Advent in der JVA Rheinbach

"Man findet Gott auch im Gefängnis"

Mauern, Plexiglas und Skype … Die Adventszeit 2020 ist im Gefängnis schlimmer als sonst. Die Sicherheitsmaßnahmen machen eine Umarmung mit der Frau, den Kindern oder anderen Verwandten unmöglich. Ein Stimmungsbericht aus der JVA.

Insasse in einem Gefängnis (shutterstock)

"Wenn man als Gefangener hier ist und einsam und alleine ist, sucht man sich was, woran man sich festhalten kann."

Xavier hat seine lockigen Haare zu einem Dutt gebändigt, trägt einen gepflegten Bart und ein sportliches Sweatshirt. Sein Schicksal ist ihm nicht anzusehen. Aber er spricht offen darüber. Er kommt gerade aus der Heiligen Messe, die der Kölner Kardinal Woelki mit ihm und den anderen Häftlingen gefeiert hat.

Xavier singt im Gefangenenchor, der hier schlicht "Kirchenchor" heißt, ebenso wie Mithäftling Pascal, der den Besuch des Kardinals als große Ehre empfindet. Nachdem er bei einem Kaffee auch persönliche Worte mit dem Kölner Erzbischof austauschen konnte, ist Pascal noch ganz berührt davon, "einer geistlichen Person so nah" gewesen zu sein.

Corona verschärft die Einsamkeit

Kardinal Woelki war es wichtig, "um den Nikolaustag herum ein Zeichen der Solidarität mit den Gefangenen setzen zu können". Sie sollten nicht den Eindruck haben, ganz von der Außenwelt vergessen worden zu sein.

Er hat ein Ohr für die Gefangenen, die ihm aus ihrer Biografie erzählen, von Schuld und Unschuld, von der Freude, bald entlassen zu werden. Aber es geht vor allem um die Einsamkeit, zum Beispiel am Wochenende, wenn die Häftlinge lange auf ihrer Zelle eingeschlossen sind.

Die Einsamkeit ist ein Thema, das der Gefängnisseelsorger Pfarrer Stefan Schwarz besonders in der diesjährigen Adventszeit häufig hört. "Corona macht alles noch schlimmer", erklärt der Geistliche.

Infektionsschutz in der JVA

Eine Infektion innerhalb der Gefängnismauern könnte dramatische Folgen haben. "Müsste ein Strafgefangener auf eine Intensivstation, wäre eine 24-stündige Bewachung notwendig, Sie müssten dafür acht bis zehn Beamte einplanen". Um diese Gefahr einzudämmen, sind die ohnehin scharfen Sicherheitsvorkehrungen während der Pandemie besonders hoch.

Zwar sind inzwischen wieder Besuche möglich, aber sehr reduziert: maximal eine erwachsene Person und ein Kind hinter einer Plexiglasscheibe. Alles darüber hinaus muss per Skype laufen, immerhin. Aber eine Berührung der Ehefrau, eine Umarmung des Sohns, ein Kuss auf die Stirn der Tochter – bis auf weiteres undenkbar. Selbst die obligatorischen Weihnachtspost-Pakete müssen in diesem Jahr draußen bleiben, stattdessen packt die Gefängnisseelsorge über 500 Weihnachtstüten. Die Entscheidung ist hart, aber der Zweck heiligt die Mittel, es gab bislang keine einzige Infektion in der JVA Rheinbach.

Die Bedeutung von Kirche im Gefängnis

Für Pascal ist Weihnachten die schwerste Zeit im Jahr, auch ohne Corona. "Man sagt ja, es ist das Fest der Familie, hier ist man von der Familie natürlich sehr weit entfernt". Sein Engagement im Chor bringt ihn auf etwas andere Gedanken, erklärt er. "Draußen" sei er nicht so häufig in der Kirche gewesen, gibt er zu, "aber hier gerne und hier bin ich mit Herzblut dabei", zum Beispiel wenn sie zusammen den Altenberg-Evergreen "Laudato si" singen. Hier, im Gefängnis, hat er auch zum ersten Mal das Sakrament der Beichte abgelegt, "ich hatte das Gefühl, dass es an der Zeit ist".

Die Beichte gegenüber einem Seelsorger ist der einzige Rahmen, der es einem Häftling erlaubt, sein Herz auszuschütten, erklärt Gefängnispfarrer Schwarz. Die Schweigepflicht ist ein hohes Gut und gesetzlich verankert. Alles, was in den seelsorglichen Gesprächen auf den Tisch komme, habe keine "negativen vollzuglichen Konsequenzen".

"Nur Fremde"

Auch Chorsänger Xavier hat in der JVA ein Sakrament empfangen. "Ich war vorher kein Christ", erzählt der Mann mit dem Locken-Dutt. "Ich bin hier zum Christentum konvertiert".

In der Isoliertheit und der Einsamkeit des Gefängnisalltags suchte er sich etwas, woran er sich festhalten konnte. "Keine Verwanden und Bekannten, nur Fremde, dann sucht man die Nähe halt in Gott". Ja, betont der junge Mann, man finde Gott auch im Gefängnis, "natürlich nicht persönlich, aber es ist das Gefühl, dass man Gott gefunden hat, man ist in dem Moment nicht mehr alleine".

 Angesprochen auf das nahe Weihnachtsfest wird Xaviers Sehnsucht nach "draußen" spürbar. "Man ist eigentlich gewohnt, dass man an Weihnachten seine Kinder um sich hat, seine Frau, seine Mutter, seine Schwester". Darüber denke er jetzt sehr viel intensiver nach als je zuvor. "Jetzt hätte ich zu Hause sein können. Und dann, wenn man alleine ist, ist man sich der Schuld erst richtig bewusst."

Tobias Fricke

 

Quelle:
DR