das mag aber in anderen Gebieten anders sein. Manche Ehrenamtliche haben sich allerdings auch wahnsinnig verausgabt. Die waren fast Tag und Nacht auf Achse und haben geholfen. Da gibt es natürlich auch Ermüdungserscheinungen. Die Helfer merken aber natürlich auch, dass die Integration ein ganz mühsamer Prozess ist. Da kann man Integrationsgesetze verabschieden, aber dadurch wird der Weg in Schule, Ausbildung und Arbeit, in Sprach- und Integrationskurse nicht einfacher. Das ist nach wie vor ein sehr mühsames Geschäft. Da sind andere Dinge gefragt als nur die pure Emotionalität und ein pures Willkommen.

domradio.de: Wenn Sie dann solche Zahlen wie die der Mercator-Stiftung hören, dass also immer weniger Deutsche eine Willkommenskultur wollen und dagegen immer mehr auf Vorrechte für Alteingesessene fordern - wie erklären Sie sich das?

Schmitz: Sicherlich ist die rechte Propaganda und Hetze bei manchen Leuten nicht ohne Wirkung geblieben. Und die Erfahrung, dass die Politik im vergangenen Jahr so hilflos reagiert hat, als so viele kamen, hat die Leute irritiert. Ich erhoffe mir nun klarere Regelungen und geordnete Verfahren, damit der Verdruss bei einigen wieder eingefangen werden kann.

domradio.de: Sind solche Studien-Ergebnisse frustrierend für die Helfer - oder sagen die dann eher "Jetzt erst recht!"?

Schmitz: Für unsere Initiative kann ich sagen "Jetzt erst recht!" Natürlich haben wir auch die Erfahrung gemacht, dass einige nicht mehr mithelfen wollen oder können. Aber nur, weil sie sich erschöpft fühlen. Wir merken, dass der positive Rückhalt aus der Bevölkerung einer gewissen Gleichgültigkeit gewichen ist. Umso mehr sagen wir: "Jetzt erst recht!" Es liegen große Aufgaben vor uns. Es wurde ja gedacht, die meisten Flüchtlinge wären hoch qualifiziert, viele aber haben noch einen langen Weg vor sich, um tatsächlich eine Bereicherung für unseren Arbeitsmarkt sein zu können. Da ist ein langer Atem gefragt auf allen Seiten.

domradio.de: Müssen Sie ihre Kräfte jetzt anderes verteilen?

Schmitz: Die Eins zu eins - Betreuung ist auf die Dauer ganz schwierig. Wir haben unsere Organisation gestrafft und Zuständigkeiten geklärt. Wir sind schlanker unterwegs, aber es gibt immer noch fast jeden Tag Fälle, wo man sofort helfen muss. Man muss beides tun: Mit Vernunft und Augenmaß die langfristigen Fragen angehen und aber auch ein Ohr und Auge für spontane Hilfe haben.

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Quelle:
DR