Malteser sorgen sich um Menschen in Afghanistan

"Es ist eine Katastrophe"

Mehrere Erdbeben haben Afghanistan in den letzten Tagen erschüttert. Viele Menschen stehen vor dem Nichts, und die politische Situation macht die Hilfe an vielen Stellen schwer. Die Malteser leisten dennoch Soforthilfe.

Herat: Ein afghanischer Junge isst vor den Trümmer eines Hauses, das durch das Erdbeben im Bezirk Zenda Jan zerstört wurde / © Ebrahim Noroozi/AP (dpa)
Herat: Ein afghanischer Junge isst vor den Trümmer eines Hauses, das durch das Erdbeben im Bezirk Zenda Jan zerstört wurde / © Ebrahim Noroozi/AP ( dpa )

DOMRADIO.DE: Sie arbeiten eng mit einer Organisation vor Ort zusammen. Was berichten Ihre Partner denn dort vom Ausmaß der Zerstörung?

Cordula Wasser (Regionalleiterin für Asien bei den Maltesern): Wir haben unsere Partner direkt nach dem ersten Erdbeben am Wochenende in die Region um Herat geschickt. Und wir haben schon Anfang der Woche, noch bevor das Beben am Mittwoch war, erste Bilder und Informationen von unserer Partnerorganisation bekommen. Es ist tatsächlich katastrophal, wie sich das Bild da darstellt.

Die Häuser sind völlig zerstört, 400 Dörfer sind betroffen. Das sind ja vor allem Lehmbauten in diesen ländlichen Gebieten, die in sich zusammengebrochen sind. Die Menschen stehen auf den ehemaligen Lehmhäusern, die jetzt Schutthaufen sind und graben nach ihren Verwandten und Angehörigen. Es gibt auch Kinder, die umherirren und ihre Eltern verloren haben. Das, was die Partner berichten und auch die Bilder, die sie schicken, sind wirklich erschreckend.

DOMRADIO.DE: Jetzt ist erst mal Soforthilfe gefragt. Wie genau sieht die aus?

Wasser: Die Leute brauchen alles. Es ist so, dass wir Decken, Zelte und Lebensmittel liefern. Zudem ist es wichtig, dass man Kleidung und Decken liefert, denn es ist in Afghanistan jetzt Mitte Oktober schon ziemlich kalt und es wird auch ein langer, harter Winter wie jedes Jahr erwartet.

Non-Food-Items, das heißt alles, was nicht mit Essen zu tun hat, werden auch geliefert. Die Leute brauchen Öfen, die Leute brauchen Hygienekits, wo Seifen, Handtücher, Wassereimer drin sind, also alles, was man zum täglichen Leben braucht, um zu kochen und um sich zu waschen, um schlafen zu gehen, das ist absolut notwendig.

Wir arbeiten zudem mit einer Gesundheitsorganisation zusammen und daher wird sie sicherlich auch Erste Hilfe und auch psychosoziale Beratung für die von der Krise und von einem Trauma betroffenen Menschen anbieten.

Cordula Wasser

"Ihre ganzen Vorräte sind weg, die Gesundheitssituation und alle Versorgungsleistungen waren ja ohnehin extrem schlecht."

DOMRADIO.DE: Afghanistan ist ohnehin ein armes Land. Was bedeutet dieses Beben denn jetzt für die Versorgungslage der Menschen insgesamt?

Wasser: Es ist eine Katastrophe. Es ist so, dass ein Drittel der Bevölkerung schon vor der Katastrophe Hunger leidet in Afghanistan. Jetzt haben sie überhaupt nichts zu essen. Ihre ganzen Vorräte sind weg, die Gesundheitssituation und alle Versorgungsleistungen waren ohnehin extrem schlecht.

Afghanistan ist ein Land mit der höchsten Kinder- und Müttersterblichkeit. Und jetzt gibt es in der Region so gut wie gar nichts mehr. Auch die Gesundheitszentren sind zerstört. Deswegen bedeutet das Beben eigentlich Not und vor allem Hunger und einen wirklich schweren, bitteren Winter für die von den Erdbeben betroffenen Menschen, weil sie einfach keine Unterkunft mehr haben.

Cordula Wasser

"Das erschwert die Hilfe für alle Hilfsorganisationen."

DOMRADIO.DE: Dann ist auch die politische Situation natürlich kompliziert. Seit Sommer 2021 wird Afghanistan wieder von den radikalislamischen Taliban regiert. Welche Rolle spielt das für Ihre Hilfe?

Wasser: Das erschwert die Hilfe für alle Hilfsorganisationen, sowohl für die nationalen Organisationen als auch für die UN und für die internationalen Organisationen. Es ist ja so, dass das Talibanregime seit Dezember 2022 den internationalen Organisationen und NGOs verboten hat, Frauen zu beschäftigen. Es gibt nur wenige Ausnahmen. Zum Beispiel im Gesundheitsbereich dürfen Frauen arbeiten. Das heißt aber, Frauen dürfen bloß von Frauen versorgt und auch betreut werden.

Viele Organisationen haben extrem große Schwierigkeiten, ihre Hilfe weiter anzubieten und die Hauptzielgruppe, Frauen und Kinder zu erreichen. Uns betrifft es nicht ganz so, wie gesagt, wir arbeiten mit einer medizinischen Hilfsorganisation zusammen, die ihre weibliche Belegschaft auch tatsächlich weiterbeschäftigen konnten.

Das Interview führte Verena Tröster.

Afghanistan

Afghanistan ist ein Binnenstaat in Asien. Etwa drei Viertel der Landesfläche von 652.000 Quadratkilometern bestehen aus schwer zugänglichen Gebirgsregionen. Nachbarstaaten sind China, Iran, und Pakistan sowie die früheren Sowjetrepubliken Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan. Seit den 1970er-Jahren hat der Staat am Hindukusch keine längere Friedensperiode mehr erlebt.

Afghanistan, Bamiyan / © Pvince73 (shutterstock)
Quelle:
DR